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Vom Vermögen - Gedanken zur sozialen Grundsicherung

von Franzobel

Morden ist das Natürlichste der Welt. Der Mensch ist eine Bestie, ein brutales Überlebens-Beutetier, dem es die längste Zeit seiner Entwicklung völlig selbstverständlich war, zu rauben, zu morden, zu vergewaltigen. Erst einer enormen kulturellen und geistigen Leistung ist es zu verdanken, dass wir heute, zumindest einige von uns, nach Frieden und sozialer Gerechtigkeit streben und sogar über die Möglichkeit einer sozialen Grundsicherung, die finanzielle Sicherung eines Individuums auf kulturell angemessenem Niveau, diskutieren. Aber ist die möglich? Wirtschaftlich schon, Modelle gibt es da genug. Doch geistig? Haben wir schon die Vorraussetzungen dafür, sind die Bestien in uns bereits genug gezähmt?
Würde so eine Welt mit einer bloß geringen sozialen Schere denn auch funktionieren? Wer würde etwa, wenn jedem monatlich 1000,- Euro zugesichert sind, die Drecksarbeit noch tun? Die Kanalisation räumen oder in den Schlachthöfen den Hühnern und Truthähnen die Köpfe abschneiden wollen? Denn ein Traumberuf, wo sich jemand selbst verwirklicht, wird das ja kaum je sein. Würde, wenn wirklich jeder 1000 Euro monatlich bekäme, etwas anderes als die Unterhaltungsindustrie gefördert, das Biertrinken, der Fußball und die Pornowirtschaft? Und warum sollten Kinder dann noch in die Schule gehen, wenn sie wüssten, dass sie später einmal ohnehin nicht arbeiten müssten, wenn sie nicht wollten? Warum jeden Morgen aufstehen in aller Herrgottsfrüh? Warum noch Hausaufgaben machen? Lernen? Und wären die Menschen dann wirklich zufriedener? Wären sie nicht vielmehr stillgelegt? Beruhigt? Lauter Nichtstuer?
Tendiert der Mensch denn nicht zur Trägheit? Und würden wir, sobald der Existenzdruck wegfällt, nicht bald in einer Idiotengesellschaft enden, in der alles kaputt gegangen ist, nicht einmal die einfachsten Dinge noch funktionieren? Niemand bräuchte etwas tun, was er nicht wollte. Niemand müsste sich mehr prostituieren. Ginge das? Natürlich ist es reizvoll, in einer Gesellschaft, in der der Slogan "Arbeit macht frei" Millionen vernichtet hat, diese Parole einfach umzukehren, aber ist nicht auch die Propagierung der Nicht-Arbeit gefährlich? Droht dann nicht die Dekadenz, der völlige Verfall?
In österreichischen Schulen war es Lehrern bis vor kurzem möglich, sich unter finanziell erträglichen Bedingungen, ein Jahr lang karenzieren zu lassen. Das Erstaunliche dabei: kaum jemand hat davon Gebrauch gemacht, hat diese Chance für sich genützt. Die Gründe mögen vielfältig sein, der wichtigste aber wird sein, dass wir uns über die Arbeit definieren, der Erfolg die Attraktion bestimmt, den Sex-Appeal, es ganz tief in uns steckt, uns von den anderen zu differenzieren.
Immer noch strebt der Mensch, wenigstens der Mann, nach Macht, um a) geliebt zu werden und b) sich möglichst häufig genetisch zu reproduzieren. Kann es sein, dass in den Männern noch ein Rest Revierbesessenheit steckt, es ähnlich wie bei Hirschen röhrt, wo auch immer nur ein Bulle über alle Kühe steigt, während seine Konkurrenten leer ausgehen? Kann es also sein, dass trotz aller kulturellen Entwicklung der einzelne immer noch mehr haben muss als alle anderen, die grundgesicherte Gleichheit also seiner ureigensten Natur zuwider läuft - was bei körperlichen oder sonst welchen Attraktivitäts-Devianzen noch zusätzliche Beschleunigung erfährt. Braucht der solcherart Zurückgesetzte dann nicht einen materiellen Bonus. Wird sich nicht der Vogel mit dem weniger bunten Gefieder bemühen, ein besonders schönes Nest zu bauen? Waren nicht die meisten Diktatoren klein? Und ist das nicht ein Grundantrieb der Menschheit generell? Fragen nach einer gleichberechtigten, offenen Gesellschaft kommen also um Sexualität und Partnerschaft nicht umhin. Wobei hier die Entwicklung von der Sippe über die Groß- zur Kleinfamilie und schließlich zum Alleinverein festzustellen ist.
