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Spürst du dich?

Stella Rollig
Spürst du dich?

Das Leben beim Geschirrspülen finden

Der Hund hat räudige Stellen im Fell, die Katze wird durch die Küche geschleudert, und der ausgemergelte Vater duckt sich unter dem Angriff des massiven Körpers seiner Frau. Acrylvorhänge, Plastikblumen und Batterien geleerter Weinflaschen rahmen die häuslichen Szenen. Festgehalten sind sie auf manchmal unscharfen, manchmal grell ausgeblitzten Fotos, wie mit der Pocketkamera aus der Hüfte oder aus den Tiefen eines durchgesessenen Sofas geschossen. "Ray`s a Laugh" hieß die Fotoserie, mit der Richard Billingham, damals gerade Mitte zwanzig, 1996 zum Shooting Star der Kunst wurde. Die Bilder stammen, wenn wir den überlieferten Informationen trauen dürfen, aus der tristen Wohnküche der Billinghams in irgendeinem englischen Sozialwohnbau. Dem Unterschichtsburschen Richard B. trugen sie die begeisterte Akklamation der Kunstwelt ein, die sich unter anderem in einer Einzelausstellung in der renommierten Anthony-Reynolds-Galerie niederschlug, sowie in einer Titelgeschichte in Artforum.[1]

Etwa zur gleichen Zeit bekam das Kunstpublikum auch Einblick in den gediegenen Familienalltag des Schweizer Künstlers Stefan Banz: Gattin, Töchterchen, kleiner Sohn, Neubauwohnung, Spaziergänge im Grünen, Mahlzeiten, Kinderspiele. Vom Leben anderer Thirtysomethings in geordneten Verhältnissen unterschied dieses sich nur insofern, als es, wie die Welt der Billinghams, über Ausstellungsbetrieb und Kunsthandel der öffentlichen Anteilnahme zur Verfügung gestellt wurde.[2]

Ebenfalls Mitte der Neunziger erreichte die Amerikanerin Nan Goldin nach zwei Jahrzehnten Fotoarbeit endgültig Starstatus. Die Fotos ihrer "Familie", ihres Freundeskreises von Künstlern, Transvestiten, Drogenabhängigen, Musikern - Mitglieder einer sich als Subkultur verstehenden Szene - sind zum zentralen Inventar der zeitgenössischen Fotokunst geworden, eine große Retrospektive tourt seit 1997 durch die Museen der USA und Europas. [3]

Mögen bei den drei Genannten die Unterschiede im abgebildeten Milieu, vielleicht auch im künstlerischen Impetus, nicht zu leugnen sein, so interessiert mich hier die gemeinsame Deutung dieser Erfolgsgeschichten unter dem Focus unseres Themas: der Interpassivität. Es läge nahe, zumindest im Fall von Billingham und Goldin, befriedigte Neugier als Erklärung für die Resonanz anzuführen. Dabei ginge man von einem/r Mittelklasse-BetrachterIn aus, dem/r weder die proletarische noch die subkulturelle Sphäre vertraut ist. Je nach individueller Prägung wäre in diesem Fall der Blick ins Fremde von Abwehr oder Sympathie gefärbt. In einer besonderen Fügung hätten die Bilder sogar die Kraft, wie der Autor Jim Lewis über Billinghams Fotos schreibt, die eigenen Vorstellungen darüber zu verändern, was man lieben könnte. In unserem Zusammenhang interessieren mich aber nicht so sehr die dargestellten Sujets als vielmehr der Akt des Fotografierens und sein Gestus. Dieser ist von größtmöglicher Beiläufigkeit, und genau damit wird er nicht nur bei Billingham, Banz und Goldin zum eigentlichen Mittel der Publikumsverführung, sondern bei einer ganzen Reihe fotografierender bildender Künstlerinnen heute.[4]

Die Annahme, dass KünstlerInnen im Auftrag des behaupteten Kollektivs der "übrigen" Gesellschaft Kunst machen, ist eine der Konstanten in der Reflexion über die Rolle der Kunst seit Anbruch des bürgerlichen Zeitalters. Der Inhalt dieses Auftrags ist dabei wesentlich verschieden von der feudalen Auftragskunst: Es geht nicht mehr um die Ausführung bestellter Werke, sondern um das Erfüllen von Verhaltensweisen und Lebensarten, die dem Auftraggeber vorenthalten bleiben: Das Ausagieren subjektiver Bedürfnisse in der Freiheit von hierarchisch strukturierten Abhängigkeiten ist das Bild, das sich mit dem/r KünstlerIn nicht nur assoziativ verknüpft, sondern von ihm/ihr als StellvertreterIn für eigene unerfüllbare Wünsche verbindlich auszuagieren ist.

