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Wortfront: Lieder eines postmodernen Arschlochs

Die restlose Durchökonomisierung aller Lebensbereiche geht ihnen ebenso hörbar gegen den Strich wie Opportunismus, falsche Scheinheiligkeit und Selbstbeweihräucherung. Als Duo Wortfront eröffnen Sandra Kreisler und Roger Stein mit ihrem genialen Stilmix von musikalisch und textlich dichter Aussagekraft den Kampf gegen oberflächliche Betrachtungsweisen jeder Art. Tatsächlich sind sie alles andere als Beifahrer der Belanglosigkeit *, wie einer ihrer Songtitel lautet und sie bei ihrem Konzert in Graz Anfang März bewiesen.

(*Alle Zitate im Kursiv-Druck sind Wortfront-Liedern entnommen.)


Der Titelsong ihrer ersten gemeinsamen CD Lieder eines postmodernen Arschlochs (erschienen letzten Juni) hielt sich über Monate in der deutschen Liederbestenliste, das Album wurde auf Anhieb mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Wohl ein typisches Phänomen, dass die beiden, obwohl die Tochter von Georg Kreisler seit Jahren auch als ORF-Stimme auf Ö1 zu hören ist („Vor kurzem erhielt ich ein Schreiben vom ORF, das besagte, ich könne nach 25 Jahren Arbeit für den Sender in weiteren 25 Jahren mit einer Pension in der Höhe von 600 Euro pro Jahr rechnen!“) in Österreich musikalisch totgeschwiegen werden.
Vielleicht auch deshalb, weil sich Wortfront eben nicht in eine Schublade stecken lassen will und gegen „bornierte Kategorisierungen“, wie sie vor allem vonseiten der Industrie vorgenommen werden, wehrt. Der Kreislauf zieht sich natürlich weiter – eine von, auch medial gepushten, Zuordnungen geprägte Öffentlichkeit, auf die Veranstalter dementsprechend reagieren und selektieren („Irgendwer hat dich als Verlust bereits kalkuliert“) und damit rückwirkend wieder eben diesen Trend verstärken. So halten sich dann auch zumeist Künstler („So sehr bist du schon leer – oder sagt man Realist?“) an das Motto: „Bin flexibel, disponibel und ziemlich unsensibel / Bin fungibel, untangibel – aber immer KOMPATIBEL“.

Mut zu Intellekt und Emotionen
Über den Umgang mit Kultur kann Kreisler bisweilen richtig in Wut geraten. „Sowohl Medien als auch Wirtschaft vergessen, dass die Grundlage der Gesellschaft, auch jeden Geschäfts, die Kultur ist. Sie wundern sich darüber, wenn ihre Geschäfte schlecht laufen und gehen gleichzeitig so mit Kultur um – aus Blödheit, Kurzsichtigkeit und purer Gier!“
„Wenn der Sandsack im Keller zum Austoben fehlt“ entstehen laut Roger Stein oft Lieder – aus Wut und Leidenschaft. So bringt Wortfront komplex und dicht reflektiert Zeit- und Gesellschaftskritik zum Ausdruck – ohne Rücksicht auf die Götzen einer postmodernen Gesellschaft, denen man mitunter genussvoll auf die Zehen und sonstwohin tritt, wie beispielsweise mit dem bissigen Song Schwanzersatz.

Texte und Musik ergänzen und verstärken einander aber nicht nur, sondern aus dem Zusammenspiel resultiert eine Vielzahl neuer Bezugsgeflechte. Das Label „literarischer Hip Hop“ wurde ihrer Arbeit einmal aufgedrückt, womit Kreisler „leben kann“, auch Bezeichnungen wie „Rosenstolz für Erwachsene“ oder „eine Mischung aus Mozart, Fanta4 und Adam Green“ gab’s bereits. Musikalisch kommen sowohl klassische Elemente, vornehmlich Streicher (im Konzert sorgten Arne Kircher am Cello und Lucia Hall an der Violine für den furiosen Background) zum Einsatz, die mit Hip-Hop-Rhythmen (auch: Kammermusik meets Beat und zum Teil Elektronik) und Chanson-Klängen kombiniert werden. Dabei profitieren Kreisler und Stein gerade von ihrer intensiven Zusammenarbeit – „Privat sind wir uns immer einig, aber was die Lieder betrifft, ist jeder Ton, jedes Wort erstritten.“ Während er sowohl eine klassische Ausbildung hat und darüber hinaus Musik-, Theaterwissenschaften und Germanistik studierte (seine Dissertation „Das deutsche Dirnenlied“ erschien letztes Jahr bei Böhlau) kommt sie von Chanson und Schauspiel. Kreisler fordert die intellektuelle Reflexion permanent ein, während Stein, die emotionale Komponente betonend, einwirft: „Lieder müssen auch mal Bauch und Eier haben und nicht ausschließlich reflektieren!“ Kreisler rasch darauf: „Aber gerade das Intellektuelle hat für mich eben auch Eier!“ Einigkeit herrscht jedoch trotzdem, denn: „Wir holen uns das beste aus beiden Welten, wir nehmen von allem das, was uns gefällt.“ Diese Vielfalt spricht auch ganz unterschiedliche Publikumsschichten an, „zwischen 20 und 80 Jahren“ sind die Menschen, die zu den Wortfront-Konzerten kommen.

