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Messer

Bettina Balàka MESSER Das Jahrtausend wendet sich, wir wenden uns nach innen, wenden das Innerste nach Außen, verwechseln Außen mit Innen, und das ist es dann: die völlige Entblößung, der Mensch als durchschaute Seele, als überall sichtbarer Körper.

"Körperwelten", eine Ausstellung geistert durch das Land, die präparierte Menschenkörperteile zeigt, so artifiziell, so geformt und gespalten, dass kaum jemand riecht, dass er seine Freizeitleere mit der Betrachtung von Menschenleichen füllt. Es muss möglich sein, beteuern die Journalisten sich und ihren Lesern über den eigenen Brechreiz hinweg, es muss gezeigt werden, alles muss gezeigt und möglich sein.

Und das ist es dann: Die Hüllen fallen lassen, die Haut fallen lassen, die geächteten Hemmungen wie Bahnschranken hochziehen, da fährt der Zug drüber. Wer schweigen, wer angezogen und ungeöffnet bleiben will, bleibt eben zurück.

Da hätten wir einmal den Drang oder Zwang zum Bekenntnis, dem kathartische Wirkung zugeschrieben wird. Es begann vor langer Zeit mit der Beichte beim Priester, nur für zwei Ohren, vorhanggeschützt, intim gehalten von Schweigeverpflichtung und Beichtstuhl. Anfang dieses Jahrhunderts wurde der Vorgang säkularisiert, der Psychoanalytiker übernahm die Anhörung, erzählte das geheim Gehörte aber schon weiter: als Fallstudie mit mehr oder weniger blicksicherem Pseudonym. Die Seele, das Unbewusste, die Lebensgeschichte wurden entdeckt für Forschungsreisen und -berichte.

Und keine Frage, das Aussprechen hat seither so manche Blätter gewendet und ihre vertuschten Rückseiten gezeigt. Wir wissen, dass Krieg nicht einfach vorübergeht, dass Vergewaltigung in ein Menschenleben eingeschrieben bleibt.

Und keine Frage, das Kommunalisieren der eigenen Erfahrung kann heilsam sein, Solidarität schaffen, die Erinnerungsfragmente für Innen und Außen zur Narratio kitten. Aber Innen und Außen sind im Massenjargon von Populärpsychologie und K onstruktivismus schon längst nicht mehr zu unterscheiden: Der andere ist ein Spiegel, der mir eigene "Schatten" oder "Anteile" zeigt, die Welt ist das, wofür ich sie halte - was mich über meine Machtlosigkeit, sie zu ändern, hinweg täuschen soll. Ich bräuchte sie ja nur anders zu sehen oder: Das ei nzige, was ich ändern kann, bin ich selbst. Und bald haben es alle gelernt: Das Hosen-runterlassen, das Sich-überall-angreifen-lassen, das Gefühle-rauslassen, das Ausbreiten des selbstzerfleischten Fleisches zur öffentlichen Beschau.

In der Talk-Show gipfelt die Reichweite der unüberhörbaren Beichte. Wo vor nicht allzu langer Zeit vereinzelte "Stars" kleine Privatheiten geoutet haben, tut es nun jeder, der eine Chance bekommt - mag sein, in der Hoffnung auf Stärkezuwachs durch die Sehergemeinschaft, oder auf eigene Starbedeutsamkeit. Die Interviewerinnen, meist ganz, ganz ungezwungene junge Frauen (da diese den Gästen offenbar leichter peinliche Geständnisse entlocken), nehmen sich kein Blatt vor den Mund oder sonstige Körperteile und schießen, ganz kichernde Kindlichkeit, direkt zwischen die Beine: "Hast du schon einmal ganz spontan ganz, ganz wilden Sex gemacht?"

Kaum einer der solchermaßen Befragten wagt es, die öffentliche Berührung zu verweigern, ja nicht einmal ihr auszuweichen, so groß ist die Angst, als prüde/ verklemmt/ unaufgeschlossen zu gelten, und insbesondere Männer legen oft noch tapfer eines drauf und werfen das als besonders antibürgerlich geltende Fut-Möse-Votze-Vokabular ins Gefecht.

