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Daniel Diemers: Die Zukunft der Arbeit

Das 21. Jahrhundert

Die Multioptionsgesellschaft

Unsere Gesellschaft befindet sich momentan in einem Zustand der Verflüssigung und Neuformation. Peter Gross hat diese Quintessenz in seiner Gesellschaftsanalyse, die er mit dem Übertitel "die Multioptionsgesellschaft" bezeichnet, sorgfältig herausgearbeitet. Der Mensch des 21. Jahrhunderts sieht sich konfrontiert mit einem Mehr an Optionen in allen Lebensbereichen. Wo früher Traditionen und kulturelle Gefässe als Obligationen eine Anleitung für die Fragen des alltäglichen Lebens gaben, muss heute mit einem permanenten Druck aus Entscheidungen, Neuentscheidungen, Nicht-Entscheidungen und Re-evaluation von einmal gefällten Entscheidungen gelebt werden.

Neben Gesellschaftsanalysen, die auf Aspekte der Transkulturalität, Multikulturalität, Risiko, Freizeit oder Wissen eingehen, und diese in das Zentrum der Analyse stellen, geht der Ansatz der Multioptionsgesellschaft von der alltäglichen Situation des Handelnden in der modernen Gesellschaft aus und beschreibt diese fundamentale, kulturelle Dynamik durch die integralen Prozessen der Enttraditionalisierung, Optionierung und Individualisierung.

Enttraditionalisierung

Mit dem Prozess der gesellschaftlichen Enttraditionalisierung wird der Legitimationsverlust von Traditionen und die Entbettung des modernen Menschen aus überkommenen kulturellen Gefässen verstanden. Waren einst Traditionen und überlieferte Gewissheiten strukturelle Bedingungen der Stabilität unsere alltäglichen Lebenswelt, sieht man sich heute plötzlich aus Selbstverständlichkeiten herausgeworfen und muss neue Orientierungsmuster entwickeln, um Entscheide zwischen gleichwertig gewordenen Alternativen zu fällen.

Optionierung

Eng mit dem Prozess der Entobligationierung resp. Enttraditionalisierung verbunden ist der Prozess der Optionierung, worunter die in allen Lebensbereichen beobachtbare Vervielfältigung von Orientierungs- und Handlungsmöglichkeiten verstanden wird. Nur die Erosion von Traditionen, kulturellen Handlungsvorgaben und gemeinschaftlichen Bindungen haben zur gegenwärtigen Situation der Multioptionsgesellschaft geführt, in der wir jeden Tag bei alltäglichen Entscheidungen unter dem Druck von unzähligen Alternativen stehen.

Individualisierung

Angesichts der Enttraditionalisierung und Optionierung wird das Individuum zunehmend auf sich selbst zurückgeworfen und sieht sich als Folge des Prozesses der Individualisierung plötzlich als höchste und wichtigste kulturelle Währungseinheit. Doch gerade durch die Autonomisierung des Handelns – welche durch die Enttraditionalisierung und Optionierung potenziert wird – wird der heute so oft beklagte Zustand der Ungewissheit erzeugt, so dass man versucht ist, von durch die Moderne systematisch selbsterzeugten Kontingenzen zu sprechen.

Die Kontingenzen der Globalisierung

Ausgehend von der kulturellen Dynamik der Multioptionsgesellschaft, die durch Transformation unserer kulturellen Gefässen neue Wirklichkeiten erzeugt, sehen wir uns täglich durch zunehmend grösser werdenden Ungewissheiten herausgefordert. Neben dieser rein kulturellen Dynamik wird die tiefgreifende Transformation von Gesellschaft, Staat, Wirtschaft und Wissenschaft auch durch technologisch induzierte Prozesse vorangetrieben. Beispiele für solche Prozesse sind die vielfältigen Entwicklungen und Konsequenzen, die sich hinter den etwas unscharfen Begriffen Globalisierung und Virtualisierung verbergen.