Das ist so, und ist längst obsolet. Doch die unterschiedlichen Maßstäbe, mit denen Kunst heute rezipiert wird - je nach Informationsgrad des Publikums - bedingen die Gleichzeitigkeit verschiedenster Vorstellungen, Erwartungen und Interpretationen. Da kann schon vor mehr als drei Jahrzehnten Andy Warhol publikumswirksam den Mythos vom heroischen und begnadeten Künstler lächerlich gemacht haben, da mag die Institutionskritik seit den Sechzigerjahren das Netz der Abhängigkeiten bloßgelegt haben, in denen KünstlerInnen ebenso gefangen sind wie alle anderen, da kann die integrale Schöpferfigur des individuellen Autors längst poststrukturalistisch zerlegt worden sein - Künstler und Künstlerinnnen haben ihre Sonderstellung doch behalten.

Kann das Phänomen der Interpassivität in der bildenden Kunst überhaupt nachgewiesen werden? Ja, wenn es uns gelingt, Praktiken aufzuspüren, denen einerseits eine Auftragserfüllung - wie unbewusst auch immer - zugrunde liegt, und die andererseits die heroische Geste der Übernahme einer solchen Last - die durch die bürgerlichen Projektionen auf KünstlerInnen wie oben beschrieben immer das Gewicht des existentiellen auf die Waage bringt - verweigern, mittels derer also nichts Großartiges vollführt und genau damit der Betrachter als Auftraggeber des interpassiven Prozesses befriedigt, ihm Erleichterung verschafft wird. Solche Vorgänge dürfen nicht mit einer weitverbreiteten Praxis in der zeitgenössischen Kunst verwechselt werden, die unter den Begriff der "Dienstleistung" gefasst wird. Zwei Beispiele: der thailändischen- amerikanischen Künstler Rikrit Tiravanija, der das Kunstpublikum im Rahmen seiner Ausstellungen zu bekochen pflegt, oder die Französin Marie-Ange Guillemignot, die etwa auf dem Skulpturen-Parcours in Münster 1997 eine Fußmassagen-Station einrichtete. Nur weil dem "Betrachter" in diesen Fällen Gutes zuteil wird, ist es keineswegs passiv. Im Gegenteil, erst seine oder ihre aktive Teilnahme stellt das Kunstwerk fertig.

Da es nach Robert Pfaller in interpassiven Prozessen um das Delegieren eines Akts der Trägheit geht, kann Kunst in diesem Sinn erst wirksam werden, wenn sie ihren Wert nicht unbedingt durch großen Aufwand - an geistigem oder körperlichen Einsatz - legitimieren muss. Dabei kommt unserer Untersuchung entgegen, dass Kraftakte in der heutigen Kunstproduktion ohnehin unmodern sind. Die anstrengende Suche nach authentisch-originären Ausdrucksformen darf in der aktuellen Avantgarde unterbleiben, seit "kreatives Töpfern" zum spöttischen Synonym für populäre Selbstfindungsmaßnahmen geworden ist. Auch der Bildhauer mit ausgeprägtem Bizeps fände sich nur mehr in Groschenromanen aus dem Kunstmilieu, wenn es solche gäbe.

Etwas herzustellen und dabei möglichst geringe Gestaltungskraft aufzuwenden, da wurde möglich durch technologische Produktionsmittel und deren Akzeptanz als Kunst- Medien. Diese Geschichte ist jünger, als man gemeinhin annimmt. Sie umfasst gerade die letzten drei Jahrzehnte, seit Fotografie und Video künstlerische Bilderzeugung übernommen haben. Wer auf die mehr als hundertfünfzigjährige Geschichte der Fotografie hinweist, sei daran erinnert, dass es in den Sechzigerjahren dieses Jahrhunderts noch radikal und kaum möglich war, eine Fotografie in einer Kunstgalerie zu zeigen.