Doch es ist gar nicht so sehr die Verfügbarkeit und Verformung der Seelen, die das ausgehende 20. Jahrhundert kennzeichnet: Es ist die Verfügbarkeit und Verformung der Körper. Da gibt es Dinge, über die endlich, sagen wir, gesprochen werden darf. Weibliche Genitalverstümmelung etwa ist kein dunkles afrikanisches Geheimnis mehr, sondern wird im internationalen Licht angeprangert und beleuchtet. Doch während wir - zu Recht - solche Praktiken als barbarisch bezeichnen und abzuschaffen hoffen, überschmunzeln wir gleichzeitig das Ausmaß, indem bei uns Messer die weiblichen Körper zerschneiden.

Werden bei uns nicht Millionen von Brüsten aufgeschnitten und mit Säcken voll toxischer Chemikalien gefüllt? Und während wir uns - zu Recht - um den Verlust erotischer Empfindsamkeit beschnittener afrikanischer Frauen sorgen, gilt der Gefühlsverlust in den Brustwarzen, der infolge einer Brustoperation auftreten kann, als der der Optik zu opfernde Preis.

Die Argumente gleichen sich: Sowohl der "beschnittene" als auch der "schönheitsoperierte" weibliche Körper sieht, wird behauptet, "schöner" und "weiblicher" aus, wird daher von Männern vorgezogen. Auch die "Freiwilligkeit" ist die gleiche, überall verlangen Mädchen und Frauen gleichermaßen nach dem Messer, das sie so macht, wie die Gesellschaft sie wünscht. Und auch bei uns wird so mancher Eingriff schon von den Müttern initiiert, die ihren Töchtern wohlmeinend die Nasen abschneiden lassen, in der Annahme, dadurch hätten sie bessere Chancen auf einen Mann.

Waris Dirie, deren Buch "Wüstenblume" einer der Bestseller des Jahres 1999 wurde, beschreibt die Körpergewalt beider Welten: Als kleines Mädchen in der somalischen Wüste bat sie um ihre Beschneidung, nachdem sie immer wieder als "unrein" beschimpft worden war. Jahre später macht sie in den Modemetropolen des Westens als Model Karriere - und es geschieht etwas sehr Ähnliches. Diesmal wird sie von Fotografen und Modeschöpfern wegen ihrer "krummen Beine" beleidigt, bis sie sich schließlich an einen Schönheitschirurgen wendet. Er möge ihr doch, bittet sie ihn, diese ungestalten Beine brechen, damit sie sich ihrer nie wieder zu schämen braucht.

Und da sind sie auch schon, überall, diese Körper, in Schwerstarbeit zurecht gestrafft, trainiert, enthaart, fettabgesaugt, collagenimplantiert, massiert, gebürstet, gepeelt, laserbehandelt, heruntergehungert und voller Angst, in nur einem Zentimeter einen Aus- oder Einwuchs zu bekommen, der alles, das Außen- und Innenbild, den Begehrenswert, die Karriere ruiniert.

Naomi Campbell isst Wattebäusche zum Frühstück. Gwyneth Paltrow hat nach ihrer Oscar-Verleihung nur noch eine Sehnsucht: sich einen Busen anzuoperieren, der vor den Wonderbra-gierigen Presseaugen besteht. Und keine kommt davon, und gerade den Schönsten der Allerschönsten ist das Messer ein alltäglicher Körperkontakt.

Und überall diese Bilder, zwanzig-, siebzehn-, fünfzehnjährige Körper, inflationär und aufgeblasen im gesamten öffentlichen Raum, in der immer ewig gleichen penetranten Sinnlichkeit, die die Lippen aufschmollt, die rasierten Innenschenkel spreizt. Und jede Frau rennt mit und zieht sich das Gleiche an und aus, und stellt alles dar und liegt unter jedem Blick genauso hingeräkelt, wie es auf kirchengroßen Billboards vorgebildet ist. Das alles wird uns verkauft, und als sexuelle Freiheit verkauft, und die Freiheit besteht darin, genauso zu sein, wie man sein soll, wie alle sein sollen und sein wollen sollen, und die neueste Zellulite-Behandlung zu kaufen.