Und dieser einzelne, dieser Alleinige, will arbeiten, will sich selbst verwirklichen. Nichtstun ist ja keine leichte Tätigkeit, ist man doch völlig auf sich selbst zurück geworfen. Nichtstun will gelernt sein. Ich gehe davon aus, dass es in einer Gesellschaft mit sozialer Grundsicherung viel weniger Nichtstuer gäbe, als man vielleicht meint. Wenn man den Wert des einzelnen anerkennt, muss man auch sein Tun akzeptieren. Wieso soll denn das Faulsein weniger bringen als die offensichtliche Geschäftigkeit? Vielleicht gebiert gerade das Faulsein die großen, weiterführenden Ideen. Abgesehen davon ist der Mensch nicht faul. Faul wird er gemacht. Nirgendwo habe ich so viele Nichtstuer und Zeittotschläger gesehen wie in der Arbeitswelt. Nirgendwo wird so viel nicht-gearbeitet wie dort.
Wehe aber man steht außerhalb der Arbeitswelt. Wenn einer keine Arbeit hat, verliert er seine Kraft, sein Gesicht und seine Ehre. Man gibt ihm keine Chance mehr. Dabei gibt es wunderbare, kreative Menschen unter den Arbeitslosen, aber der Staat macht sie zu Menschen zweiter Klasse, hakt sie ab oder will sie umschulen, hält ihnen vor, allen, hauptsächlich aber ihm selbst, dem Staat, und somit letztlich der Summe ihrer selbst zur Last zu fallen. Den Arbeitslosen wird alle Menschenwürde abgesprochen. Das würde durch eine soziale Grundsicherung wegfallen. Es geht hier nicht um ein Almosen, nicht um eine milde Gabe, sondern darum, dass jeder Mensch auf dieser Welt Grundrechte hat, wozu eben auch die materielle Grundsicherung gehört.
Natürlich macht so etwas nur Sinn, wenn der Mensch mit seiner Freiheit auch umzugehen weiß, er also eine angemessene Erziehung hat. Auch bedarf es einer Umverteilung - hier aber wird es haarig. Denn einer, der nichts hat, tut sich natürlich leicht, Enteignung zu fordern wie etwa die Romanfigur Jakob Villanueva im "Fest der Steine":
"Die Rechte werden von den Besitzenden gemacht, die in ihren Besitztümern festsitzen wie Hartleibige am Klo. Fuck! Nichts ist den Besitzern so heilig wie das, auf dem sie draufsitzen. Wir sind eine Draufsitzergesellschaft. Wer sich nicht daran hält und sich dabei erwischen lässt, sitzt. Fuck! Und wehe, man steht auf und akzeptiert das nicht. Alle sind versessen auf ihre Besitztümer. Der heilige Stuhl, der Präsidentensitz, der Sitz der UNO, die Hausbesitzer, Landbesitzer, die halten doch alle zusammen wie Pech und Schwefel. Lauter Vorsitzer, die verhindern, dass was weitergeht, sich was bewegt! Alles Draufsitzer! Und die Menschen, das Volk? Die sitzen ihnen auf. Fuck! Fuck!"
Hat Jakob Villanueva Recht? Juristisch nicht, da wird nämlich zwischen Besitz und Eigentum streng unterschieden, sogar der Dieb ist Besitzer einer Sache, nicht aber ihr Eigentümer. Doch hat der Mensch überhaupt ein Recht auf Eigentum? Ist Eigentum nicht etwas per se Perverses, eigentümlich, etwas, das den Sammlertrieb der Urmenschen ad absurdum führt? Indianern etwa ist es völlig unverständlich, wie sich jemand anmaßen kann, einen See, Berg oder auch nur ein Stück Land besitzen zu wollen.
Wer aber etwas geerbt hat, etwas Großes, sagen wir ein Schloss mit Ländereien, etwas, das seine Urururahnen erbaut und immer zusammengehalten haben, das er selbst seinen Kindern und Kindeskindern weiter geben will? Ist das nicht legitim? Würde es ohne ihn nicht gleich zerfallen? Aber es muss Grenzen geben, wenn mancher Millionär ein Einkommen hat wie das Bruttosozialprodukt eines kleinen Staates, ist es eindeutig zu viel. Nur, wie will man das machen. Der Mensch ist korrumpierbar - allerdings ist er es wohl sehr viel weniger, wenn seine Existenz grundgesichert ist, wenn er die Freiheit hat, sich zu bilden und zu entwickeln.
