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unter welchem dach?


Die Schule, die Arbeit, die Wohnung, das Auto, die Familie, die Freunde, die Hobbys, die Kleidung, der Urlaub… – alles Kriterien, Werte, Wertigkeiten, über die zu verfügen in der mitteleuropäischen Gesellschaft als „normal“, „durchschnittlich“, „selbstverständlich“, ja „wichtig“ eingestuft wird, die also ihren fixen Platz im Leben der Menschen beanspruchen und als Parameter zur Einstufung gesellschaftlicher Positionen herangezogen werden.

Zutreffend ist letztlich keine dieser Normalitätscharakte­risierungen (die mit Charakter absolut nichts zu tun haben). Im Gegenteil, sie sind Ausdruck eines Weltbildes, das sein Wertesystem an jenem Faktor ausrichtet, der in der obigen Liste fehlt, jedoch allen genannten zugrunde liegt: dem Geld. Allesamt hängen sie am Vermögen, am Besitz, der die Ausgangsbasis darstellt: Es beginnt beim Schulbesuch: mit dem Vermögen, das diese bedingt, wird auch die Bildung vererbt – ach wie normal. Zum beruflichen Fortkommen tut das damit verbundene vorhandene Netzwerk (oder das der Eltern…) sein übriges, um die Chancen am Arbeitsmarkt drastisch zu erhöhen. Man bleibt unter sich, Elite zu Elite, der Rest interessiert nicht. Sich Wohnung, Auto, Hobbys, entsprechende Kleidung, Urlaub u.v.m. leisten zu können, wird als selbstverständlich angesehen – und ist es doch nur für jene, die eben über die nötigen Mittel verfügen. Auch für die althergebrachte Vorstellung von Vorzeigefamilie ist damit die Ausgangsposition gelegt, die in ihrer traditionell patriarchalen Struktur die beste Kapitalanlageform überhaupt darstellt. Die Freunde zur Außenlegitimation und gegenseitiger Versicherung der Unantastbarkeit des identen Lebensstils finden sich auch noch rasch, sodass dem Hochglanznormalismus nichts mehr im Wege steht.

Dass dieses Gefüge als „Durchschnitt“ angesehen wird, obwohl es letztlich nur auf die wenigsten zutrifft, liegt nicht zuletzt an der medialen Propaganda. Zig Filme, TV-Serien, Magazinbeiträge, Internetforen, Romane, Ratgeber usw. weisen es als einzig wa(h)res und erstrebenswertes Ziel auf dem Weg ins Glück aus.

Die ganz normale Ignoranz

Wie wenig solche Konstellationen tatsächlich mit Glück zu tun haben, muss an dieser Stelle nicht extra referiert werden. Was sie verursachen, nämlich das Unglück (und es ist tatsächlich eines, nicht etwa das persönliche Versagen, wie es unsere ach so solide Leistungsgesellschaft brandmarkt!) derer, die nicht in dieses Bild passen, allerdings sehr wohl. Es ist schon eine ver-rückte Wahrnehmung von Realität, die dieses Modell noch immer als legitim anerkennt und das eigene Handeln danach statt dagegen ausrichtet…

 

Der Boden unter den Füßen ist schneller weg, als ein Blick auf den Kontoauszug dauert. Die Tragödien derer, die viel hatten und tief fallen, werden häufig noch beweint (egal ob mit echten oder falschen Tränen), ganz der antiken Diktion entsprechend, wonach Leid ausschließlich den Hochstehenden zugebilligt wird. Für alle anderen ist es nur eine Posse, ihr Leben eine lachhafte Angelegenheit, für die man nicht mehr übrig hat als eine abwertende Handbewegung. Doch was am Theater im 21.Jahrhundert längst überwunden scheint, ist es im Leben (sofern man da eine Trennlinie ziehen kann und will) noch lange nicht. Von je weiter oben der Fall, je eher wird der Person – schon im Eigeninteresse großzügig Unterstützender – auch mal wieder aufgeholfen. Siehe Netzwerke. Doch wer unten war und ist, bleibt auch dort, that’s it, dafür wird gesorgt.

