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Zur Lage der Informationsfreiheit in Europa
Christiane Schulzki-Haddouti 02.03.2001
Ein Überblick über die derzeitige Rechtslage bezüglich Informationsfreiheit auf EU-Ebene, in Deutschland auf Länder- und Bundesebene, sowie in den Vorbildländern USA und Schweden
Mehr Transparenz, mehr Informationen - das versprach das Internet, das versprachen auch die Mitte-Links-Parteien, die bis vor kurzem noch in den meisten Staaten der westlichen Welt die Regierungen bildeten. Doch trotz Bekenntnissen zu Transparenz und Bürgerbeteiligung tut sich scheinbar ein Großteil der Politiker und Beamten schwer mit der Informationsfreiheit. Man lässt sich eben nicht gern in die Karten sehen beim Poker um die Macht - vor allem auch dann, wenn etwas schief gegangen ist.
Christiane Schulzki-Haddouti erklomm den Aussichtspunkt über die gestapelten Aktenberge und das Recht der Bürger auf Zugang zu ihnen. Doch leider enthält ihre Rundschau nur wenig gute Nachrichten. Auf EU-Ebene wird die Schraube enger gezogen, in Deutschland gibt es Fortschritte nur auf Länderebene, so bleibt einmal mehr nur der Blick auf Vorbilder wie USA und Schweden. Sind Macht und Transparenz also ein bleibender Widerspruch in der Eurokratie?
Kampf um Informationsfreiheit in der Europäischen Union
Die Europäische Union wird immer mächtiger - mehr Transparenz soll eine bessere Kontrolle ermöglichen. Allein wie zäh um den Informationszugang in der Europäischen Union gerungen wird, ist ein Indiz dafür, um wieviel Macht es eigentlich geht. Drei Treffen der drei Parteien - Kommission, Rat und Parlament - gab es bis jetzt, um die Differenzen zu lösen. Jetzt geht die Diskussion um ein europäisches Informationszugangsrecht allmählich in die Endrunden. Eine Einigung ist allerdings noch nicht in Sicht.
Der Amsterdamer Vertrag von 1997 gibt in Artikel 255 allen Bürgerinnen und Bürgern ein ausdrückliches Recht auf den Zugang zu Informationen [0] - als Gegengewicht zum offensichtlichen Machtzuwachs der europäischen Institutionen. Laut Vertrag muss eine schriftliche Regelung gefunden werden. Seit 1993 regelte aber nur die "gängige Praxis" [1] oder der "Code of Conduct", wie mit Informationsanfragen umgegangen werden soll.
Die Europäische Kommission stellte letzten Januar einen "Parlaments- und Ratsvorschlags bezüglich des öffentlichen Zugangs zu Dokumenten" [2] vor, mit dem sich jetzt Rat und Parlament auseinandersetzen.
Ein Kompromiss konnte bis jetzt nicht gefunden werden. Der Amsterdamer Vertrag setzt jedoch mit dem 1. Mai 2001 die Deadline. Die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch [3] vermutet, dass bis dann wohl keine Einigung erzielt werde. Für Tony Bunyan von Statewatch ist klar:
"Die drei Einrichtungen können sich nicht einigen, weil sie ihre eigenen Interessen schützen wollen. Alle drei Entwürfe unterminieren die gängige Praxis und würden den Bürgern weniger Rechte zugestehen."
Spirale nach unten
Die europäischen Regierungen scheint dies nicht zu irritieren. Sie legten in lockerer Folge im Europäischen Rat einen Vorschlag nach dem anderen vor, wobei jeder Vorschlag die Geheimhaltungsschraube noch enger drehte. Vor allem Deutschland und Frankreich spielen dabei eine unrühmliche Rolle [4].
Angefangen hatte diese negative Entwicklung mit dem Solana-Vorschlag [5] im Sommer letzten Jahres. Demnach dürfen alle Dokumente zur "Sicherheit und Verteidigung der Union oder einer ihrer Mitgliedstaaten oder zum militärischen und nicht-militärischen Krisenmanagement" nicht an die Öffentlichkeit herausgegeben werden. Zur Zeit läuft eine Klage [6] der Niederländer, der Schweden und der Finnen gegen den Solana-Beschluss vor dem Europäischen Gerichtshof. Das Europäische Parlament lehnte den Beschluss ab [7]. Nichtsdestotrotz griff der überarbeitete Ratsvorschlag vom 17. November den Solana-Vorschlag auf und legte fest, dass "spezielle Dokumente im Bereich der Sicherheit und Verteidigung, die als 'top secret', 'geheim' und 'vertraulich' gekennzeichnet wurden" der Öffentlichkeit dauerhaft vorzuenthalten sind.
Am 1. Dezember stellte der Rat eine noch weiter verschärfte Fassung vor: Demnach sollen nun alle in den Geheimhaltungsbereich fallenden Dokumente niemals frei gegeben werden. Dazu gehören nicht nur Dokumente aus dem Bereich Sicherheit und Verteidigung, sondern auch Justiz und Inneres, Handel, Landwirtschaft, Gesundheit und so weiter und so fort.