Der unretouchierte menschliche Körper kommt in der Öffentlichkeit nicht vor, denn seine Darstellung gilt als obszön. Sexuelle Freiheit nur in der Pose, Verkrampfung, dem perfekten Make-up, nur für die Faltenfreien mit weniger als 6% Körperfettanteil? Und auch die wachen morgens ungeschminkt auf und müssen ihren Körper verstecken. Und gerade die Schönsten der Allerschönsten, die Sex-Idole, die Schwärme, dürfen sich Abweichungen vom eigenen Idealbild nicht leisten. Sollten ihre Körper einmal in die Unvollkommenheit gequollen sein, müssen sie sie sofort aus der Öffentlichkeit zurückziehen und an geheimen Orten unter der Aufsicht von Trainern, Diätspezialisten und Chirurgen in die fotogene Form zurückkorrigieren.

Das ist aber auch alles nichts Neues, denn die Idee vom perfekten Menschen war in diesem Jahrhundert schon einmal ganz kirchengroß da. Leni Riefenstahl hatte die Kamera in der Hand, und es gelang ihr, die Menschen wie Götter abzulichten. Wirklich gut, sagt sie, zu fotografieren sind nur Babys, denn die sind faltenlos. Durch Licht, sagt sie, kann man eine Frau zwanzig Jahre jünger oder älter machen. Frauen, sagt sie, bekommen ein weiches Licht von vorne, das lässt sie verschwimmen, und Männer ein scharfes Licht von der Seite, damit sie deutlicher sind. Und noch göttlicher wirken die jungen, gesunden Menschen gegen einen strahlenden Himmel, von unten fotografiert, damit man zu ihnen aufblicken kann.

Und auch bei den Nuba, sagt sie, hat sie die Alten, Kranken nicht gesehen, die waren nicht da, die saßen doch in den dunklen Hütten. Und die Nuba wollten gar nicht fotografiert werden, aber sie waren so schön und wie man sich Afrika vorstellen mag, und sie waren nur Körper und ohne Persönlichkeit und Geschichte und Mitspracherecht. Und Leni Riefenstahl sagt, die Fotografie zeigt doch nur das, was wirklich und da ist, und dann erzählt sie weiter von ihren Ideen und Tricks.

"Nackte Wilde" aber waren schon immer bevorzugte Träger der alles sexualisierenden europäischen Projektionen, denn diese seien ja Kindmenschen, noch natürlich und ohne zivilisatorisches Schamgefühl, und so halten sie schon seit Beginn der Ethnofotografie als Fleischvorlagen her.

Diese Funktionalisierung der Nacktgewünschten ferner Länder ist heute so weit gediehen, dass kein Reisebüroprospekt, keine Fotoreportage und selbst der seriöseste Reiseführer nicht auf die Abbildung barbusiger einheimischer Mädchen verzichtet - auch wenn diese, was aber keinen kümmert, keineswegs aus Natürlichkeit nackt sind, sondern, wie anderswo auch, weil man ihnen Geld dafür gibt. Und so reisen die solchermaßen angelockten Männer aus dem Norden in die solchermaßen beworbenen Länder, das globale Puff, verwandeln mit dem Zauberstab des Geldes Frauen und Kinder zu Kauffleisch, Reich fickt Arm, und an allen "sexuell aufgeschlossenen" Wohnzimmertischen wird tolerant und herzlich gelacht.

Dass alles, was man kaufen kann, mit Sex zu tun hat, und alles, was mit Sex zu tun hat, käuflich ist, ist zum alles umwölkenden Paradigma gereift.

Werbung: Ein Mann blickt in ein Kästchen, das man sofort mit einer Peepshow assoziiert. Am Höhepunkt seiner Ekstase öffnet er das Bratrohr und zieht einen Rinderbraten heraus. Text: "Was wäre ein Leben ohne Fleisch." Frau ist natürlich Fleisch und Sex ist ein Münzwert und alles das Gleiche. Offenbar zum Trost für die Zuseherinnen beginnt der reichlich beleibte Herr am Werbespotende vor seinen Fleischtafelgästen zu strippen.