Soziale Grundsicherung ist ein schönes Schlagwort, im Idealfall fallen damit Kriege, Ausbeutung, die Überbevölkerung und noch so einiges Katastrophales weg, ist das ein richtiger Schritt zum selbst bestimmten Menschen, der sich allerdings mit Geld alleine auch nicht kaufen lassen wird. Soziale Grundsicherung klingt gut, nützt allerdings nicht viel, wenn nicht auch eine kulturelle und humanistische Grundsicherung damit verbunden ist, man die Natur weiterhin so ausbeutet wie bisher, Massentierhaltung betreibt, soziale Grundsicherung nicht auf alle Wesen überträgt, weltweit. Soziale Grundsicherung ist ein schönes Schlagwort, das allerdings nichts nützt, wenn plötzlich Bildung und Gesundheit unerschwinglich sind. Soziale Grundsicherung ist bestimmt nicht unproblematisch, hilft aber, schon wenn darüber diskutiert wird mit, den Menschen nicht mehr nur über seine Arbeit zu definieren, oder wie es der Arbeiterführer Ferdinand Fageth in meinem Theaterstück "hunt" sagt:
"Arbeiter! Meine Augen sind die Dunkelheit gewöhnt, aber wenn es kein Licht gibt, kann ich nichts sehen, die Entfernungen ziehen sich zusammen und die Distanz zwischen der arbeitenden, Notleidenden Bevölkerung und denen, die sich für was Besseres halten, wird größer. Alles verfinstert sich. Ich halte mich auch für was Besseres, wie sich jeder für was Besseres hält, aber behandeln tun sie uns wie letzten Dreck. Sie reden sich auf die Kostenoptimierungswelle raus, auf den Druck der Weltmärkte, die Lohnnebenkosten, um ihre Dekadenz zu etablieren, wo es nur um Hanglagen der Weine, um Börsenkurse, Aktienpakete und den Weibern um Schwangerschaftsstreifen geht. Die reden nur von Kohle, nicht von Schneeflocken. Darum sage ich Kampf. Sie müssen wissen, dass es uns gibt, dass wir leben, dass wir sind und Arbeit wollen, die wir ablehnen können. Der Dollfuss hat uns abgeschafft. Aber wir lassen uns nicht abschaffen! ... Nicht mit uns. Trotz Wirtschaftswachstum steigt die Arbeitslosigkeit. Dank der neoliberalen Marktideologie haben wir einen Arbeitsmarkt wie in Brasilien, einen Berg von Arbeitslosen und geringfügig Beschäftigten. Das ist unsere Chance. Wir müssen die Einkommensansprüche von der Arbeitsleistung abkoppeln. Grundsicherung statt Sozialhilfe. Niemand kann mehr Arbeitsplätze schaffen, also muss man das Gegenteil tun, das Angebot der Arbeit verringern. Schafft die Arbeit ab! Jawohl, schafft die Arbeit ab! Keine Arbeit ohne Arbeit! Dann kann es keine Arbeitslosen mehr geben. Weg damit, weg mit der Arbeit. Arbeit schafft Elend, Arbeit macht arbeitslos. Ich bin aus einer kinderreichen Bergarbeiterfamilie, mit elf Hirterbub, dann Bäckerlehrling, mit 14 bin ich zum ersten Mal eingefahren, Huntschmierer, Rossbub, Förderer. Für mich ist es zu spät, wie es immer schon zu spät gewesen ist für mich. Aber für die Arbeiter wird es nie zu spät sein, es wird einmal einen Staat geben, wo für jeden Arbeiter extra eine Blasmusikkapelle spielt. Wie hat schon Marx gesagt, zuerst muss der Kommunismus scheitern, wird sich die Geldwirtschaft derart durchsetzen, bis alle versklavt und fertig sind, bis endlich die Sklaven sich erheben, die Schneeflocken verglühen. Wir müssen aufhören, nur an uns zu denken. Auch dieses Nationaldenken muss aufhören. Wir sind alle Weltbürger. Gleiche Bürgerrechte und Freiheiten für alle. Mein Konzept ist eine Weltgesellschaft."
Man muss also die Arbeit abschaffen und den Sozialstaat gleich dazu. Die Arbeit schafft Arbeitslose und der Sozialstaat Sozialhilfeempfänger. Dabei geht es darum, Menschengleichheit zu erlangen. Aber ob wir dafür schon reif sind?

Copyright Franzobel
gefunden auf: www.auge.or.at

www.franzobel.at...




[Artikel/vielosofis/21.04.2008]





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