Hinzu kommt, dass ein anderer Ratsbeschluss von Solana vom 27. Juli ganze Dokumentenbündel unter Geheimhaltung stellt, falls nur ein einziges Dokument in diesem Bündel als geheim eingestuft wurde. Dabei gilt der Grundsatz, die höchste Geheimhaltungsstufe eines Dokuments automatisch auf alle anderen Dokumente anzuwenden.
Die europäische Praxis
Die Europäer freunden sich mit der Informationsfreiheit nur zögernd an: Im Vergleich zu den USA sehen die Nutzerzahlen in Europa erheblich schlechter aus - bei sogar sinkender Tendenz: 1999 beantragten nur 408 Antragsteller 587 Dokumente. 81 Prozent der Anträge wurden positiv entschieden. 1997 waren es noch 756 Antragsteller für 874 Dokumente bei einer Erfolgsquote von 89,3 Prozent gewesen.
Nur 2,5 Prozent Journalisten nutzten 1999 das Angebot, wohl weil die langen Antragszeiten für das schnelle Tagesgeschäft nicht taugen. Am meisten machten öffentliche Einrichtungen mit 13,4 Prozent und Wissenschaftler mit 26,2 Prozent vom Informationszugang Gebrauch. Die meisten Anfragen beziehen sich auf Zoll- und Umweltfragen sowie externe Angelegenheiten. Das Angebot auf dem EU-Server wird nur zögernd ausgebaut: Seit dem 31. März veröffentlicht Kommissionspräsident Romano Prodi im Internet einen durchsuchbaren Index seines Schriftverkehrs [8].
Immerhin. In Deutschland ist so etwas zur Zeit noch undenkbar. Der Schriftverkehr des Bundeskanzleramts ist eine interne Angelegenheit und daran werde sich auch so schnell nichts ändern, stellte ein Sprecher des Bundespresseamtes fest. Denn "wo ist der Bedarf?"
Langsame Schritte in Deutschland
Noch ist die Informationsfreiheit in Deutschland Ländersache - aber auch dies erst seit jüngster Zeit: Bürger haben allein in Schleswig-Holstein ( Informationsfreiheitsgesetz vom 9.2.2000 [9]), Brandenburg ( Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz vom 19. März 1998 [10]) und Berlin ( Berliner Informationsfreiheitsgesetz vom 15. Oktober 1999 [11]) ein umfassendes Zugangsrecht zu amtlichen Informationen. Für den schleswig-holsteinischen Landesdatenschützer Helmut Bäumler ist dies schlicht "ein Service der Verwaltung für die Bürger".
Es gibt noch eine Reihe von Spezialgesetzen, ein Umweltinformationsgesetz, das Stasiunterlagengesetz und die Pressegesetze der Länder. Bundesweite, allgemein gültige Regelungen gibt es bis heute nicht. Immerhin erlaubt Artikel 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes Bürgern Einsicht in Akten zu nehmen, soweit sie selbst persönlich betroffen sind. Das einzige Gesetz in Deutschland, das das Recht auf Zugang zu Dokumenten bundesweit regelt, ist das Umweltinformationsgesetz. Wieviele Bürger den Informationszugang nutzen, ist unbekannt. Aus den Ländern gibt es ebenfalls keine regelmäßig erhobenen statistischen Zahlen.
Falls sie denn wie in Brandenburg doch vorliegen, sprechen sie gegen das Argument, dass Informationsfreiheit "die Behörden mit einem unzumutbaren Verwaltungsmehraufwand belastet": 1998 stellten die Brandenburger karge 68 Anträge. Schleswig-Holstein wird Ende dieser Woche eine erste Bilanz seines Informationsfreiheitsgesetzes ziehen.
Langsam, ganz langsam setzt nun endlich die deutsche Bundesregierung an, ihren Entwurf vorzustellen. Im Koalitionsvertrag angekündigt, wollte sie endlich im Herbst 2000 die Eckpunkte für ein Gesetz zur Informationsfreiheit vorstellen - Ende Februar liegen sie immer noch nicht vor. Immerhin hat das Bundesinnenministerium nun über die Nachrichtenagentur Reuters ankündigen lassen, den Entwurf bald ins Netz stellen zu wollen.
Informationsfreiheit in europäischen Ländern
Deutschland gehört damit zu den unrühmlichen Ausnahmen in Europa: Neben Deutschland verfügen nur Luxemburg und Österreich über keine umfassende Gesetzgebung. In elf der fünfzehn EU-Mitgliedstaaten gibt es bereits eine eigene Gesetzgebung für den Dokumentenzugang. In Großbritannien steht ein Gesetz kurz vor der Verabschiedung. Im Unterhaus wurde es bereits verabschiedet, es fehlt noch die Zustimmung des Oberhauses.
