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Die Glücklichen Arbeitslosen: Mit der gebührenden Langsamkeit und ruhigem Fanatismus
Aus CONTRASTE Nr. 219
Provokation! Seit 1996 agiert in Berlin eine Gruppe mit dem Namen "Die gluecklichen Arbeitslosen" (siehe auch CONTRASTE Nr. 161, 178/179, 188).
Schon der Name provoziert. Dabei wollen sie es aber nicht belassen. In den letzten sechs Jahren hat die lose Gruppe eine kleine Zeitschrift herausgegeben, zahlreiche Aktionen und Veranstaltungen bestritten, Flugblaetter, Pamphlete und Faulheitspapiere verfasst.
Das Recht auf Faulheit scheint Schwerstarbeit zu sein.
Umhervagabundierende Botschaften, Internetgefluester,
Kneipenprotokolle usw. haben einen begrenzten
Verbreitungsgrad. Wenn aber diese Pamphlete etc. in ein Buch
gesteckt werden, ist die Chance das Haltbarkeitsdatum zu
verlaengern, entschieden gewachsen. Die Berliner Stammzelle
der sich in Europa rasch verbreitenden Faulheitsbewegung -
ihre Texte wurde schon in zahlreiche Sprachen uebersetzt -
unternahm diese Anstrengung fuer alle, die nicht immer auf der Hoehe der Diskussion sind oder waren. Aber selbst fuer jene, die vielleicht die meisten Sachen schon gelesen haben, haelt das Buch noch eine Ueberraschung bereit: eine wunderbare 20seitige Einfuehrung in das Thema von Guillaume Paoli, einem der Mitbegruender der "Gluecklichen Arbeitslosen".
Der Name der Gruppe ist provokant, und ihre Ausfuehrungen und
Aktionen ebenfalls. In Deutschland haben Arbeitslose nicht
gluecklich zu sein! Zumal die Gewerkschaften nix mit
Arbeitslosen anfangen koennen, und die Sozialdemokratie mit
einem Wahlslogan wie "Arbeit! Arbeit! Arbeit!" uns den
Angstschweiss auf die Stirne zu treiben versucht. Es scheint
ein gesellschaftlicher Konsens zu sein: Arbeit ist alles. Den Linken Ideologien kaemen ihre Objekte abhanden, den Konservativen der Mehrwert.
Wer sind also diese Provokateure, die uns unser Heiligtum
Arbeit ausreden wollen, und was wollen sie eigentlich? Um das
vorab richtig zu stellen: Es geht nicht darum, dass alle
Menschen aufhoeren zu arbeiten. Wenn hier besorgte Mitbuerger fragen, was denn die Krankenhaeuser etc. dann machen sollten, wenn ploetzlich alle nicht mehr arbeiten... Keine Bange. Bei den "Gluecklichen Arbeitslosen" handelt es sich nicht um eine Sekte oder eine neue Heilslehre, deren Dogmen sich alle zu unterwerfen haben.
Komplizierter wird es schon, wenn Menschen durch
Arbeitslosigkeit in finanzielle Not geraten, sei es, dass die
Schrankwand noch nicht bezahlt ist, oder Papas Mercedes noch
einen teuren Leasingvertrag hat. Hierbei waere allerdings
nachzufragen, warum die Menschen sich in derartige
Konsumabhaengigkeiten begeben? Sicher, die meisten Menschen
definieren sich ueber ihre Arbeit. Hier haben sie ihre
sozialen Kontakte. Keine Arbeit heisst einsam sein, nicht mitreden koennen, nicht an der schoenen grossen
Werbe-Konsum-Welt teilhaben koennen und im Notfall Mutti bei
der Hausarbeit helfen, oder sich gar um die Kinder kuemmern. Die Arbeitslosigkeit des Mannes stellt seine Machtposition in Frage. Die Arbeitslosigkeit der Frau tastet ihre Autonomie an. Grundsaetzlich sollten wir uns aber die Frage stellen, wie wollen wir leben? Leben wir um zu arbeiten, oder arbeiten wir um zu leben? Und fuer wie viel Geld muss/kann ich mich verkaufen, um meine Grundbeduerfnisse zu befriedigen?
Der Staat greift allerdings immer mehr in mein Leben ein. Worauf gibt es denn heute keine Steuern? Wo sind nicht irgendwelche (Grund-)gebuehren zu zahlen? Macht es da Wunder, wenn der Vorschlag kommt, die Atemluft zu versteuern? "Geld ist wie Luft: man nimmt es erst wahr, wenn es knapp wird." (S.53) Folgerichtig wurde schon im ersten Manifest der Gluecklichen Arbeitslosen "Auf der Suche nach unklaren Ressourcen" festgestellt:
"Wenn der Arbeitslose ungluecklich ist, so liegt das nicht
daran, dass er keine Arbeit hat, sondern dass er kein Geld
hat". (S. 35) Und die Frage bleibt dann, fuer wie viel Geld
bin ich bereit, meinen Arbeitsplatz irgendwelchen Strebern zu
ueberlassen?
