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Essthetik: reflexionen zu P.Kubelka

Kubelkas rein empiristisch-sensualistisch-reduktive Annäherung an den heute so "unscharf gewordenen" Begriff Ästhetik, in einer zweistündigen Darbietung in den Minoriten vorgetragen, beginnt in der Küche: Das Kochen als urästhetischer Ausdruck, mit der Schöpfkelle und der Apfelkerngehäuse-Examinierung setzt er die Trennung in Gut und Böse an.
"Mir bekömmlich = gut= schön, schön= gut= mir bekömmlich" so der Titel des Abends. Einige wenige besetzte Reihen, vorne ein Sammelsurium von Fundgegenständen, "objet trouvés", quer über den Erdball eingesammelt: so stammt der perfekte Stein für Kubelkas Hand aus unseren Breitenkreisen, ein Multifunktionsgerät aus einer 7-Materialiengesellschaft: das Objekt dient dem Babywiegen, zum Beerensammeln, als Schutzschild, um Wasser aus seichten Lacken zu schöpfen, zum Trinken und rein optisch betrachtet ergibt sich für uns eine Assoziation, für jene wohl eine Symbolisierung mit dem Berg der Ahnen, also Kultobjekt.
Mit zunehmender Dauer seiner Ausführungen verbreitet sich ein intensiver Geruch eines Stück Fleisch: ein Schweinsbraten, der tw. den Damen auf den vordersten Plätzen ein AAH! entlockt, mir allerdings, als Vegetarierin, ein Blerk!, ein Naserümpfen. Ah! wird vor einem schönen Gemälde gesagt, mmh! bei einem guten Gericht und bei erotischen Handlungen, also alles was wirklich an die Substanz geht. Hier haben wir es also mit einem Gemälde von einem Schweinsbraten zu tun.
Aufhänger des Ganzen ist unsere Kultur des Distanzschaffen.(zwecks Zeitgewinn, um einer potentiell drohenden Gefahr rechtzeitig zu entkommen). Wir essen mitteln Besteck, einer Verlängerung unserer Gliedmaßen (das waren noch Zeiten, als Technik sich so manifestierte, aber der erste Werkzeuggebrauch geht,zumindest nach E.Cassirers Symboltheorie, einher mit der Schaffung von Kultur), um Distanz zu unserer Nahrung zu haben, wir tragen Schuhe, um uns von der Erde zu entfernen. Sämtliche Materialisationen begreift Kubelka als "begrenzte Horizonte": den Sessel, das Schneidbrett mit dem prädikativ gleichlautendem Radel Wurst.Durch das der Materie (Kubelka präzisiert sich hier nicht weiter)übergestülpte Zahlensystem,sprich: durch Geometrisierung, Rationalisierung,eignen wir uns die Welt an, gleichzeitig aber, so muß eingewendet werden, sind Verluste für das empfindende Subjekt zu vermerken. Distanz und Verlust als anscheinend konstitutive Bedingungen von Kultur, denn unsere natur-distanzierende Praxis wird von Begriffen, Vorstellungen, Bildern und Zeichen kontrolliert und reguliert.
Das exemplarisch dargelegte Blatt Wurst war zwar schon einmal ein Schwein, aber es braucht nicht mehr zu grunzen, braucht kein Fell mehr, um uns zu genügen: ein "idealisiertes Schwein" folglich.Im perfekt abgeschmeckten Mischverhältnis der verschiedenen Ingredienzen ist die Extrawurst der Doryphoros (Speerträger)des Polyklet, der am Höhepunkt der griech. Idealisierung um 450 v.Chr. seinen Kanon (Richtschnur) für das Schöne (to kallos) vorgab, nämlich die exakte Proportioniertheit aller Teile zueinander und zum Ganzen (symmetría). Aber die Perfektion des Werks kann nur unter Berücksichtigung kleiner Abweichungen zustande kommen (parà mikrón). Diese Unregelmäßigkeiten wird dann die Moderne (20.Jhd) zu ihrem Zentrum erklären, der 2. thermodynamische Grundsatz von der Entropie wird Paradigma. Dazumal galt es als Aufgabe der Kunst, das Schöne in der Natur zu finden und dieses dann zu idealisieren.Der Hellenismus (um 400 n.Chr) mit seinem Faible für Künstleranekdoten, berichtet von dem Maler Zeuxis, der, um ein Bild der Göttin Hera zu malen, 5 verschiedene Mädchen als Modelle verbraucht: von jeder nahm er nur das Schönste, denn die Natur hat offensichtlich nicht das eine vollkommene Geschöpf hervorgebracht. Der Künstler bringt hervor, was die Natur zwar beabsichtigte, aber nicht verwirklichen konnte.