Und nun Mitte der Neunziger, finden wir an diesen exklusiven Orten Fotos, die allen ästhetischen Regeln der Fotokunst widersprechen, die unscharf, mangelhaft ausgeleuchtet und nachlässig komponiert sind und die für ihre Sujets kein anderes Argument haben, als dass sie eben da - in der unmittelbaren Lebensumgebung der FotografInnen - gewesen sind. Es gibt einen Künstler, den man als Vorläufer dieser fotografischen Beiläufigkeit betrachten kann: Robert Frank. Seine Reportagen über "The Americans" und mehr noch die Bilder seiner Frau und seiner Kinder zeigen zwar einen lapidaren Stil, dennoch sind die aufgenommenen Personen bzw. die Szenen zu sehr als signifikant ausgewählt, um Frank nicht von seinen Nachfolgerinnen zu unterscheiden. Man könnte es als sein Pathos bezeichnen, was Greil Marcus so beschrieben hat: "die Wette (einzugehen). dass die Gesamtheit des Lebens so gut wie überall entdeckt werden kann".[5]

Diesen umfassenden Anspruch stellt Richard Billingham gewiss nicht. Während Robert Frank längst als Klassiker anerkannt ist, können Billinghams Fotos erst heute als Kunstwerke akzeptiert werden. Nicht zuletzt deshalb, weil ihre interpassiven Fähigkeiten einen Nerv unserer Zeit treffen und ein zentrales Bedürfnis des Publikums erfüllen. Ein ganz bestimmtes Lebensgefühl, ein diffiziler Kodex von Verhaltensregeln musste sich entwickeln, um das dafür notwendige Rezeptionsklima zu schaffen. Was genau ist es nun, welche Konsumtion, welcher Genuss, die in dieser Form interpassiver Kunst delegiert werden? Um dies zu klären ist es hilfreich, an das demographische Profil des Kunstpublikums zu erinnern, das mit Billingham, Banz oder Goldin überhaupt in Berührung kommt. Alle drei sind Proponenten jenes kleinen Segments von avanciertester Gegenwartskunst, das nur mit einem ebenso kleinen Bevölkerungssegment als Publikum rechnen kann. Wer sich mit dieser Kunst befasst ist entweder selbst professionell im System Gegenwartskunst verankert oder hat sich, ausgerüstet mit einem hohen Bildungsgrad bzw. einem Ankaufsbudget, für dieses Minderheitenprogramm entschieden, um sich bewusst von anderen abzugrenzen.

Dieser Drang zur unverwechselbaren Individualität ist ausführlich als treibender Motor der Konsumgesellschaft beschrieben worden. Der Kunsthistoriker und Kulturtheoretiker Walter Grasskamp spricht von einer "Strategie der Abgrenzung, die den Kern einer regelrechten Identitätsbesessenheit in der Massengesellschaft bildet, die man als das vielleicht entscheidende ästhetische Markenzeichen der Moderne ansehen darf." [6] Grasskamp schildert, wie der Konsum die Identität des modernen Menschen prägt. "Zeitgenossenschaft besteht nicht in einer historischen Geistesgegenwart, sondern realisiert sich durch den Erwerb von Waren, der richtigen Waren, versteht sich." [7] Mit dem finanziellen Aufstieg der breiten Mittelklasse hat der Konsum allerdings für die richtige Avantgarde jeglichen Glamour verloren. Seit an jeder Boutiquentheke Prosecco ausgeschenkt wird und jedes Kaufmannstöchterchen Gucci buchstabieren kann, muss die Vorhut der Distinktionssuchenden ein neues Verhalten entwickeln. Die Lösung findet sich im Abfeiern des Banalen, des Durchschnittlichen und Nebensächlichen, wie es nicht nur die bildende Kunst seit einigen Jahren prägt. In den frühen Neunzigerjahren entwickelten Schriftsteller, Filmer, Modefotografen und Musiker in allen Bereichen der Pop(ulär)kultur das Image des passiven Antihelden als Idol. Diese selbst in der Verweigerung ambitionslosen Durchschnittstypen bevölkern Douglas Couplands Roman "Generation X" (1991), Richard Linklaters Filme ("Slacket", 1991), die Songs von Beck ("I `m a loser, baby, why don`t you kill me") und Nirvana, sowie die Modefotos von Wolfgang Tillmans und Juergen Teller. Die Modevermarktung war überhaupt erstaunlich fix in der Umgebung dieses Trends: "Fcuk Fashion!" (sic!) ließ eine internationale Boutiquenkette auf ihre Fassade pinseln. [8] Nie zuvor bedienten sie einen so intensiven Austausch: Wolfgang Tillmans schoss gleichzeitig Fotostrecken für Vogue und stellte in Avantgardegalerien aus, Nan Goldin wurde für den Katalog des japanischen Designers Matsuda verpflichtet.