Den Künstlern ist Sexualität und Nacktheit als Mittel der Provokation abhanden gekommen. Als Isadora Duncan 1922 öffentlich ihre Brust entblößte, betrachtete sie selbst dies noch als politischen, aufklärerischen Akt. Mittlerweile kann es sich kaum eine Frau im Showgeschäft mehr leisten, ihre Kleider anzubehalten. Der Tabubruch ist totgebrochen, das ausgeleuchtete Geschlechtsteil so bieder, spießig und konventionell wie die Möbel-Leiner-Regalwand. Jeder hat seine intimsten Geheimnisse vor der Weltöffentlichkeit austrocknen lassen. Niemand können Schwanz und Möse in Schrift und Bild noch schockieren. Die kleinsten Kinder haben im Einkaufszentrum schon alles gesehen. Die Künstler können nur hinterher keuchen, brav noch ein paar Fick-Stücke schreiben, noch ein paar Vaginalansichten malen. Unversehens sind sie freie Mitarbeiter der Sexindustrie geworden. Denn die Anpassung funktioniert nun in die andere Richtung: Wer nicht alles zeigt und alles sehen will, alles sagt und alles hören will, riskiert sein Ansehen und manchmal sogar seinen Job.

Was aber ist nun geworden aus dem Sex, der uns alle immer so interessiert hat? Gebannt warten wir auf die völlige Übersättigung. Gelegentlich wird schon die "neue Schamhaftigkeit", der "Trend zum Naturbusen" prophezeit. Psychologen ergründen und begründen, die wachsende Beziehungsangst habe den Sexualtrieb auf den Schautrieb reduziert. Und wie Günther Nenning es einmal formulierte: So wenig gepudert wie heute wurde in unserer Gesellschaft noch nie. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass der Sex als Macht und Fähigkeit des Individuums sich zuallererst im Kopf regt. Die Köpfe aber sind im wahrsten Wortsinn voll gerammelt. Jede Fantasie wird uns vorfantasiert, die selbstgedachten Bilder werden von den vorgemachten zugepickt. Martin Humer hat aufgegeben. Und Glück und Wellness und Sex gesellen sich zu Einkommen und Karriere als Aspekte gelungener Leistung.

Da gibt es die Theorie, das alles hätte mit Religion zu tun. Die Ekstase, die Erleuchtung, die Verbundenheit mit der Schöpfung und der Sinn, vor allem der tiefere, sollen den Menschen am Ende der Erregungswallfahrt zu guter letzt belohnen. Leder, Latex, Dildos und Dessous werden wie Votivgaben gekauft und geopfert. Wo früher Kreuze und Heiligenbilder an den eigenen vier Wänden hingen, sind es nun Hochglanzfotos von Ärschen und Titten, bzw. im kunstinteressierten Haushalt die ewigen schieleartig hingekritzelten Mösen. Denn die Wiederholung ist der erste Schritt in die Ewigkeit: Die Madonna mit dem Kinde hunderttausendmal, der auf der Lotosblume sitzende Buddha hunderttausendmal, das Silikontitten-Pin-up hunderttausendmal.

Ablässe werden nicht mehr an die große Kirchenorganisation, sondern an die große Sexindustrie bezahlt: Geld gegen Erlösung, Fernsehgebühr statt Kirchenbeitrag. Und das Denken und Empfinden, das Glauben und Sehen wird wieder von den öffentlichen Plätzen bis in die Intimität der Schlafzimmer gesteuert, kontrolliert und beherrscht.

Das aber, könnte man sagen, hängt auch mit dem Esoterik-Gewucher zusammen, ja, Esoterik und Erotik ergeben doch die allerbestbesuchten Messen, und in wie vielen harmlosen Haushalten findet man bereits Personen, die mittels teurer Apparate "schwingendes" Wasser produzieren. Die realen Beziehungskrisen werden durch den Kauf von Naturgeräusche-CDs, Amethystdrusen oder in schnödem Branntwein eingefangenen Kräutergeistern geheilt, und den heiligen erhofften Sex erwirbt man in Gestalt eines Tantra-Leitfadens. Der tiefe Sinn, dem man im Yoga-Kurs oder Finde-dich-selbst-
Wochendendseminar nachzubohren versucht, wird immer unschärfer zwischen den Geldscheinen, den Platten der Einbauküche, den Feng Shui-verschobenen Räumen.

