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Küchengespräche mit Rebellinnen

(Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik und Lisbeth N. Trallori, AT 1984)

Diagonale 2012 - Filmarchiv Austria: Shooting Women

Vier Frauen, die Widerstand leisteten. Vier Frauen von vielen. Vier Frauen, die ihr Leben riskierten und so viele retteten. Vier Frauen, die es nicht ertrugen, wegzuschauen. Anna Primocic, Johanna Sadolschek-Zala, Rosl Grossmann-Breuer und Anni Haider – vier Antifaschistinnen, ein Leben lang.
Als die Regisseurinnen Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik und Lisbetz N. Trallori den Film 1984 drehten, stand die Beschäftigung mit  dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus noch ganz am Anfang. Im Zuge einer umfangreichen Interview-Reihe führten sie mit über 100 Frauen Gespräche und zeichneten diese auf Tonband auf. Daraus sind nicht nur zwei Buchpublikationen entstanden ("Der Himmel ist blau. Kann sein – Frauen in Österreich 1938-1945", Wien: Promedia 1985 und "Ich geb dir einen Mantel, dass du ihn noch in Freiheit tragen kannst. Widerstehen im KZ. Österreichische Frauen erzählen", Wien: Promedia 1987, beide von Karin Berger), sondern eben auch dieser Film, der auf der heurigen Diagonale im Rahmen der Reihe "Shooting Women" vom Filmarchiv Austria gezeigt wurde. Er lief in einer Beta-Kopie, die Alpha-Version sei schon zu zerkratzt, um noch verwendet werden zu können, erläutert die anwesende Karin Berger. Gut zu hören, denn dieser Film kann gar nicht oft genug vorgeführt und gesehen werden. Mit einfachsten technischen Mitteln hergestellt, ist er in seiner sensiblen Eindringlichkeit und Unmittelbarkeit eindrucksvoller als jede ausgeklügelte Dramaturgie es vermögen könnte. Denn diese vier Frauen, die wirken, als könnten sie die eigene Großmutter, Nachbarin, Bekannte sein (aber eben viel zu selten sind oder waren, bzw.: wer fragt schon nach?), die so unprätentiös vor der Kamera agieren, in der vertrauten Umgebung ihrer einfachen Wohnungen, waren unglaublich stark, ihr Leben lang. Eine Stärke, die sie fast für selbstverständlich hielten, so wie sie davon erzählen. "Was hätte ich anders tun können?", fragt etwa Primocic. "Wie kannst du Nein sagen, wenn dich jemand bittet, ihm das Leben zu retten?" Sie hat Ja gesagt, immer wieder. Zahlreichen KZ-Häftlingen verhalf sie zur Flucht. Nur ein kleiner Ausschnitt der Geschichte kann (wie bei allen vieren) im Film wiedergegeben werden, der Geschichte dieser Frau, die in der Kleiderschürze an ihrem alten Herd hantiert, während sie erzählt.  Von den Büchern, die sie schon als Kind gerne gelesen hatte, als es nur eine katholische Bücherei gab, wo man sich diese ausleihen konnte. Und von der alten Ausgabe von Bebels "Die Frau und der Sozialismus", der früh, aber nachhaltig ihr politisches Bewußtsein geprägt hat. Als Arbeiterin in der Tabakfabrik in Hallein organisiert sie Fluchten von Häftlingen, rückt selbst ins Visier der Gestapo, hat Angst um ihr eigenes Kind. Zusehen kann sie trotz allem nicht. Das von den Nazis aufgezogene Spitzelwesen ist ihr verhasst, sie weiss nur zu gut, wie aus Leuten, die einem tagtäglich auf der Straße begegneten, plötzlich  VerräterInnen werden. Und akzeptierte es nie. "Das geht einfach nicht. Ich kann ja selbst keiner Fliege was zuleid' tun, keinem Hund oder keiner Katze, geschweige denn einem Menschen. Wie bringt man sowas fertig? Dieses Regime hat nur das Schlechteste in den Menschen hervorgebracht, oder warum gibt sich jemand dazu her, Menschen so zu quälen, die einem überhaupt nichts getan haben, wie es in Auschwitz oder Dachau oder sonstwo der Fall war?"