Beispielsweise lässt sich die Globalisierung als transformierender Prozess auf Basis gesteigerter, technologischer Optionen interpretieren. Die zunehmende Leistungsfähigkeit technischer Überbrückungsmöglichkeiten für Distanzen im physischen Raum hat in gewissen Bereichen zu einer Enträumlichung resp. zu einem Verschwinden des physischen Raums geführt. Dadurch verliert die räumliche Konstellation mehr und mehr an Bedeutung und Distanzen schrumpfen zu kalkulierbaren Reisezeiten. Zusätzlich dazu werden durch neue Informations- und Telekommunikationstechnologien bisher nicht vorhandene Interaktionsräume eröffnet, so dass der physische Raum zunehmend durch virtuelle Kommunikations- und Interaktionsräume substituiert wird.

Doch als Folge dieses technologisch induzierten Prozesses erleben wir in allen Bereichen auch eine deutlich gestiegene Volatilität, welche aus der zunehmenden gesellschaftlichen und politischen Deregulierung und der Beschleunigung der technologischen Innovationszyklen resultiert. Als Folge dessen befindet sich der Mensch des 21. Jahrhunderts mehr und mehr in einem Zustand der permanenten Informationsüberflutung und –überlastung, so dass es immer schwieriger wird, rationale, nicht-intuitive Entscheide auf Basis einer methodischen Informiertheit zu fällen. Diese Entwicklung steht interessanterweise in Opposition zu den allgemeinen Tendenzen, die unter den Stichworten der Informations- resp. Wissensgesellschaft diskutiert werden.

Die gesteigerte Volatilität führt beim Individuum jedoch auch zu einer zunehmende Ungewissheit und Orientierungslosigkeit, so dass es nun darum gehen sollte, die fundamentalen Dynamiken zu verstehen, welche zu den oben genannten Phänomenen führen, um in einem zweiten Schritt Konzepte zu entwickeln, die mit der heutigen und vor allem der zukünftigen Entwicklung besser fertig werden. Einer der Kernprozesse dieser Kontingenzsteigerung, die im Rahmen der Multioptionsgesellschaft und der Globalisierung diskutiert wird, ist der Prozess der Virtualisierung. Dieser Prozess ist m.E. die eigentliche Kerndynamik für das 21. Jahrhundert, so dass man versucht sein könnte von einem eigentlichen Zeitalter der Virtualität zu sprechen. Der nächste Abschnitt behandelt diesen Kernprozess anhand eines konkreten, analytischen Modells: die virtuellen Triade.


Das Zeitalter der Virtualität

Die virtuelle Triade

Der Ursprung des Begriffes "virtuell" resp. "Virtualität" findet sich im lateinischen Wort virtualiter, das vom englischen Franziskanermönch und Spätscholastiker Duns Scotus in seinem umfangreichen Lebenswerk als Begriffspaar realiter und virtualiter entwickelt und in den wissenschaftlichen Diskurs eingebracht wurde. Das Adjektiv "virtuell" soll an dieser Stelle schlicht mit "in digitaler Form gespeichert und nur durch technische Hilfsmittel erfahrbar" definiert werden. Unter "Virtualisierung" soll dann in einer umfassenderen Perspektive folgendes verstanden werden: "Virtualisierung ist der Prozess der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung von Daten und Medien, wodurch virtuelle Realitäten erzeugt werden, die mehr und mehr zu einem Bestandteil des täglichen Lebens werden und die nicht-virtuelle Lebenswelt zunehmend durchdringen".

Ausgehend von dieser Terminologie ist die virtuelle Triade ein prozessorientiertes Modell, innerhalb dessen technologische Entwicklungen in verschiedenen Bereichen integriert und die daraus entstehenden gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen analysiert werden können. Dabei wird davon ausgegangen, dass in den nächsten Jahrzehnten das Bedürfnis nach soziologisch informierten Perspektiven auf neue Medien und Telematik zunehmen wird. Gerade als Entscheidungsträger in Wirtschaft und Verwaltung kann dadurch eine erhöhte Sensibilität gegenüber den Prozessen innerhalb der virtuellen Triade erreicht werden. Diese Sensibilität wird im Rahmen eines immer turbulenter werdenden Umfeldes, welches durch neuartige Kontingenzen geprägt ist, zunehmend wichtiger.