Die meisten Länder unterscheiden nicht, ob die Dokumente von inner- oder außerhalb der Behörde kommen. Die Gesetzgebung trifft auf alle Dokumente gleichermaßen zu. Die meisten Länder sorgten auch dafür, dass persönliche Daten nicht frei gegeben werden dürfen.
Vorreiter Schweden
Am berühmtesten ist das Informationszugangsrecht von Schweden, da es bereits seit 1766 als Pressefreiheitsgesetz existiert. Dort dürfen alle offiziellen Dokumente eingesehen werden, die sich in Behördenhänden befinden. Als offiziell gilt das, was registriert wurde. Dokumente dürfen nur dann zurückgehalten werden, wenn sie der Sicherheit des Staates, die internationalen Beziehungen oder die persönliche Integrität schaden können.
Ebenfalls nicht herausgegeben werden müssen interne Dokumente, Memoranden oder Notizen, die zur Vorbereitung oder für eine mündliche Präsentation erstellt wurden - wohl aber EU-Dokumente: Schwedische Journalisten hatten sowohl bei der Kommission, als auch bei ihrer Regierung die Freigabe von 20 Dokumenten zum Europol-Abkommen angesucht. Während die Kommission allein vier freigab, gab die schwedische Regierung ganze 18 heraus.
Enthüllungen dank "Freedom of Information Act"
In den USA kann man auf Bund- und Länderebene nahezu alles einsehen. Hier entscheiden spezielle Informationsbeamte beziehungsweise Büros über die Freigabe und eventuelle Schwärzungen und Auslassungen. Seit 1966 sorgt der "Freedom of Information Act" (FOIA) in den USA für eine nicht abreißende Kette journalistischer Enthüllungen - fast alle Pulitzer-Preisträger profitierten von dem Zugangsrecht. Im Zuge von Watergate wurde das Gesetz im Sinne der Journalisten noch verbessert. Bis auf den Mitarbeiterstab des Präsidenten verpflichtet es alle Exekutivorgane des Bundes Unterlagen auf schriftlichen Antrag jedem Bürger zugänglich zu machen.
Dabei muss die Behörde beweisen, dass dies aus bestimmten, gesetzlich definierten Geheimhaltungsgründen nicht möglich ist. Dazu gehören Fragen der nationalen Sicherheit, Personalangelegenheiten, Wirtschaftsgeheimnisse, interne Memos, persönliche Daten von Privatpersonen, Angaben zu laufenden juristischen Ermittlungen sowie zur Bankenaufsicht und Angaben zur Lage von Ölquellen.
1991 gingen fast 600.000 Anträge ein. Das Verteidigungsministerium hatte 130.000, das Gesundheitsministerium 12.000 zu bearbeiten. Unterlagen wurden in 88 Prozent aller Fälle zugänglich gemacht. Journalisten brauchen anders als private Antragsteller keine Bearbeitungsgebühr zu zahlen. Auslagen für Fotokopien werden erlassen, falls die Anfrage im öffentlichen Interesse liegt oder keinen privaten kommerziellen Zwecken dient. Die meisten Anträge werden von Rechtsanwaltskanzleien oder Geschäftsleuten gestellt, nur 8 Prozent von Journalisten.
Die Antwort muss laut Gesetz innerhalb von 10 Tagen vorliegen, 10 Tage Verlängerung sind zulässig. Deshalb ist das Zugangsrecht vor allem für den investigative Journalisten mit langen Recherchezeiten interessant. Enthüllt wurde so die hohe Zahl von amerikanischen Soldaten, die im Golfkrieg aus Versehen von den eigenen Leuten erschossen wurden oder auch die Atombombenversuche in Nevada, bei denen US-Soldaten absichtlich hoher Strahlung ausgesetzt wurden.
Nicht immer kommt es zum formellen FOIA-Antrag - oft genügt schon eine Anfrage und ein kleiner Hinweis auf den Antrag, der einen hohen bürokratischen Aufwand nach sich zieht. Unter der Regierung von Reagan und Bush wurde das FOI restriktiv gehandhabt. Ein Reporter der Washington Post und ein Kollege der New York Times fanden 1983 heraus, dass die Bearbeitung keinem einheitlichen Muster folgte. Sie hatten zu den gleichen Aspekten der Mittelamerika-Politik Anträge gestellt und unterschiedliche Dokumente erhalten.
Um über ein Mosaikverfahren Lücken zu schließen, gründeten die Journalisten 1985 in Washington D.C. das National Security Archive [12] mit Hilfe mehrerer Stiftungen als Sammelstelle für Regierungsdokumente zur Außen- und Sicherheitspolitik. Dort stellen 30 hauptamtliche Mitarbeiter systematisch FOIA-Anträge, sammeln nicht mehr benötigte FOIA-Dokumente und erschließen sie in einem umfangreichen Archivierungssystem. So gelangte es an ein offizielles Dokument, das die Existenz des Spionagesystems Echelon bestätigte.
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