Ihre weitere Geschichte, ihre Haft und später ihre Tätigkeit als Stadträtin der KPÖ im Salzburg der Nachkriegszeit kann in ihren von Michaela Zehenter aufgezeichneten Lebenserinnerungen ("Nicht stillhalten, wenn Unrecht geschieht. Die Lebenserinnerungen von Agnes Primocic", Salzburg: Akzente 2004) nachgelesen werden. Der Film zeigt jedenfalls eine Frau, die wohl nie über Wohlstand verfügte,  aber umso entschiedener über das, was man Mut und irgendwann einmal Menschlichkeit nennen konnte.
Johanna Sadolschek-Zala wiederum schloss sich den Partisanen an, als ihr Hof von den Faschisten niedergebrannt und ein Großteil ihrer Familie verschleppt wurde. Die Kärntner Slowenin, die mitansehen musste, wie man versuchte, ihre Volksgruppe auszurotten, harrte Jahre unter unglaublichen Entbehrungen in den Bergen und Wäldern aus und beteiligte sich dort an der Organisation des Widerstandes. "Wenn man muss, fragt man nicht, ob man kann", ist sie überzeugt.
Rosl Grossmann-Breuer war Arbeiterin in einer Verbandwarenfabrik und baute dort ihre erste Widerstandsgruppe auf. Als sie verhaftet wurde, wusste sie, "eher würde ich mir die Zunge abbeißen, als jemanden zu verraten. Das könnte ich nicht ertragen." Gleichzeitig mit ihr wurden ihre Eltern inhaftiert und auch dieser Umstand ließ sie immer weiter und weiter durchhalten, hoffen, diesen damit wenigstens das Schlimmste zu ersparen. Ihr Vater wurde trotz allem nach Auschwitz deportiert. Die Schläge, die sie über sich ergehen lassen musste, ohnmächtig vor Schmerzen, "viel zu kurz war die Ohnmacht, ich hätte mir eine längere gewünscht". Schreie, Aufbäumen, all das ja, geweint hat sie während der Verhöre keine Träne, zu groß der Wille und die unbedingte Notwendigkeit der Stärke. Eine Erfahrung übrigens, die sie, wie sie später hörte, mit ihrer Mutter teilte. Die Folterwerkzeuge ständig vor Augen, das Wissen um das, was ihr noch bevorstand trieben sie einmal zum Selbstmordversuch. Eine Sache, die alle vier betonen, statt sich Folter, Demütigung und der Gefahr, womöglich doch nicht durchzuhalten, auszusetzen, hätte man die Selbsttötung gewählt. Verletzt landete sie im Inquisitenspital, wo sie Anni Haider kennenlernte. Diese erzählt im letzten Teil des Films von den Haftbedingungen, wegen der Organisation des Widerstandes war die überzeugte Kommunistin im Gefängnis gelandet und, beim Verhör spitalsreif zugerichtet, ins Spital eingeliefert worden. Von den dort tätigen geistlichen Schwestern war sie, trotz des Hinweises auf ihre politische Einstellung und ihre Konfessionslosigkeit, überzeugt, und danach auch unterstützt, worden, vor Ort zu bleiben und weiterhin für den Widerstand zu arbeiten. Wenn sie von den Zuständen im Gefängnis spricht, sie, unter deren Einzelzelle sich der Todestrakt befand, wissend, auch selbst auf dieser Liste zu stehen, sieht man ihr die Wut, aber auch die Trauer immer noch an.
Mit zum ersten Mal etwas stockender, aber immer noch fester Stimme gibt sie zu: "Weißt, wenn ich ganz ehrlich bin, hab ich Angst gehabt, vor dem Tag an dem ihr [für die Aufnahmen] kommt's." Das Erinnern tut weh, den Schmerz wieder und immer wieder zu durchleben. Die zwischengeschnittenen Fotoaufnahmen zeigen unterschiedliche Bilder der Frauen, allesamt nicht älter als Anfang Zwanzig, als sie sich zum Widerstand entschlossen. Von Anni Haider gibt es eine Fotografie vor und eine nach der Haft – auch wenn nur wenige Jahre zwischen den beiden Aufnahmen liegen, scheinen es Jahrzehnte zu sein. "Das war aber schon nach der Erholung", meint sie dazu.
Auch wenn der Film bereits Anfang der 1980er Jahre entstanden ist, hat er bis heute nichts von seiner Wirkung – und seiner unbedingten Notwendigkeit eingebüßt, im Gegenteil. Er müsste noch viel öfter gezeigt werden, dieses widerständige Manifest gegen die Gleichgültigkeit.

http://ausreisser.mur.at/online/diagonale-online-special



Evelyn Schalk


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[Kolumne/schalk/26.03.2012]





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