Und weil alles so schnell vorbei und so schnell gelebt und so schnell abgelöst ist, und die große Liebe von heute das große Nichts von morgen, und die große Glückshoffnung von jetzt der unerklärliche Irrweg von später, und weil es in der Werbung und in den Spielfilmen allen anderen immer so viel besser geht, und weil alle ständig ihr Leben selbst in die Hand nehmen müssen und dabei ständig feststellen, dass das aufgerufene Göttliche in ihnen bei der Beherrschung der Lebensumstände versagt, wird der einzelne Kleinmensch immer noch kleiner und verspürt immer stärker den Drang zu einem Leben als Star. Denn die Stars, die Ikonen, die Celebrities und Legenden haben ihren Abdruck in die Ewigkeit eingeprägt, aber im Gegensatz zu den früheren Heiligen leben sie nicht nur ewig, sondern auch jetzt.

Und so konkurriert man nun nicht mehr allein mit der Arbeitskollegin oder dem Schulfreund, sondern zusätzlich mit Cindy Crawford und Brad Pitt. Auch das eigene Bild soll in der nach kollektiver Einschätzung begehrenswertesten Form konserviert werden, und so mancher Fotograf hat sich bereits auf das Herstellen von "Starfotos" spezialisiert. Zielpublikum ist die körpergestresste Frau, die endlich einmal zeigen will, wo in ihr die Sexgöttin steckt, indem sie sich im allüberalles beherrschenden Playboy-Stil darstellt. Und es funktioniert: Studio-Make-up und Retouche glätten jede Frau zur gleichen Art Fleisch.

Und so ist die Über-Ikone des ausgehenden 20. Jahrhunderts Pamela Lee Anderson, "Männerschwarm" mit operativ durchgestyltem Körper, die perfekte leibhaftig gewordene Plastikpornopuppe, deren restlos zerstörte Brüste, oder genauer gesagt: die sich in den Hautlappen befindlichen Prothesen, vom Vorstandsbüro bis zur letzten Bohrinsel das zentrale Gesprächsthema sind. Und niemand kann oder will es sich dazudenken, das Bild hinter den Bildern, auf dem die Frau aufgeschnitten und blutig am Chirurgentisch liegt.

Dass sie mit 12 Jahren vergewaltigt wurde, dass ihr Freund sie misshandelt, ist hingegen der Zucker auf der öffentlichen Begeilung, das lässt sich durchaus lustvoll imaginieren. Und schon ist die Friseuse aus Vorarlberg, die sich genauso hinoperieren hat lassen wie sich Pamela hinoperieren hat lassen, der nächste Fernsehstar. Der Moderator lächelt wohlwollend, die Männer im Publikum grölen wohlwollend, eine achtmal durchgeschnittene junge Frau erntet höchste Anerkennung dafür, dass sie freiwillig ihren Körper und ihre Individualität aufgibt.

Und so werden die Gesichter begradigt und geglättet bis zur Gesichtslosigkeit, Cher gibt ihren Körper, wie sie sagt, einmal im Jahr zur Reparatur wie ihr Auto in die Werkstatt, die Frauen verdinglichen also, wie man hört, sich selbst, und man versteht das ja auch, das Selbst als Ware, die Berufsschönen leben ja schließlich davon, während die anderen ihr Geld dafür ausgeben, ihnen immer ähnlicher und sich selbst immer unähnlicher zu werden, so wie die Medienbildermenschen sich selbst unähnlich geworden sind, man vergleiche nur Fotos aus prä- und post-operativer Zeit.

Die Welt bevölkert sich mit Plastikpuppenmenschen, die Angst vor ihrem eigenen Gesicht und ihrem eigenen Körper haben, der sie ständig verrät, da die Perfektion des eigenen inneren Fotos, auf dem man zwanzigjährig, durchtrainiert, abgehungert, perfekt gestylt und beleuchtet erscheint, niemals festzuhalten ist und sich aus der gefrorenen Pose stets in andere Formen verwandelt.

