kig Kultur in Graz. Plattform f?r interdisziplin?re Vernetzungsarbeit.

Lesen Programm Kulturarbeit Kurse Ausschreibung Jobs ausLage ?ber uns Links




´^` zurück    ! neu...     * alle kategorien


Schwerpunkt: „Es reicht für alle"

Schwerpunkt: „Es reicht für alle“

 

Die Armutskonferenz betreibt seit 15 Jahren Lobbyarbeit für die von Armut Betroffenen. Helga Moser sprach mit Michaela Moser über Strategien und Aktionen, mit denen sie sich Gehör zu verschaffen versuchen.

zebratl: Welche Vorschläge zur Armutsbekämpfung sind für Sie wichtig?

Michaela Moser: Wenn es um Armutsbekämpfungsstrategien geht, sage ich immer „3+1“, es sind drei Säulen und ein Fundament notwendig. Erstens braucht man monetäre Mindestleistungen über der Armutsgrenze. Ob es jetzt um die Mindestsicherung geht, aber auch um Mindestlöhne, Mindestpensionen, um bessere Leistungen beim Arbeitslosengeld usw. Menschen brauchen Geld, um nicht in Armut zu leben, jedenfalls so wie unsere Gesellschaft im Moment organisiert ist.

Die zweite Säule ist die soziale Infrastruktur, also Bildung, Gesundheitsversorgung, öffentlicher Verkehr, Kinderbetreuungseinrichtungen, Beratungseinrichtungen. Davon, wie gut diese Dinge ausgebaut sind und funktionieren, hängt auch ab, wie viel Geld ich zum guten Leben brauche. Die dritte Säule ist die Arbeitsmarkt- und Arbeitszeitpolitik. Das kommt normalerweise oft als Erstes. Generell wird hier gesagt, Erwerbsarbeit sei das beste Mittel gegen Armut. Das ist nicht wahr und immer weniger wahr, weil es immer mehr Menschen gibt, die trotz Erwerbsarbeit unter der Armutsgrenze leben.

Aber natürlich ist es so, dass der Ausschluss von Erwerbsarbeit für viele ein Hauptgrund ist, in Armut zu leben. Wir plädieren nicht für die übliche Arbeitsmarktpolitik, sondern dass es da einen sehr radikalen Umbau braucht. Die Maßnahmen müssten viel mehr in das System oder die Strukturen einwirken und nicht so stark, wie sie es jetzt tun, nur auf die Individuen.

Das sind die drei Hauptzugänge für uns. Und dieses „+1“, das Fundament, ist für mich Teilhabe, Partizipation, demokratiepolitische Veränderung. Einerseits um diese Dinge durchzusetzen, andererseits um zu garantieren, dass es nicht nur um materielle Ressourcen geht. Dass es eben Maßnahmen braucht, die Partizipation, Teilhabe und Mitbestimmung von allen und besonders auch von Menschen, die in Armut leben, fördern. Aber da ist noch extrem viel zu tun, weil das überhaupt nicht der politischen Kultur in Österreich entspricht.

 zebratl: In anderen Ländern ist das besser?

Michaela Moser: Es ist überall ziemlich schwierig. Aber in Belgien zum Beispiel ist das etwas institutionalisierter. Wenn es jedoch wirklich sozusagen ans Eingemachte geht, dann wird es immer total schwierig. Uns geht es um tiefgreifende Veränderungen. Aber es gibt immer wieder zumindest Teilerfolge in kleinen Bereichen und da gibt es dann die Chance, dass auch wirklich etwas umgesetzt wird. Letztlich geht es immer um Verteilungsfragen und damit auch um Macht. Natürlich muss das Geld für die Infrastruktur und für die Sozialleistungen irgendwo herkommen. Und das heißt, dass es auf der anderen Seite um Steuern geht, darum, Vermögen anders zu besteuern und eben Ressourcen insgesamt anders zu verteilen.

Steter Tropfen höhlt den Stein

zebratl: Was sind Strategien, dass Eure Forderungen auch umgesetzt werden?