Die "Erlebnisgesellschaft", als die der Soziologe Gerhard Schulze den westlichen Mittelstand charakterisiert [9], hatten die KünstlerInnen ja längst vorweggenommen. Etwas ganz Besonderes sein, das Hier & Jetzt zelebrieren, Kreativität, Geschmack und Erlebnisintensität beweisen. Im Verlauf der Achtzigerdekade wurde schließlich jede/r zum Bonvivant und Connaisseur: ein Mitglied der "Ich kenn` da diesen ganz kleinen Bio-Weinbauern..."-Gesellschaft. In einem Essay beschreibt der deutsche Autor Michael Rutschky seine plötzliche Erkenntnis des gesellschaftlichen Wandels beim Anblick einer Gruppe, die nachmittags am Büfett im öffentlichen Schwimmbad die Sektflöten klingen lässt.[10]

"Mehr vom Leben haben" verspricht - oder fordert - sogar die Milchpackung und erlaubt dem Konsumenten damit nicht einmal mehr am Frühstückstisch einen Freiraum außerhalb des aktiven Life-Designs. Die Amerikaner haben uns einen Spezialausdruck voraus: "Quality Time" nennen sie den bewusst zelebrierten Moment.

Nun war die Avantgarde immer eine Fluchtbewegung vor dem nachrückenden Geschmack der Massen. Ihre logische Konsequenz heute: das Aufspüren der letzten nichtssagenden, nichtdefinierten, erlebnisfreien Momente. In einer nahezu alchemistischen Verwandlung macht die Kunst nun das Banale zum Sublimen. Hier entsteht das appropriate Lebensgefühl: "wenn ich mit meinem kleinen Sohn auf den Spielplatz gehe, in ausgebeulten Trainingshosen, Unterleibchen und den ungarischen Flip-Flops aus Plastik, leicht fettigen Haaren, weiß ich genau, was es heißt, sexy sein nach Madonna." [11] Man kann es auch mit Slavoj Zizek sagen: "Wer mit der Entfremdung spielen kann ist befreit. Hegelianisch ausgedrückt, wäre die Faszination darin, die absolute Individualität in größtmöglicher Allgemeinheit wiederzufinden. Also Ich sein, nicht indem man Gedichte schreibt und malt, sondern indem man im Supermarkt einkaufen geht." [12]

Wer in den letzten paar Jahren Kunstvereine und Galerien durchstreift hat, konnte solchen Szenarien gar nicht entkommen. Küchenfenster - und Autofahr- Videos, Fotografien von ungemachten Betten, Hunden, Aschenbechern, Blumen, abgegessenen Tellern und von Personen, die allem Anschein nach als Freunde oder Liebhaber des/r Fotografierenden einzustufen waren. Eine Schnappschuss-Ästhetik, deren unprätentiöse Präsentation mit dem Understatement ihrer Inhalte übereinstimmte: Meistens wurden die Bilder ohne Rahmen direkt an die Wand gepinnt. Die Botschaft: Ich, sagen die KünstlerInnen, ich bin auch nichts Besonderes. Schaut her: Ich mach` mir eine Dose Bier auf, oder ich wasche Geschirr ab. [13] Das ist es, das Leben. Und die Kunst findet mittendrin statt, man braucht nur ganz nebenbei auf den Auslöser zu drücken, vorherrschenden Informationsvermittlung im Format von Clips, Bits und Pieces. Attention Deficit Disorder ist eine Modekrankheit.

Währenddessen war und ist das Kunstpublikum immer noch mit seinem Distinktionsgewinn beschäftigt, lernt Wein zu schmecken, Kurzurlaube zu arrangieren und insgesamt "mehr vom Leben zu haben", mehr als die Nachbarn jedenfalls. Musste sich da nicht wohlige Erleichterung angesichts der neuen Grunge-Bilder einstellen? Supermärkte! Versaute Kinderzimmer! Überquellende Aschenbecher auf abgefutterten Küchentischen! Und hier ein Lebensgefährte, verschlafen und verdrückt, wie man den eigenen Bettgenossen nie so genau sehen will.

Ist man selbst schon mit gepflegtem Life-Design vollkommen ausgefüllt, so übernehmen im Ausgleich die KünstlerInnen den Genuss an den banalen Momenten. Und das Publikum dankt es ihnen.