Virtualisierung

Wie bereits oben festgelegt, erzeugt der Prozess der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung von Daten und Medien virtuelle Realitäten, die mehr und mehr zu einem Bestandteil unserer täglichen Lebenswelt werden. In diesen neuen, virtuellen Räume können Menschen des 21. Jahrhunderts sich bewegen, interagieren, arbeiten und kommunizieren. Es entsteht somit eine neue Dualität zwischen dem virtuellen und nicht-virtuellen (um nicht sagen zu müssen: realen) Raum.

Cyborgisierung

Mit dem Prozess der Cyborgisierung ist die zunehmende Verschmelzung von Mensch und Maschine angesprochen, in dessen Verlauf der Mensch zu einem Cyborg, einem Mensch-Maschine Hybrid wird. Mit Hilfe von verschiedensten invasiven Technologien durchleuchten und verändern wir unseren Körper immer tiefer, und es erfolgt eine zunehmende Prothetisierung und Substituierung der natürlichen, biologisch auferlegten Körperhülle.

Bionisierung

Der Prozess der Bionisierung beschreibt die Angleichung der Maschine an den Menschen und die Natur, dadurch dass technologischen Artefakten mehr und mehr menschliche oder biologische Elemente und Eigenschaften verliehen werden. Der theoretische Endpunkt der Bionisierung ist die vollendete künstliche Intelligenz resp. künstliche Lebewesen.

Virtualität als neues Paradigma

In Anbetracht dieser vielseitigen Dynamik der Virtualität kann von einer eigentlichen paradigmatischen Qualität ausgegangen werden. Die gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Multioptionierung durch Virtualität, die sich auszeichnet durch Ortlosigkeit, Zeitlosigkeit, Entkörperlichung und vor allem der Schaffung neuer Interaktions- und Handlungsräume, wird mehr und mehr zu einer allesdurchdringenden, omnipräsenten Leitidee.

Die Art und Weise, wie wir in modernen Industriegesellschaften leben, zusammenleben, Gemeinschaften bilden, kommunizieren, arbeiten, wohnen, reisen und nicht zuletzt unsere Freizeit verbringen, wird in steigendem Masse durch die Technologien und Prozesse der virtuellen Triade beeinflusst und transformiert. In diesem Sinne soll im weiteren von der Virtualität als neues Paradigma ausgegangen werden.


Auswirkungen auf die Wirtschaft

Die Dekomposition der Unternehmung

Auch in der organisationalen Praxis haben sich die Auswirkungen der Multioptionierung bemerkbar gemacht. Waren vor einigen Jahrzehnten noch eine Reihe stringenter Organisationskonzepte praktikabel und im wirtschaftlichen Kontext vertretbar, so sehen wir uns heute einer schier unübersichtlichen Vielzahl von Organisations-Optionen gegenüber, aus denen dann ein möglichst erfolgreiches Konzept ausgewählt werden muss. Fraktale Fabrik, Cluster-Organisation, infinitely-flat organization, Adhokratie, Prozessorganisation, Netzwerkorganisation, Viable-Systems Modelle, circular organization und nun auch virtuelle Unternehmen, virtuelle Fabriken und viele mehr vergrössern den Handlungsspielraum, aber auch den Handlungsdruck in der Wirtschaft.

Die zentrale Idee jeglicher virtuellen Organisationsform ist der Gedanke eines nicht-hierarchische Netzwerks. Schräder erweitert diese Definition vor allem hinsichtlich des wichtigen heterarchischen Aspekts und liefert folgende Definition: "Ein virtuelles Unternehmen ist ein virtuelles, heterarchisches, zunächst auf die Ausnutzung einer temporären Marktchance gerichtetes Unternehmungsnetzwerk, das selbst alle Unternehmungseigenschaften aufweist".