Eine ganz andere Sache ist der Arbeitsmarkt. Mir klingt es noch in den Ohren, als die Mauer fiel und die Menschen in den "goldenen Westen" stroemten, und solche Sachen sagten wie: Wer arbeiten will, der findet auch was. Dies war natuerlich keine neue Parole und schon gar kein Parteibeschluss, der hier nachgeplappert wurde.
Nein, es ist eine christlich-abendlaendische Gebetsmuehle.
Wer wird den Menschen endlich sagen, dass es nie mehr fuer alle Arbeit geben wird? Betriebe, die Gewinne machen wollen, rationalisieren, bauen Personal ab. Schon die blosse Ankuendigung von Entlassungen lassen die Aktien steigen. Die Sozialdemokratie macht mit Hilfe der Gruenen das, was die Opposition uns versprochen hat, und in dieser Situation (Herbst 2002) kuendigen die Firmen Bayer, Infineon, Epcos, Deutsche-, Dresdner-, Commerz- und Hypo Vereinsbank einen Stellenabbau von mehr als 55.000 Arbeitsplaetzen an (S. 71). Warum sollten sich also immer mehr Menschen um immer weniger Arbeit pruegeln? Warum also nicht diejenigen entlohnen,
die sagen: Ich verzichte! (auf Arbeit). "Der Glueckliche
Arbeitslose weiht neue gesellschaftliche Werte ein, auch
wenn er nichts anderes schafft. Er entwickelt die Kontakte
mit einem Haufen sympathischer Menschen. Er ist sogar
bereit, Resozialisierungskurse fuer gekuendigte Arbeitnehmer zu geben." (S.37)
Die "Gluecklichen Arbeitslosen" stehen in der Tradition der
Dadaisten, der "Umherschweifenden Haschrebellen" usw. Mit
Witz gegen moralinsaure Kopflastigkeit und einem unertraeglichen Arbeitsmythos. Wenn heute selbst marxistische Gruppen - wie etwa "Krisis" - sich einer fundamentalen Arbeitskritik unterwerfen, so bleibt doch immer der Unterschied zwischen dem Erobern und dem Zerstoeren der (Arbeits-)Maschinen bestehen. Die allgemeine negative Definition von Arbeit bei den "Gluecklichen Arbeitslosen" stoesst immer wieder auf heftige Reaktionen - so tief sitzt der Stachel "Arbeit" im (linken) Fleisch.
Der Klassiker, Paul Lafargues "Das Recht auf Faulheit" ist
inzwischen etwas veraltet - wenn gleich der Grundtenor natuerlich stimmt. Das Buch "Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche" hat alles um die "Bibel" einer Spassguerilla der Ohne-Mich-Ag's zu werden, was auch dringend noetig ist. Denn wie hiess es: Ein Lachen wird es sein, dass Euch beerdigt. Wir brauchen endlich derartige Beitraege, die praezise und ohne ideologischen Schnoerkel sagen, wie es um uns steht, und in welche Richtung wir uns bewegen koennten. Ebenso wie in p.m.'s Schriften (bolo'bolo, Subcoma etc), werden hier vielfaeltige Ideen und Anregungen praesentiert, jedoch die notwendigen Schritte musst DU selbst gehen - wie eigentlich immer im richtigen Leben.
Dem Gespenst der Musse - also "dem taetigen Nichtstun" (Meyers Lexikon) - muss gelegentlich der Kampf gegen ABM-Stellen und Schikanen der Arbeitsaemter weichen. So kann durchaus bemerkt werden, dass der Glueckliche Arbeitslose
recht viel zu tun hat - nur bezahlt das eben niemand. Daran dachte wohl auch der Suhrkamp Verlag, als er das erste Manifest ausgerechnet in "Prof. U. Beck; Zukunft von Arbeit und Demokratie" raubdruckte.
Die "Gluecklichen Arbeitslosen" bestanden in einer
aussergerichtlichen Einigung dann darauf, dass der Text in
zukuenftigen Auflagen in diesem Buch nicht mehr erscheinen
darf. Ihre "Arbeiten" riefen gaenzlich verschiedene
oeffentliche Reaktionen hervor: z. B. Schelte von der
"konkret", aufdringliche Fersehscouts, die sie fuer Talkshows
haben wollten, mussten ebenso abgewimmelt werden, wie Internetlobhudeleien aus rechten Kreisen.
Es bleibt also nichts anders uebrig als dieses Buch selber zu
lesen. Nehmt Euch die Musse...und lasst Euch von der Muse kuessen.
Guillaume Paoli; Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche.
Aufrufe, Manifeste und Faulheitspapiere der Gluecklichen
Arbeitslosen. Edition Tiamat, Berlin 2002...
[Artikel/realis/18.02.2004]
Artikel/realis
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