 

Dieses „Unten“ wird aus dem „Normalen“ ausgeklammert. Entweder gänzlich ignoriert, sodass es möglichst unsichtbar bleibt und damit die Wahrnehmung derer „oben“ nicht stört (siehe Bettelverbot), oder in die Ecke der Mitleidsberichterstattung geschoben, wo zu Weihnachten schon mal gefragt wird, ob da denn jemand ist.

Wohnung los?

Die Situationen sind vielfältig, die Zusammenhänge komplex, aber immer bedingt eins das andere. Landen auf der Straße, auf der man nicht gesehen werden will – im doppelten Sinn…

Im Februar, als es mitunter 15 Grad unter Null hatte, waren alle Einrichtungen, die in Graz Menschen ohne Dach über dem Kopf Unterschlupf bieten, voll belegt. Derer gibt es einige1, eines davon ist das VinziTel der katholischen Vinzenzgemeinde in Eggenberg. Vor 10 Jahren2 hat es eröffnet und bietet wohnungslosen Menschen, häufig mit Suchterkrankungen, Unterkunft. Dabei will es mehr sein, als ein Platz zum Schlafen – eine Institution „mit Hotelcharakter“. „Gerade Menschen, die von Armut betroffen sind, brauchen eine Umgebung, in der sie sich wohlfühlen können“, betonen die LeiterInnen Andreas Kleinegger und Ulrike Silberschneider. Schöne, komfortable Wohnungen tun allen gut und stehen allen zu. Alles andere verstärkt die Armut, den Leidensdruck, verschlimmert die Situation weiter. Menschen, die nichts besitzen, haben genauso und noch viel mehr ein Anrecht auf eine ansprechende Umgebung. Oder ist Menschenwürde nur käuflich zu erwerben?

Man hat Platz für 25 Personen, vergibt Doppelzimmer, Paare können gemeinsam einziehen und die Aufenthaltsdauer ist zwar limitiert, allerdings nicht auf eine fixe Zeitspanne beschränkt (Richtwert ist ein Maximum von drei Monaten, „wenn es länger dauert, dauert es eben länger“). Währenddessen wird versucht, soweit möglich dauerhafte Lösungen für die BewohnerInnen zu finden, das heißt, sie an entsprechende Einrichtungen weiterzuleiten, Wohnmöglichkeiten zu organisieren etc. Eingecheckt werden kann an 365 Tagen im Jahr, 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche. Diese Möglichkeit gab es zuvor in Graz nicht. Die Folgen sozialer Ungerechtigkeit halten sich eben nicht an Geschäftszeiten.

Möglich macht diesen Betrieb auch der Einsatz von 30 ehrenamtlichen MitarbeiterInnen, Unterstützung wird immer gebraucht. Über dieses Engagement ist man naturgemäß sehr froh im VinziTel, die Notwendigkeit verdeutlicht jedoch einmal mehr die Schräglage in der Verteilung der Mittel.

Wie hoch der Bedarf ist, zeigt die Auslastung, die kontinuierlich steigt und in den letzten beiden Jahren immer über 90 Prozent lag. „Zugenommen hat vor allem die Zahl jener, die an psychischen Erkrankungen leiden“, so Silberschneider „und infolge dessen wohnungslos werden.“ Auch sogenannte Doppeldiagnosen sind häufig, wo psychische und Suchterkrankungen gleichzeitig auftreten. Außerhalb der Norm wird die Existenzgrundlage schnell brüchig… Selbst und gerade wenn diese „Norm“ den Zustand verursacht, Haben alles zählt und Sein wenig.

Bedingungen für Ruhe

Ein Ort des Zur-Ruhe-Kommens soll es sein, sagt Silberschneider. Das ist gut gemeint. Für die BewohnerInnen ist es nicht ganz so einfach. Die Zimmern, die übrigens die Namen von Heiligen tragen, sind hell und freundlich, können, soweit in diesem Rahmen möglich, selbst dekoriert werden, sind aber trotzdem relativ klein, man muss miteinander auskommen – nicht leicht, wenn gänzlich unterschiedliche Problemlagen vorhanden sind und aufeinander treffen, die Privatsphäre ist sehr eingeschränkt. Auch die restriktiven Zeiten für Nachtruhe (22 Uhr) u. ä. sind für viele äußerst gewöhnungsbedürftig. Im Haus gilt auch ein Alkoholverbot (was z.B. im VinziDorf nicht der Fall ist). „Gut, dass es eine solche Einrichtung gibt“, hört man von den BewohnerInnen, aber auch „Erholung ist es keine“. Klar, der Kreislauf ist ja mit dem Aufenthalt, der jedenfalls als kleine Verschnaufpause gedacht ist, noch nicht durchbrochen, für so manche/n beginnt er auch erst.