Michaela Moser: Steter Tropfen höhlt den Stein. Wir tragen die ewig gleichen Forderungen immer wieder vor uns her, versuchen durch die Medien und auf allen möglichen Wegen, in direkten Gesprächen mit PolitikerInnen, etwas weiter zu bringen. Ein anderer Weg – vor allem in der Verteilungsfrage – ist, verstärkt Allianzen zu bilden. Mit „Wege aus der Krise“1, einer Allianz aus Umweltorganisationen, ATTAC, SOS-Mitmensch, katholischen Organisationen und einigen Gewerkschaften, versuchen wir uns für Verteilungsfragen einzusetzen. Um da etwas zu erreichen, muss man die Bevölkerung zuerst einmal aufklären und mobilisieren. Weil da gibt es irrsinnig viele schräge und falsche Vorstellungen, was das Verhältnis von Reich und Arm betrifft und was man dagegen tun kann.

zebratl: Was wäre so eine Vorstellung?

Michaela Moser: Es ist notwendig zu vermitteln, wie ungerecht das Vermögen verteilt ist in Österreich. Dass 2/3 in den Händen der obersten 10% sind. Am meisten besitzt das oberste Promille, ein Tausendstel der Bevölkerung. Da geht es um Vermögen ab einer halben, ab einer Million Euro. Da muss man nicht so schnell Angst haben, dass es an die eigenen Notgroschen geht. Aber es gelingt dieser Elite, die Interesse daran hat, ihr Vermögen zu schützen, einfach wahnsinnig gut den Leuten zu suggerieren, dass es allen, die sich ein bisschen was erspart haben, an den Kragen gehen könnte.

Auch wenn es um Armut und MigrantInnen geht, dominiert genauso wie bei anderen Gruppen eine starke Stimmung, die sagt: Es geht nicht anders, wir haben keinen Platz für mehr Leute und wir haben keine Arbeitsplätze und wir haben dieses und jenes nicht. Es wird immer so getan, als wären das absolute Wahrheiten und nicht einfach Meinungen von ein paar bestimmten Leuten. Und ich glaube, es ist wichtig, deutlich zu machen, dass man alles auch ganz anders sehen kann und auch ganz anders lösen kann.

 zebratl: Gibt es Good-Practice-Beispiele aus anderen Ländern?

Michaela Moser: Ich glaube, was Armutsbekämpfung, Arbeitsmarkt und Migration, Integration – jetzt im positiven Sinn – von MigrantInnen betrifft, läuft es überall eher schlecht. Ich weiß aus unserer Arbeit im Europäischen Armutsnetzwerk von dieser starken Individualisierung, dass man immer die Mängel bei den Personen sieht, dass die etwas nicht können oder nicht wissen. Bei MigrantInnen hängt es sich am beliebtesten an der Sprache auf. Das ist schon eine sehr starke Tendenz, quer durch Europa. Und dass man viel weniger die strukturellen Hindernisse am Arbeitsmarkt sieht.

Österreich war die letzten Jahre wahnsinnig restriktiv, sogar gegenüber den EU-AusländerInnen aus Osteuropa, im Vergleich zu anderen Ländern, die auch die Arbeitskräfte gebraucht haben. Es ist oft, wie es früher mit den GastarbeiterInnen war, dass wenn Arbeitskräfte notwendig sind, dann ist es auch recht, dass Leute aus anderen Ländern das machen. Die einzigen Konzepte, die vorgelegt werden, sind die, dass man sich die bestqualifizierten ZuwanderInnen holt oder nur jene, die man für bestimmte Jobs braucht. Und das finde ich problematisch, weil dann die Zuwanderung nur aus den eigenen ökonomischen Interessen her betrieben wird und Menschen nur als Arbeitskräfte gesehen werden.

 zebratl: Welches Menschenbild würden Sie dem gegenüberstellen?

