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Kerstin Barnick-Braun: Notizen zum Sammeln als künstlerische Strategie

Zur Ausstellung “Dings. Aus den Sammlungen Hofer / Kaplan / Petrowitsch / Strobl / Thümmel / Wolf”

Die Sammlungen, welche die Ausstellung vereinigt, besitzen allesamt privaten Charakter. Ihre Bestandteile wurden von Grazer KünstlerInnen nicht mit dem Ziel zusammengetragen, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu werden. Gleichwohl dienen sie auch als Fundus und Archiv für die eigene künstlerische Arbeit und gewähren damit Einblicke in die künstlerische Praxis.

In den Sammlungen kann man so unterschiedliche Objekte wie Stofftiere, Lampen oder Porzellanfiguren, eine Baumrinde und einen getrockneten Frosch, Geräusche, Fotografien von Narben, abgeschnittene Haare und Nägel oder Werke von befreundeten KünstlerInnen entdecken. Sie alle wurden ausgewählt, arrangiert, in den eigenen vier Wänden zur Schau gestellt, verpackt, gespeichert, eingelagert, weil sie die Aufmerksamkeit der Sammelnden erregt haben, sie inspirieren oder aus anderen Gründen ansprechen. Darüber hinaus fanden jene Dinge Eingang in die Kollektionen, die den KünstlerInnen einfach zufielen, als Geschenk oder in Form eines Honorars.

Was hat Sammeln mit Kunst zu tun? Wie unterscheidet sich künstlerisches Sammeln vom gewöhnlichen Hobby oder dem institutionalisierten, wissenschaftlichen Sammeln? Warum sammeln KünstlerInnen überhaupt? Ende der 1990er Jahre konstatierten die Organisatoren der Ausstellung “Deep Storage. Arsenale der Erinnerung”[1], dass “Sammeln, Speichern und Archivieren in der Gegenwartskunst Konjunktur” haben. Das Sammeln von und künstlerische Arbeiten mit Alltagsgegenständen gehört seit den 1960er Jahren zu den folgenreichsten und fruchtbarsten Methoden. KünstlerInnen von Rauschenberg, Oldenburg, Beuys und Warhol über Darboven, Boltanski oder Lawler zu KünstlerInnen der jüngeren Generation wie Bott, Hoderlein, Mundt erwecken dabei den Anschein, Sammler zu sein. Im allgemeinen – und das gilt auch für die im Folgenden vorgestellten Grazer KünstlerInnen – verstehen sie sich jedoch nicht als solche.

Ein Blick auf die Merkmale einer Sammlung im herkömmlichen Sinn verdeutlicht, warum dies so ist. Demnach zeichnet sich die Handlung des Sammelns durch Systematik, Zielgerichtetheit, Intentionalität und den Anspruch auf Vollständigkeit aus. Laut Wikipedia bezeichnet “der Begriff Sammeln die systematische Suche, Beschaffung und Aufbewahrung einer abgegrenzten Art oder Kategorie von Dingen oder Informationen.” “Wer forschend sucht”, schreibt der Philosoph Manfred Sommer in seinem Buch “Sammeln”, “lässt es nicht darauf ankommen, zufällig irgendwo auf irgend etwas Sehenswertes zu stoßen. Vielmehr hat er vorweg schon ein Konzept von dem, was er in Erfahrung bringen möchte; und sorgfältig plant er die Schritte, die nun zu tun sind. Er weiß bereits, wonach er sucht, und entfaltet wohlüberlegte Aktivitäten, um es zu finden.”[2]

Im weitesten Sinn jedoch ist die Sammlung einfach das Resultat eines Zusammenbringens von Dingen, die vorher verstreut waren. Und dieser vermag auch das künstlerische Sammeln einzuschließen, das im allgemeinen offener, weniger zielgerichtet, reflektierter verläuft. Die Sammlungen, die uns hier beschäftigen, lassen sich eher als assoziativ-unsystematische Ansammlungen von Gegenständen beschreiben, die sich im Laufe der Zeit mehr oder weniger zufällig und ohne dass die Sammelnden irgendeiner Ordnung oder einem bestimmten Ziel folgten, angehäuft haben: als eine Art von “Sammelsurium”, durcheinander gesammelte oder aufgehobene Sachen unterschiedlichster Art.[3]