Eine wichtige Sache ist für viele, dass hier das Ansparen einer Kaution für eine eigene Mietwohnung forciert wird – an den hohen Forderungen der VermieterInnen scheitern die meisten immer wieder. Denn wovon soll man schon was sparen, wenn man ohnehin kaum was hat? Das Geschäft mit der Armut blüht ebenfalls, man weiß von Vermietern, die für Zimmer, die den Namen nicht verdienen, horrende Summen verlangen und so aus dem erdrückenden Mangel noch Profit schlagen.

Auch im VinziTel wird eine Nächtigungsgebühr eingehoben – 1 Euro pro Nacht, „ein wichtiges Signal, denn so handelt es sich nicht um eine Gefälligkeit, sondern um eine beidseitig getroffene Vereinbarung“, so Kleinegger.

Die Macht des Blicks und der Blick auf die Macht

Anlässlich der 10-Jahres-Feier am 4. Mai 2012 hat die Künstlerin Mar Costa eine Plakatserie entworfen, die Porträtfotos von BewohnerInnen, MitarbeiterInnen, HelferInnen und LeiterInnen zeigt. Diese werden vor allem in der Umgebung angebracht. Das Besondere dabei: Nichts deutet darauf hin, ob der/die Abgebildete BewohnerIn oder etwa LeiterIn ist... Damit wird auf den Umstand verwiesen, dass man Menschen ihre Situation mitunter nicht ansieht. Nicht jede/r Wohnungslose entspricht dem gängigen Obdachlosenbild. Armut ist oft unsichtbar, die Betroffenen penibel darum bemüht, diese nicht zu zeigen. Verstärkt doch die mit einer etwaigen Sichtbarkeit einhergehende Stigmatisierung die Probleme noch zusätzlich, von den Auswirkungen auf das eigene Selbstwertgefühl ganz zu schweigen. „Nicht einmal die Füße wollten sich die Bewohnerinnen filmen lassen“, erzählt der Leiter der VinziWerke, Pfarrer Wolfgang Pucher, als ein ORF-Team im Haus Rosalie, einer Fraueneinrichtung der VinziWerke, einen Beitrag drehte. So sehr genieren sich die Menschen für ihre Situation. Die öffentliche Ächtung, das Abrücken, das Verurteilen trifft die Menschen, die unter sozialer Benachteiligung leiden, statt die Verhältnisse, die diese schaffen.

Die Verrückung eines ver-rückten Blicks ist dringender denn je, wäre jener Blick in der Krise, wäre diese ein Grund zur Begeisterung. Vermutlich würde man damit für verrückt erklärt – doch das trifft auf alle zu, die je die herrschenden Machtverhältnisse in Frage gestellt und somit bedroht haben.

 

Evelyn Schalk

 

 

1 Neben weiteren Vinzi-Einrichtunngen (VinziNest u.a.) die Häuser der Caritas, wie die Arche 38, das Haus Elisabeth, das Schlupfhaus sowie die Volkshilfe Graz.

2 Die 10-Jahres-Feier findet am 4. Mai 2012 statt und ist gleichzeitig ein Tag der offenen Tür. Weitere Infos unter: www.vinzi.at


>> Quelle: Medienkooperation mit Ausreißer, Die Grazer Wandzeitung


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[Artikel/ausreißer/04.06.2012]





    Artikel/ausreißer


    30.06.2014 ausgabe #58. editorial. evelyn schalk

    04.03.2014 Die kritische Masse

    05.03.2013 streik

    04.06.2012 unter welchem dach?

    09.02.2012 reflux

    14.10.2011 Die extreme Mitte

    25.07.2011 Bis an die Grenzen

    05.07.2011 „die welt steht still“

    27.04.2011 Wo woar mei Leistung?

    03.02.2011 Ordnungsfragen, Antwortzucht

    10.12.2010 Im Fluss

    08.10.2010 IN THE HEAD LINE OF FIRE

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