Wirtschaftshistorisch betrachtet verfolgt der Ansatz des virtuellen Unternehmens das von Adam Smith herausgehobene Grundprinzip der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und führt diese über eine noch stärkere Spezialisierung auf eine weitere Stufe der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung. Kernaktivitäten einer Unternehmung werden nicht mehr innerhalb hierarchisch gegliederten, vordefinierten Strukturen bewältigt, sondern über eine problembezogene, dynamische Verknüpfung von virtuell erschliessbaren Ressourcen. Eine solche Verknüpfung kann Teile einer Unternehmung betreffen oder aber die Unternehmung als ganzes. Einzelne Teile lösen sich nach Abschluss eines Projektes resp. Auftrags wieder auf oder passen sich über eine dynamische Rekonfiguration an neue Aufgabenstellungen an, verfügen also über Elemente einer Selbstorganisation.

Es ist jedoch wichtig darauf hinzuweisen, dass es die virtuelle Organisation gar nicht gibt. Vielmehr sind wir in der Praxis mit verschiedenen, hybriden Variationen rund um die Kernidee einer virtuellen Organisationsform konfrontiert. Gleichzeitig findet bei der virtuellen Unternehmung eine Verflüssigung der Organisation und eine Verflüssigung der Unternehmensgrenzen statt. Es ist nicht mehr klar definierbar, wer sich über die ganze Dauer eines Projektes innerhalb oder ausserhalb der virtuellen Unternehmung befindet. Die Unternehmungsgrenzen werden somit zu einem semipermeablen Membran und die virtuelle Unternehmung wird zu einer idealtypischen Zielvorstellung einer in jeglicher Hinsicht grenzenlosen Unternehmung.

E-Commerce und Flexibilisierung

Betrifft der Ansatz der virtuellen Organisation resp. Unternehmung vor allem die Art und Weise, wie wirtschaftliche Unternehmen organisiert sind, gehen die Entwicklungen, die unter dem Stichwort E-Commerce gegenwärtig diskutiert werden, noch einen Schritt weiter. Entsprechend der Dynamiken der Virtualisierung werden mehr und mehr Funktionen und Prozesse von Unternehmungen in den virtuellen Raum ausgelagert. Im Rahmen einer eigentlichen Virtualisierung der Wertschöpfungskette werden Marketing, Unternehmenskommunikation, Verkaufstransaktionen und Kundensupport in virtuellen Interaktionsräumen ausgeführt. Im Bereich von Dienstleistungsfirmen kann mit kalkulierbarem Aufwand sogar eine vollständige Integration der Wertschöpfungskette in virtuellen Räume realisiert werden.

Einher mit den Entwicklungen im Bereich E-Commerce geht der allgemeinere Prozess der Flexibilisierung der Arbeit, von dem sowohl Arbeitnehmer wie Arbeitgeber erfasst sind. Neben der naheliegenden Arbeitsform des Telework, sind es auch kulturell bedingte Dynamiken, die eine Flexibilisierung begünstigen. Peter Gross hat diese Tendenzen unter dem Stichwort "das Ende der monogamen Arbeit" zusammengefasst. Damit ist das Phänomen gemeint, dass die Idee einer lebenslangen Beschäftigung bei einem Arbeitgeber und die lebenslange Arbeit im einmal gelernten Beruf obsolet sind angesichts der umgreifenden Flexibilisierung der Arbeitswelt. Im Laufe eines Arbeitslebens muss vermehrt damit gerechnet werden bei einer Vielzahl von Unternehmen und in verschiedenen Berufen zu arbeiten.

Ein in diesem Sinne sequentielles Arbeitsportfolio ist bald eher die Regel als die Ausnahme. Und diese Entwicklung wird verschärft durch das sogenannte "Portfolio-Work", in dem ein paralleles Arbeitsportfolio von verschiedenen Beschäftigungen und Aktivitäten gehalten wird. Es ist offensichtlich, dass diese Entwicklungen in höchstem Masse kompatibel sind mit den obigen Ausführungen zu virtuellen Organisationsformen, der Tendenz zur kulturellen und wirtschaftlichen Globalisierung und dem Konzept einer Multioptionsgesellschaft.

