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Wir sind alle Schlümpfe
Aber wo kommt sie dann her? Fest steht: Ein spezifisches Juden-Gen gibt es nicht. Genauso wenig wie ein Deutschen- oder ein Türken-Gen.
Eine Frage, die an jeden bayerischen Stammtisch passt: Was passiert, wenn eine Blondine von Österreich nach Deutschland übersiedelt. Antwort: In beiden Ländern sinkt der Intelligenzquotient.
Da können gleich zwei Bevölkerungsgruppen nicht drüber lachen. Wahr ist die Behauptung deshalb noch lange nicht, denn es gibt keine Studien, die belegen würden, dass der durchschnittliche IQ von Blondinen höher liegt als der österreichische, aber niedriger als der deutsche. Und selbst wenn es so wäre, hieße das immer noch nicht, dass Österreicher, Deutsche oder Blondinen von Geburt an so begriffsstutzig oder so gescheit sind, wie sie in Witzen gern dargestellt werden.
Intelligenz „zu fünfzig bis achtzig Prozent erblich“?
Gepflegte Vorurteile kommen ohne Fakten aus. Gefährlich wird es erst, wenn diese von vermeintlichen Autoritäten nachgeliefert werden. Deutschlands Intelligenz sei kollektiv im Sinkflug, weil muslimische Migranten einen immer größeren Prozentsatz der Bevölkerung stellen, war die heftig diskutierte These der vergangenen Tage. Der gelernte Volkswirt Thilo Sarrazin unterfütterte sie in Interviews mit einer Handvoll Statistiken. Von da aus schlug er den Bogen zur Naturwissenschaft: Intelligenz sei nicht nur eine Frage des gesellschaftlichen Umfelds, sondern „zu fünfzig bis achtzig Prozent erblich.“ Aus der Sympathiekurve trug es ihn dann, als er auch noch die Bemerkung fallenließ, es sei schließlich bewiesen, dass „alle Juden ein bestimmtes Gen teilen“. Befragt, woher er das so genau wisse, gab er an, er habe das in der Zeitung gelesen; drei jüdische Mitbürger hätten es ihm außerdem schriftlich bestätigt.
Dies als die Privatmeinung eines notorischen Radaubruders abzutun, der in seinem Job bei der Bundesbank nichts anderes zu tun hat, wäre zu kurz gegriffen. In allen Meinungsforen der großen Medien dieses Landes findet Sarrazin breite Unterstützung. Die Medien selbst machten zu Beginn der Debatte nahezu einhellig Front gegen ihn. Selten haben öffentliche und veröffentlichte Meinung so auseinandergeklafft. Allein deshalb verdient der unter Berufung auf die Wissenschaft vorgetragene Aspekt seiner Behauptungen eine ernsthafte Auseinandersetzung.
Austausch mit der lokalen Bevölkerung
Angefangen mit der letztgenannten: Gibt es ein Gen, das alle Juden besitzen, aber andere Bevölkerungsgruppen nicht? Das kann man in dieser Schlichtheit vergessen. Beim Judentum handelt es sich einerseits um eine Glaubensgemeinschaft, die im Laufe ihrer langen Geschichte unter anderem im Vorderen Orient, Europa, Afrika, Nordamerika und sogar in China Heimat fand. Überall kam es zum Austausch mit der lokalen Bevölkerung. Genetisch verfolgen lässt sich beispielsweise die Abstammung des männlichen Y-Chromosoms; dabei stieß man unter anderem auf eine gemeinsame Linie, der heute siebzig Prozent der israelischen Juden und fünfzig Prozent der arabischen Palästinenser angehören.
Andererseits definieren sich Angehörige des jüdischen Glaubens auch als Volk mit gemeinsamen Wurzeln. Das steht nicht im Widerspruch zum eingangs Genannten: Statistisch gesehen finden sich bei ihnen manche Erbanlagen häufiger als bei Nichtjuden. Am bekanntesten ist das Beispiel der Aschkenasim, die vom fünften Jahrhundert an in Nord- und Osteuropa lebten und heute eine starke Gemeinde in den Vereinigten Staaten bilden. Ihr relativ enger Verwandtschaftsgrad ist mehrfach untersucht worden, vor allem deshalb, weil sie ein erhöhtes Risiko für erbliche Stoffwechselkrankheiten wie das Tay-Sachs-Syndrom tragen. Jüngste Erbgutanalysen, bei denen es nicht um Gene, sondern nur um kurze DNA-Abschnitte ging, zeigen außerdem, dass auch die aus Spanien und Portugal stammenden Sefarden und die im Orient beheimateten Juden genetische Gemeinsamkeiten besitzen, die in benachbarten Bevölkerungsgruppen seltener zu finden sind.
Komplexes Zusammenspiel von Anlagen und Umwelt
Ein spezifisches Juden-Gen gibt es also nicht. Genauso wenig wie ein Deutschen- oder ein Türken-Gen. Das ist auch nicht zu erwarten. Nur sehr wenige Eigenschaften des Menschen werden von einem einzigen Gen diktiert. Genetiker der ersten Stunde haben vor allem solche monogenen Merkmale studiert – mit der fatalen Folge, dass heute noch angebliche Gene für Frömmigkeit, Jähzorn oder Homosexualität durch die Medien geistern. Die auch schon oft wiederholte Wahrheit ist, dass praktisch alle physischen oder psychischen Attribute des Menschen durch ein komplexes Zusammenspiel von Anlagen und Umwelt hervorgerufen werden, die sich experimentell kaum voneinander trennen lassen.
Wie viel von unserem Verhalten bereits bei der Geburt angelegt ist und wie viel erst erlernt werden muss, ist eine Frage, die nicht einmal eine Serie von Kaspar-Hauser-Versuchen beantworten könnte. Man kann vielleicht schon an dieser Stelle Zweifel anmelden, ob eine Forschung, die erstens ohne überprüfbare Grundannahmen und zweitens ohne adäquate Werkzeuge auskommen muss, überhaupt sinnvoll ist. Aber so viel zeigt die Resonanz auf Sarrazins Thesen denn doch: Das Interesse an einfachen Erklärungsmustern ist riesengroß.
Intelligenztests setzen gute Sprachkenntnisse voraus
Dass es individuelle Unterschiede in der messbaren Intelligenz gibt, bestreitet niemand. Doch noch vor der Frage, ob das am Erbgut liegt, stellt sich eine andere. Was heißt Intelligenz? Und was heißt messbar? Die einzige Definition, auf die sich Psychologen bislang einigen konnten, lautet durchaus selbstreferentiell: Intelligenz ist das, was man mit Intelligenztests messen kann.
Manche Tests ermitteln nur die Geschwindigkeit, mit der Probleme gelöst werden. Andere spüren dem Sprachverständnis nach, dem Allgemeinwissen, dem räumlichen Vorstellungsvermögen oder dem logischen Denken. Am verbreitetsten ist ein Test, der nach dem amerikanischen Psychologen David Wechsler benannt wurde. Allerdings setzt er gute Sprachkenntnisse voraus, Gastarbeiter und Immigranten schneiden dabei automatisch schlechter ab. So gab es in den Vereinigten Staaten zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ernste Sorgen, die zahlreich ins Land strömenden italienischen Einwanderer könnten die Nation intellektuell in den Ruin treiben; tatsächlich hatten sie nur die Testfragen nicht verstanden. Innerhalb von dreißig Jahren gelang es ihnen mühelos, mit den Amerikanern gleichzuziehen.
Quelle: bzw. Artikel weiterlesen auf faz.net
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