Nun kann man diesen Trend zum Privatisieren natürlich mit Argumenten kritisieren, die auf seine gesellschaftliche Verantwortungslosigkeit zielen. In diesem Sinn schreibt Georg Schöllhammer. "Das vielleicht hervorstechendste Merkmal in der Praxis der Privatismus- KünstlerInnen ist, dass sie psychologisch letztlich regressiv und politisch im Grund repressiv erscheinen.(...) Der "Sinn", der Kontext dieser Arrangements von sozialer Erfahrung verschließen sich den BetrachterInnen, kapseln sich gleichsam in der good own chill-out-launch (sic!) und in kleinen privaten Witzchen ab, als gelte es, symbolisch irgendein herbeiphantasiertes "Wir" gegen ein kaltes, feindliches Außen zu verteidigen.(...) mit ihrer distanzierungssüchtigen Ironie gegenüber dem, was man eine breite soziale oder politische Agenda nennen könnte, erscheinen sie aber auch harmlos." [14]

Vielleicht ist es ergiebiger, statt in einer Zeit der ohnedies zur politischen Folgenlosigkeit verurteilten Kunst eine solche Agenda vergeblich einzufordern. Gesellschaftsuntersuchungen mittels Rezeptionsanalyse zu betreiben. Wenn wir also der Aufwertung des Banalen, Nicht-Spektakulären, "Privaten" offenbar Attraktion zugestehen müssen, so lässt dich dies als zumindest herbeigewünschte Verweigerung des Konsum- und Erlebniszwangs lesen - womit, da sei zugegeben, noch nichts über Konsequenzen im politischen Handeln gesagt ist. Heute zeichnet sich allerdings bereits ab, dass diese erfolgreiche interpassive Übertragung im Bereich der Kunst nicht mehr lange funktionieren kann. Ein kurzer historischer Moment ist ihr gegönnt zwischen den hinter uns liegenden friktionsfreien Wohlstandsjahren und sich rapide verschärfenden Lebensumständen. Sobald die Zeiten härter werden und die Delikatessenhändler und Erlebnisanbieter ihre Klientel einbüssen, ist es mit dem "Aldi-Schick" ohnehin vorbei.

Der unvermeidliche Hipness-Verschleiss dagegen ereilt jeden ästhetischen Trend, während er sich von der Avantgardegalerie in den Versandhauskatalog verlagert, Mit zunehmendem Tempo der Erfassung differenter Ausdrucksweisen durch Mainstream- Medien und die Werbung wird der Handlungsspielraum für Abweichler immer schneller eingeschränkt - neuerdings inkorporieren die Erfinder von Plakatkampagnen bereits Fake-Graffiti in ihre Entwürfe. [15]

 

[1] Richard Billingham:"Ray`s a Laugh". Scalo, Zürich Berlin New York 1996; Jim Lewis:²No Place Like Home. The Photographs of richard Billingham², in Artforum, Januar 1997.

[2] Stefan Banz: "Give me a Leonard Cohen Afterworld². Cantz, Osterfildern 1995.

[3] Nan Goldin: "I´ll Be Your Mirror². Scalo, Zürich Berlin New York 1997.

[4] Ich bevorzuge die Bezeichnung KünstlerInnen gegenüber FotografInnen, da die meisten mit verschiedenen Medien arbeiten.

[5] Greil Marcuse: "On the road again. Robert Frank, driving and crying². In: Artforum, November 1994.

[6] Walter Grasskamp. "Der lange Marsch durch die Illusionen. Über Kunst und Politik", Beck, München 1995, S.44.

[7] A.a.o., S 45.

[8] Natürlich las jede/r "Fuck Fashion", dabei stand die Buchstabenkombination angeblich für "French Connection United Kingdom".

[9] Gerhard Schulze: "Die Erlebnisgesellschaft". Campus, Frankfurt u.a. 1992.

[10] Michael Rutschky: "Kühle Lüste. Bericht aus dem Hallenbad". In "Reise durch das Ungeschick". Haffmann, Zürich 1990. S.235.

[11] Susanne Gargele: "Pop a`la mode - einige Bemerkungen zu Kunst und Mode". In: "Esprit d`amusement", Grazer Kunstverein 1994.

[12] "Das Glück, nicht ich sein zu müssen". Slavoj Zizek om Interview mit Ulf Poschard. Süddeutsche Zeitung Magazin 15.3.1996.

[13] Das Geschirrspülen als paradigmatischer Null-Moment scheint sich als Beispiel in der Argumentation um Interpassivität anzubieten: siehe dazu Robert Pfaller. Der Aufforderung zur Subjektwerdung wird nicht nachgekommen. Anrufung und Interpassivität (inpubl. Manuskr.), Anm. 11.

[14] Sabine Bitter/Helmut Weber/Georg Schöllhammer. "On Formation. On Condition". Wien 1997.S.6.

[15] S. die Werbeplakate für das Getränk Sprite. Österreich 1997.

 

Aus: Robert Pfaller (Hrsg.), Interpassivität. Studien über delegiertes Genießen, Springer-Verlag, Wien New York, 2000; 39-47

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[Artikel/vielosofis/30.11.2002]





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