Kubelka kommt vom Film, er übersetzt Ästhetik entsprechend der allgemeinen modernen Tendenz, ganz direkt vom griech. "aisthesis" in "wahrnehmen". Anlaß für ihn, alle 5 Sinne in epikuräischer Manier zu untersuchen, um dabei sich an der Grenze zu einem magischen Weltbild beinahe zu verlieren. "Mir bekömmlich= gut= schön" läßt zweifelsohne Parallelen mit Epikurs (341-270 v.Chr.)Ästhetik zu, wo nur dasjenige als schön bezeichnet wird, das angenehm ist, denn eine Kunst, die keine Annehmlichkeiten verschaffe, sei wertlos.Auch Horaz´Forderung für die Kunst: utile et dulce, nutzen und Freude bringen, kommt hier zum Tragen. Sinnesempfindung wird für Epikur zur Grundlage aller Erkenntnis, eine Täuschung bei Sinnesempfindungen schließt er aus, beruft er sich doch direkt auf die atomistische Theorie Demokrits, wonach die Dinge aus feinsten Partikeln bestehen und durch die 5 Sinne unmittelbar auf die stoffliche Seele des Menschen einwirken und Erkenntnis konstituieren. Deshalb kann Epikur folgern, dass die Wahrnehmung der 5 Sinne wahr sein muß. Kubelka ißt einen Apfel, mit dem Höhepunkt des Schluckaktes. Zuerst die Frucht sehen, nehmen, anriechen, und bereits, nach Bestehung all dieser Prüfungen, wird schon gegessen. "Der Rest geht mich eigentlich nichts mehr an, das macht der Organismus"." Wenn es mir nachher noch gut geht, so kann ich sagen, dass der Apfel mir bekömmlich war."
Nach Kant ist schön nicht gleich angenehm: der Königsberger mit dem heurigen 200. Todestag, unterschied drei Arten des Wohlgefallen (i.w. S.) des Bezugs zum Gefühl der Lust, Unlust (also in bezug auf das transzendentale Subjekt, wie es sich dabei fühlt, nicht empirisch-objektiv). Ein Gegenstand kann vergnügen, wird dann als angenehm empfunden und das Subjekt empfindet dabei Neigung. Oder: ein Gegenstand kann gefallen, als schön empfunden, Gunst ist die Triebfeder; oder: geschätzt, gut, Achtung.Allerdings kann nur bei "Gefallen" eines Gegenstandes, jenem plötzlichen Hereinfallen, ein uninteressiertes, freies Wohlgefallen bewirkt werden.
Etwas als gut zu empfinden ist etwas anderes als schön; ...gut richtet sich auf das Begehrungsvermögen, wie es auch Kubelkas Essdemonstrationen beweisen, mit der willentlichen Begierde nach einem schönen Apfel, der in einem ritualisierten Akt einverleibt wird. Begierde verunmöglicht Schönheit, Reize werden zum empirisch-pathologischen Fall. Eros mischt hier auch noch mit, der Mensch als Triebwesen.
Wenn "gut= schön", dann muß ein schönes Bild von einem moralisch guten Menschen stammen.Xenophon (430-355 v.Chr., Spätarchaik) gilt hier als Vorbild. Der "Kalakagodi", der antike Gentlemen, verbindet in sich Moral und Schönheit, äußere schöne Erscheinung und innere Güte sind bei ihm eins. Ethik = Ästhetik, die Differenzierung beginnt mit dem Christentum, z.B. bei Alcuin (735-806, karoling.)"es kann ein wahres Bild sein, aber von einem falschen Menschen". Aktuellererweise kann die Diskussion um die Otto Mühl-Ausstellung im MAK angeführt werden...
Kunst wird bei Alcuin als indifferent in bezug auf den Inhalt empfunden: "die Kunst des Bildes ist nicht unfromm wenn es etwas Grausiges zeigt, noch ist sie fromm, wenn sie Mildtätigkeit zeigt. Das Bild in sich ist indifferent." Mein "Blerk" auf den Schweinsbraten ist eine Ekelempfindung, die noch durch die Schweinszunge, hoch in die Luft geschwungen, überboten wurde.Kubelka warnte vor Brechreiz, die Amerikaner meinte er, würde ihn dafür lynchen. Er schnitt das Riesending durch, nahm ein Stück und aß es "mit Empfehlung an die Herren Vischer, Kant und Baumgarten". Nun, ich kann mit dme Ekel leben. Kant, im übrigen absolut kein Kostverächter, sieht Ekel und Schönheit unvereinbar. "Nur eine Art Häßlichkeit kann nicht der Natur gemäß vorgestellt werden, ohne alles ästhetische Wohlgefallen, mithin die Kunstschönheit zugrunde zu richten: nämlich diejenige, welche ekel erweckt.[...] die künstliche Vorstellung des Gegenstandes von der Natur dieses Gegenstandes selbst in unserer Empfindung nicht mehr unterschieden." (B 190)
Eklige Provokationen, ständig sich selbst überbietende Gesten in der Moderne, vielleicht ansetzend bei Manzonis "merda d´artista", prägen tw. eine Antikunsthaltung, die ästhetische Kategorie des Häßlichen, die Verneinung schlechthin.Das ökonomische Ziel solcher Provokationen ist die Wahrnehmung von Kunst überhaupt möglich zu machen in einer ästhetisierten Welt.Noch in den 80-er Jahren brachten Künstler umstrittene Waren auf den Markt, womit ein Warenproduzent seine Probleme hätte. Rund 20 Jahre später hat sich freilich die Reizschwelle zum Schock gehoben, auch durch die Mediatisierung von Terror und Krieg. Aber Provokationen als solche stumpfen niemals ab, sie versickern zu den Rändern hin und riecht dort noch lange frisch. ...




[Kolumne/dage/27.05.2004]





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