Michaela Moser: Ein ganzheitlicheres Menschenbild, das auch davon ausgeht, dass sich Menschen entwickeln können. Dass nicht nur die fix fertigen und jetzt genau richtig qualifizierten Arbeitskräfte kommen müssen. Denn erstens können sie sich entwickeln, was den Arbeitsmarkt betrifft. Und zweitens können verschiedene Menschen Unterschiedliches in die Gesellschaft einbringen.

zebratl: Sie und Martin Schenk schreiben in Ihrem neuen Buch2, dass für die Ablehnung von MigrantInnen nicht ihre Zahl an sich ausschlaggebend ist, sondern die Tatsache, dass es sich überwiegend um einkommensschwache Haushalte handelt.

Michaela Moser: MigrantInnen mit niedrigem Einkommen werden schnell als Sozialschmarotzer dargestellt und eignen sich offensichtlich sehr gut, um Neidkampagnen und Vorurteile zu schüren. Während natürlich niemand etwas dagegen hat, dass vermögende Stars, OpernsängerInnen und SportlerInnen zum Beispiel, bei uns leben.

zebratl: Wir haben jetzt von der nationalen und von der europäischen Ebene geredet. „Global“ – ist das auch eine Ebene, mit der Sie sich beschäftigen?

Michaela Moser: Auf der europäischen Ebene sind wir sehr stark im European Anti Poverty Network (EAPN) aktiv. Und wir sind auch global vernetzt. Wir haben an Weltsozialforen teilgenommen und versuchen Kontakt zu halten mit Organisationen in anderen Teilen der Welt. Weil es unsere Überzeugung ist, dass unsere Kämpfe zusammenhängen. Und dass es letztlich auch die gleichen Strukturen sind, die die Kluft zwischen Arm und Reich produzieren – national, europäisch und global.

 zebratl: Sie versuchen durch verschiedene Aktionsformen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zu erreichen. Es gibt unter anderem eine Initiative mit dem Löffel?

Michaela Moser: Der Slogan dieser Aktion lautet: „Es reicht für alle.“ Für uns ist diese Perspektive wichtig, allen sozusagen einen Löffel in die Hand zu geben, damit sie aus der Fülle an Möglichkeiten, die im Grunde ja da ist, schöpfen können und damit diese nicht reduziert wird auf wenige. Ich war vor ein paar Tagen bei einem Projekt, wo sich Lehrlinge aus verschiedenen Berufsschulen mit Armut und Reichtum beschäftigt haben. Da hat eine Klasse Sesseln aufgestellt in einer Reihe und alle haben sich drauf gesetzt. Und dann haben einige plötzlich total zusammenrücken müssen und einige haben gar keinen Platz mehr gehabt, weil eine gekommen ist und sieben Sesseln für sich reserviert hat. Das hat total super gezeigt: Ob es für alle reicht, hängt davon ab, wie man mit den Ressourcen umgeht.

 zebratl: Wir danken für das Gespräch.

 Michaela Moser, Theologin, Philosophin und PR-Beraterin, beschäftigt bei der Dachorganisation der Schuldenberatungen und seit vielen Jahren Mitarbeiterin der österreichischen Armutskonferenz.

 1   http://www.wege-aus-der-krise.at/

2    Moser, Michaela / Schenk, Martin (2010): Es reicht! Für alle! Wege aus der Armut. Wien: Deuticke

Mehr Texte: www.zebra.or.at/zebratl.html

KiG! Kultur in Graz dankt den ZEBRATL für die Kooperation

...




[Artikel/zebratl/14.12.2010]





    Artikel/zebratl


    26.01.2012 Ein Plädoyer für ethnische Medien

    15.11.2011 Bewegung im Land

    14.12.2010 Schwerpunkt: „Es reicht für alle"

    #modul=kig_rotation##where aktiv=1# #modul=kig_rotation#

    Volltextsuche
    KiG! Mailingliste: @

    CROPfm

    <#no_bild#img src={bild}>{text}
    <#no_bildklein#img src={bildklein}> {headline}





    KiG! lagergasse 98a - A - 8020 graz - fon & fax + 43 - 316 - 720267 KiG! E-Mail.