Das Satire-Gewürz des Lieder-Kochs
Sprachlich drastische Frontalstatements kontrastieren mit feinen Nuancierungen wodurch im Endergebnis wieder die ganze Palette von Reflexion bis Emotion und vice versa zum Ausdruck kommt. Auch der Tournee-Titel provozierte mancherorts – allerdings auf unterschiedliche Weise: „Während man sich in Deutschland am Ausdruck ‚Arschloch’ im Titel stieß, gab’s in Österreich immer wieder Einwände gegen das ‚postmodern’…“
Hinsichtlich des satirischen Gehalts betont Stein die Rolle des Humors, entscheidend ist für ihn, ob Satire „als Programm oder als Gewürz“ fungiert, wobei sie für den Komponisten, Musiker und Sänger „als Gewürz beim Kochen von Liedern“ zum Einsatz kommt. „Sparsam, denn sonst landet man beim Kabarett, und da wollen wir nicht hin.“ Kreisler wirft darauf scharfsichtig – und eben doch satirisch – ein, die Gefahr einer solchen Zuordnung bestünde schon, „da wir auch Worte mit über drei Silben verwenden.“ Und Stein weiter: „Kabarett beinhaltet eben nur Humor und traut sich nicht auch mal simpel zu sagen ‚Es ist schön’“. Aus einer solchen Stimmung heraus sei beispielsweise der Titel Herbstmanöver entstanden, ein Lied, das eine Stimmungslage facettenreich wiedergibt ohne dabei ins Oberflächliche abzudriften. „Aber Kabarett ist mittlerweile sowieso obsolet, was Politiker liefern, übertrifft dieses bei weitem.“, so Kreisler, deren Vater selbst das österreichische Kabarett, aber vor allem Chanson (Stichwort: schwarzer Humor, „Tauben vergiften im Park“, aber darüber hinaus eben noch viele weitere), entscheidend mitgeprägt hat.

„Ich tue das, wofür ich brenne“
Lange Zeit war das auch der Grund für sie, in anderen Bereichen zu arbeiten, mit dem Gedanken im Hinterkopf im Chanson-Metier ohnehin immer nur verglichen zu werden. Doch letztendlich hat die vielseitige Diseuse festgestellt: „Das ist genau das, wofür ich brenne“ und erfolgreich „die Flucht nach vorne“ angetreten. Mit der eigenen Identität setzt sie sich bewusst auseinander, so steht sie zwar religiösen Dogmen prinzipiell kritisch gegenüber – „Ich bin auch gegen Kreuze in Schulen“ – erkennt aber gleichzeitig deren kulturelle Bedeutung an. Sie selbst ist „sehr bewusst Jüdin“, jedoch nicht religiös, hat sich auch mit asiatischen Religionen beschäftigt und sieht Traditionen eben primär kulturell definiert. Mit der jüdischen Tradition kultiviert sie vor allem das Außenseitertum. Steins erste religiöse Auseinandersetzung – als Schweizer ist er im liberalen protestantischen Umfeld aufgewachsen – resultiert bereits aus musikalischer Betätigung (dementsprechend sieht auch er Religion als Träger von Kultur) – er spielte in katholischen und protestantischen Kirchen Klavier.

„aber bald ist wieder einmal Weihnachten / auch wenn ich jetzt schon Ostereier kauf“
Mit der zweiten CD, die im Dezember letzten Jahres auf den Markt kam, verwehrten sich die beiden gegen scheinheilige Weihnachtsseligkeit – „Es ist Weihnachten über Deutschland, die meisten Lichter glühn aus Pflicht“ – vor dem Hintergrund der bodenlosen Ignoranz der Zusammenhänge von Armut und Profitgier – „Die Obdachlosen stehen vor Aldi Schlange im Spalier und Dieter Bohlens Weihnachtslied ist Schuld dran, dass ich frier’“ – und der Gewissensberuhigung im medial gepushten Spendenhype. Wie sehr die saisonale Welle oberflächlichen Mitgefühls mit der Gleichgültigkeit und dem Egoismus unter dem Jahr kontrastiert, verdeutlicht Dezember 95 eindringlich. Marie ist schließlich wohl die provokanteste und drastischste Auseinandersetzung mit Rollenbildern und gesellschaftlichen Projektionen, die Kreisler und Stein auf dem Album penetrant besinnlich veröfftenlichten.

„Wir haben immer zuwenig Zeit“ so Sandra Kreisler, und das glaubt man ihr ob der dichtgepackten Aussagekraft der Wortfront-Lieder sofort. ZeiT lautet auch ein Songtitel:
„Zeit ist Geld, aber Geld nicht Zeit“ und darüber hinaus kann man Zeit glücklicherweise „nur besitzen, aber Zeit kann man nicht kaufen“. Eine der wenigen Gerechtigkeiten – und eine Aufforderung sich diese Zeit, und damit die Möglichkeit zum Nachdenken, zur Auseinandersetzung, zum Fühlen und Handeln und damit zum Leben selbst auch ohne Wenn und Aber zu nehmen.

www.wortfront.com...




[Kolumne/schalk/17.03.2007]





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