Eine entsprechende Flexibilisierung auf Seiten der Entscheidungsträger in Wirtschaft und Verwaltung kann unter dem Stichwort Kontingenzmanagement subsumiert werden. Mit der Zunahme der Volatilität der Märkte präsentiert sich das Wirtschaftsumfeld mehr und mehr als komplexes, hochkontingentes System, das in seinen Turbulenzen immer schwerer prognostizierbar wird. In Anbetracht dieser gestiegenen Kontingenzen und Volatilitäten wird ein neues Management-Denken benötigt. Dies bedeutet vornehmst ein Umdenken auf der Führungsebene und die entsprechende Veränderung der Unternehmungskultur. Es muss ein neues Kontingenzbewusstsein angestrebt werden und eine Verlagerung weg vom althergebrachten Rezept-Denken, hin zu einem flexibleren Denken in Kontingenzen und Varianten. Führungskräfte und Entscheidungsträger benötigen ein gezieltes Training im Hinblick auf ein Management unter Bedingungen der Unsicherheit.


Konklusion

Szenario: Die Zukunft der Arbeit

In diesem Exposé wurde die These erarbeitet, dass die Zukunft der Arbeit zu einem bedeutenden Teil von den vielfältigen Entwicklungen und Konsequenzen beeinflusst wird, die gegenwärtig unter dem Stichwort der Virtualität diskutiert werden. Mit dem hier vorgestellten Modell der virtuellen Triade, die auf den drei Kernprozessen der Virtualisierung, Cyborgisierung und Bionisierung beruht, wurde ein entsprechender Analyserahmen herangezogen.

Durch den Prozess der Virtualisierung werden virtuelle Realitäten und virtuelle Welten zu einem festen Bestandteil unserer alltäglichen Lebenswelt. Je nach individueller Tätigkeit und Neigung verbringt der Mensch des 21. Jahrhunderts einen beträchtlichen Teil des Tages in virtuellen Welten, in denen gearbeitet, kommuniziert, informiert und unterhalten wird. Nach dem Ende der monogamen Arbeit ermöglicht Telework dem Individuum in der modernen Gesellschaft als Infopreneur zur "one-person company" zu werden und ein vielfältiges Portfolio an wertschöpfenden Tätigkeiten auszuüben.

Gleichzeitig dazu erfolgt im privaten Bereich eine Bedeutungsabnahme der unmittelbaren, geographischen Nachbarschaft und der familiären Netzwerke, wodurch es zu einer schrittweisen Auflösung von althergebrachten gemeinschaftlichen Strukturen kommt. Durch die Virtualisierung entstehen jedoch alternative Kommunikationsformen und soziale Netzwerke, die orts- und zeitunabhängig das Erleben von zwischenmenschlichen Beziehungen und Gemeinschaft ermöglichen. Und so entstehen durch den Prozess der Virtualisierung neue soziale Räume in virtuellen Welten, welche den Cyborgs des 21. Jahrhunderts als Alternative und Ergänzung zur nicht-virtuellen Lebenswelt zur Verfügung stehen.

Diese technologisch induzierten Entwicklungen müssen dabei vor dem Hintergrund der kulturellen Dynamik unserer modernen Multioptionsgesellschaft verstanden werden, welche sich durch die triadischen Prozesse der Enttraditionalisierung, Optionierung und Individualisierung auszeichnet. Als Folge dieser Entwicklungen ergeben sich eine Vielzahl von gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Fragestellungen und Herausforderungen, die so rasch als möglich identifiziert, untersucht und in den gesellschaftlichen Diskurs eingebracht werden müssen.