Das Zeitalter wurde als eines des Individualismus angekündigt, doch mehr denn je heißt Identität heute Identischsein. Der Massenindividualismus wurde zur Massengleichartigkeit. Alle verzweifelten Versuche, dem eigenen Leben noch eine Wendung ins Einzigartige zu geben, enden wieder in einem Canyon, in dem Tausende anderer Individualisten sich im Akkord der organisierten Stromschnellengefahr unterziehen.

Jede Lebensdehnung des einzelnen wird zum Generalrezept, jede kleine Freude zum großen Geschäft. Der gesamte Planet ist erschlossen, bewirtschaftet, in große Abenteuer und einzigartige Fotomotive parzelliert, die von Millionen Touristen immer und immer wieder beschrieben, gefilmt, abfotografiert werden. Die "Einheimischen" sind dabei nichts als ein weiteres malerisches Aufnahmeobjekt. Das individuelle Urlaubsfoto wird hunderttausendfach reproduziert: "ich mit Eiffelturm", "ich mit Massai-Krieger". Wer aber "ich" ist, ist letztlich genauso egal, wie wer der "Massai-Krieger" ist.

Das Exotische wird zum Alltag, das Besondere zur Norm, bald ist alles ausgereizt, bald hat jeder den viel betrampelten Himalaja bestiegen. Been there, done that, seufzen die Lebenskenner gelangweilt. Schönheit? Ausbildung? Eine Frage des Geldes. Geld? Eine Frage von Schönheit und Ausbildung. Jeder will alles haben, jeder will überall gewesen sein. Die Bewohner der Malediven werden abgesiedelt, damit man dort Hotelkomplexe errichten kann.

Wo die fremde Welt deportiert wurde, muss man abtauchen: Unter Wasser ist es noch ganz anders als gewohnt. Und wieder Fotos, das Unbekannte beleuchten und fangen. Und schon hat es jeder getan, und schon ruft das Foto vom Rotfeuerfisch nur mehr Gähnen hervor. Jede Aktivität wird zur Massenaktivität, zum industrialisierten Prozess, zum Exzess.

Die Reizschwellen steigen ins Unermessliche an. Was ist noch wirklich erotisch? Die hunderteintausendste Stripperin den hunderteintausendsten Strip abspulen zu sehen? Was ist noch wirklich grauslich? Den hunderteintausendsten Massenmörder die hunderteintausendsten Opfereingeweide herausschnetzeln zu sehen? Was ist noch wirklich ein individueller Eintrag in die eigene Lebensgeschichte? Die Bali-Rundreise? Das Paragliding-Erlebnis? Immer mehr Geschmacksverstärker sind nötig, immer mehr Kicks. Die hunderteintausendmal getretenen Eseln spüren nichts mehr. Das Leben wird zur enttäuschenden Suche nach der großen Emotion, von der man trotzig hofft, dass sie irgendwo käuflich erworben werden kann. Und der kleine Kaufkick muss immer wiederholt werden, in immer kürzeren Abständen, mit immer höheren Beträgen.

Die Frauen, die weißen Flecken, die dunklen Kontinente sind kartografiert und erforscht. Die Kolonialisierung des Planeten und des weiblichen Körpers sind abgeschlossen. Das Unangetastete gibt es nicht mehr. In jeden Keimwinkel hat die Forscherzunge geleckt. In die tiefsten, verborgensten Kammern haben die Forscherperiskopaugen geblickt. Alles ist ans Licht gezerrt, gezähmt und gefangen, wird dort konserviert und verdenkmalt, damit es nicht an der Sonne zerfällt. Durch die aufgestoßenen Türen fegt Zugluft. Die Geheimnisse sind alle gelüftet, die Erde wird vom Wind abgetragen, die Dickichte sind abgerissen, die Gesteine, die Wüsten liegen bloß....



[Artikel/realis/17.08.2002]





    Artikel/realis


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