Ganz im Gegensatz zum Verhalten von methodischen SammlerInnen entspricht dasjenige von KünstlerInnen also eher dem des Flaneurs, des lustwandelnden Spaziergängers, der mancherlei erlebt, ohne dabei seine ziellose Aktivität einem bestimmten Zweck zu unterwerfen. “Der Flaneur vereint [...]: die absichtslos-beiläufige und die ungebunden-neugierige Weise, Erlebnisse zu haben. Er geht umher – in einer Schleife –, als ob er etwas herholen wollte, hegt aber nicht die geringste Absicht, irgendetwas zu besorgen: Mit leeren Händen kommt er zurück; sein Gang ist müßig. Und er schaut umher, ohne auf etwas Bestimmtes aus zu sein; alles Überraschende, Sonderliche, Ungewöhnliche ist ihm gleichermaßen willkommen. Der Flaneur ist Passant und Voyeur. Und das ‘Moderne’ an ihm: Er führt die Beiläufigkeit und Zufälligkeit, mit der Wahrnehmungen sich einfinden, selbst handelnd herbei: Alles kommt auf ihn zu, alles geschieht ihm – aber nur, weil er es mit Willen und Bewusstsein auf sich zukommen und mit sich geschehen lässt. Lassen: das ist es, was er tut. [...] Absichtlich macht der Flaneur sich zum ambulanten Ort kontingenter Erlebnisse.”[4]

Flaneur wie KünstlerIn treibt die freie Neugierde an, welche freilich gelegentliche Forschungsinteressen nicht ausschließt. Erfahrungen und Dinge sammeln beide gleichsam im Vorübergehen. Und dieses Sammeln lässt sich durch seine besondere Aufmerksamkeit gegenüber der Welt in ihrer phänomenalen Fülle als ästhetisches bezeichnen. Voraussetzung für das ästhetische Sammeln ist eine spezifische Wahrnehmungsweise, die nicht die Verfassung der Welt eruieren möchte, sondern sich vorbehaltlos ihrer Gegenwart hingibt. Die ästhetische Wahrnehmung setzt zweierlei voraus: Zeit für den Augenblick und demjenigen, was den Sinnen und der Imagination in einem bestimmten Moment begegnet; sowie eine von jeder Berechnung entbundene Perspektive auf die Dinge. Sie nimmt auf die Frage der Nützlichkeit und Brauchbarkeit dessen, was man weiß oder in Erfahrung bringen will, keine Rücksicht. Der Begriff “ästhetisch”, abgeleitet vom griechischen “aisthesis”: sinnliche Wahrnehmung, bezieht sich auf jene Zweckfreiheit einer spezifischen Anschauungsweise, die im Bild des Flaneurs so anschaulich zum Ausdruck kommt. Eine ästhetische Sammlung unterliegt also primär keinem bestimmten Plan, entsteht nicht nach einer im Vorhinein festgelegten Ordnung und besteht aus Objekten, welche – im weitesten Sinne des Wortes – sehenswert sind.

Das Eigenartige/Eigensinnige am Sammeln von KünstlerInnen liegt jedoch nicht nur in der Art, wie sie sammeln, sondern auch darin, was sie sammeln. Ganz entgegen dem kulturellen Sammlungsanspruch, der nur das landläufig Wertvolle, Besondere bewahren möchte, wenden sie sich bereits seit Beginn des vorigen Jahrhunderts immer wieder dem Alltäglichen, Banalen, Ausgesonderten, Unbeachteten, Vernachlässigten, Lächerlichen, Flüchtigen zu. So beginnen Expressionisten und später Surrealisten, Objekte heimischer Volkskunst sowie solche außereuropäischer Kulturen zu sammeln und lassen sich von ihnen formal wie inhaltlich anregen. Die Objekte gelten ihnen als Beweis für die Möglichkeit einer ursprünglichen, unverfälschten menschlichen Ausdruckskraft. Darüber hinaus üben Werke psychisch Kranker eine große Anziehungskraft aus. Nach dem zweiten Weltkrieg, in welchem viele KünstlerInnen selbst als “Irrsinnige” und “Psychopathen” diffamiert werden, sammeln unter anderen Jean Dubuffet und Arnulf Rainer Bilder von Insassen psychiatrischer Anstalten. Außergewöhnliche Materialien wecken ebenfalls das Interesse von KünstlerInnen, wie die von Marcel Duchamp 1919 konservierte “Pariser Luft” oder die von Piero Manzoni 1961 in Konservendosen aufbewahrten eigenen Exkremente. Ganz gewöhnliche, oft industriell gefertigte Alltagsgegenstände finden bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts als formale Bestandteile in der kubistischen und dadaistischen Collage Verwendung, werden als ready-made bei Duchamp unverändert zum Kunstwerk erklärt und setzen sich schließlich als künstlerische Gestaltungselemente in den 1960er Jahren durch. VertreterInnen der englischen und amerikanischen Pop Art sowie des Nouveau Réalisme in Europa sammeln Gebrauchsobjekte und Abfall, die als “reale Materie” für Unmittelbarkeit und Authentizität stehen. Mit der Zeit werden Abfallprodukte zu einem vertrauten Werkstoff, das Sammeln von gewöhnlichen Dingen zu einer geläufigen Methode. Dabei entwickeln KünstlerInnen bis heute mannigfache Verfahren, die sich theoretisch kaum vereinheitlichen lassen und dennoch – genauso wie die in dieser Ausstellung vertretenen Sammlungen, von denen drei Strategien vorgestellt werden – wesentliche Aspekte des geläufigen Sammelns berühren und verdeutlichen.