Aus meiner Sicht und im Rahmen meiner Forschungsbemühungen stehen dabei folgende Fragestellungen momentan im Zentrum:

a) Im Verlaufe der Prozesse der Virtualisierung und Globalisierung wird es vermehrt zu medial vermittelter Kommunikation zwischen Menschen kommen. Zwangsläufig wird dadurch der Anteil der unmittelbaren, face-to-face Interaktion abnehmen. Welche Auswirkungen und Folgen wird dies für unsere Gesellschaft und die zwischenmenschlichen Beziehungen haben, durch welche ebendiese eigentlich definiert ist? [ bsp. Call Centers, Online Addiction, Isolation, Handicapped...etc]

b) In welcher Art und Weise wird es im Zuge dieser Entwicklungen zu einer Rekonfiguration der individuellen, sozialen Netzwerke kommen? Welche Rolle spielen dabei Solidarität, Identität, Mobilität, primär sozialisierte Wissensbestände und kulturelle Schranken? [ bsp. Virtual Communities, Konvergenz von Kultur und Sprache, Multiple Identities/Identity Workshops... etc.]

c) Was bedeuten die gezeichneten Entwicklungen für die neue Urbanität resp. die Stadt der Zukunft? Welche gesellschaftlichen Funktionen werden dabei weiterhin im geographisch abgegrenzten Rahmen wahrgenommen und welche tradierte Funktionen werden dabei obsolet? [ bsp. Telepolis, e-topia, de digitale stad...etc.]

d) In Zusammenhang mit den Prozessen der Globalisierung und der Virtualisierung treffen zwei konträre, oppositionale Tendenzen aufeinander: einerseits, die Schwerpunktverlagerung auf eine globale, transnationale Skalierung der modernen Gesellschaften mit einhergehender, gesteigerter Überbrückungsmöglichkeit von Distanzen durch Technik, andererseits die Tendenz zur vollständigen geographischen Enträumlichung und Ortlosigkeit durch virtuelle Konstruktionen für soziale Interaktionsräume [ bsp. death of distance, Telework, e-commerce, multinationale Unternehmen, expats, exchange traders...etc.]

e) Welchen Stellenwert wird die Konzeption von "Arbeitslosigkeit" im 21. Jahrhundert haben? Der Begriff lässt sich nur schwerlich vereinbaren mit den zur Zeit diskutierten Ideen über "Portfolio Worker", "Knowledge Worker", "One-person Companies" und "Telework". [ bsp. Transformation der Wirtschaft, Neuverteilung der Arbeit, neue Nischen in Irland, Indien, Russland, Brasilien,...etc]

f) Wird es im Rahmen der Prozesse der virtuellen Triade zu einer Neostratifikation kommen? Was passiert mit denjenigen Menschen (bei uns/auf der ganzen Welt), die keinen Zugang zu den notwendigen Ressourcen in den Bereichen technische Infrastruktur, Finanzierung und Wissen haben? [ bsp. Off-line vs. On-line people, elite cybernetique, 1. Welt vs. 3. Welt...etc.]




Über den Autor

Daniel Diemers
Seminar für Soziologie SfS
Tigerbergstrasse 2, 9000 St. Gallen
+41 71 224 28 17
daniel.diemers@unisg.ch
URL: www.diemers.ne



Literaturempfehlungen

Daniel Diemers, Kontingenzmanagement, Frühwarnsysteme & Virtualität. In M. Henckel v. Donnersmarck, & R. Schatz (Hrsg.): Frühwarnsysteme, Innovatio 1999.

Daniel Diemers, Die virtuelle Triade. Die neuen Kernprozesse der Multioptionsgesellschaft. In GDI-Impuls, 4/1999.

Daniel Diemers, Die virtuelle Triade. Mensch, Gesellschaft und Virtualität, (erscheint Ende 2000)

Peter Gross, Die Multioptionsgesellschaft, Suhrkamp 1994.

Peter Gross, Die Multioptionsgesellschaft: Das Ende der monogamen Arbeit. In Kunst & Kultur, Heft 1, 1996.

Peter Gross, Ich-Jagd. Im Unabhängigkeitsjahrhundert, Suhrkamp 1999.

Niklas Luhmann, Beobachtungen der Moderne, Westdeutscher Verlag 1992

Armin Pongs, In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich? Gesellschaftskonzepte im Vergleich, Dilemma 1999...




[Artikel/vielosofis/20.01.2005]





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