Anita Hofer, die grundsätzlich darauf achtet, nicht allzu viele Dinge um sich herum anzuhäufen, sammelt Gegenstände bzw. Materialien, die Zeugnis ablegen von Prozessen/Ereignissen und von den meisten Menschen kaum oder gar nicht wahrgenommen werden. Einige dieser Ereignisse haben manifeste, buchstäblich mit Händen zu greifende Spuren hinterlassen: wie das Stück Rinde, das sich irgendwann von einem Baumstamm gelöst hat, oder der in der Mittagshitze auf den Strassen von Marrakesch in einer charakteristisch-bizarren Körperhaltung vertrocknete Frosch. Andere Spuren wiederum benötigen, um sammelbar zu sein, einen dinglichen Träger, ein Medium, das reproduziert, speichert, aufzeichnet, dokumentiert: wie die – fotografisch festgehaltene – Narbe an einem menschlichen Körper und das – mit einem Tonband aufgenommene – Geräusch von Schritten in einer Abflughalle.

Die Sammlerin solch ausgewählter Einzelstücke ist sich darüber im Klaren, dass man “üblicherweise unter dem Begriff Sammeln etwas anderes versteht”[5]: als Sammeln von Gleichem, wie Uhren oder Briefmarken, als Variation eines Themas. Ganz offensichtlich aber entspricht die Heterogenität der von Anita Hofer versammelten Objekte nicht einer vordergründig abgegrenzten Kategorie von Dingen. Das, was sie dennoch miteinander verbindet, ist ihre ästhetische, der bewussten Anschauung erfahrbare, strukturelle Qualität. Es sind die Oberflächenstukturen der organischen Sammelstücke (der Rinde, des Frosches, der Narbe), genauso wie die Musikalität und Rhythmik der konservierten Geräusche, welche die Künstlerin faszinieren und zum Sammeln motivieren.

Die Einzelgegenstände erfahren durch ihre Aufnahme in die Sammlung Veränderungen auf zweifache Weise: Durch die Lösung aus ihren ursprünglichen Zusammenhängen verwandeln sie sich einerseits in nunmehr funktionslose, isolierte Teile – ein Vorgang, der dem (ästhetisch) Wahrnehmenden den Blick auf ihre rein formalen Qualitäten ermöglicht bzw. erleichtert. Andererseits wird aus dem Unbeachteten, dem ganz und gar nicht Seltenen, dem Wertlosen etwas Besonderes. Indem sie sich die Dinge “aneignet”, verwandelt Anita Hofer das Gesehene, Gesammelte, Aufbewahrte zu Kunst. “Denn das, was Kunst ist, soll nicht von aussen definiert werden. Ich erkläre es dazu.”[6]

Sammeln zeigt sich als Handlung, um etwas sichtbar zu machen, herauszuheben, als ästhetisches (sehenswertes) Phänomen präsent zu haben. Sammeln kann sich aber auch ganz ausdrücklich dem Bewahren von Dingen vor dem Vergessen oder Verschwinden widmen.

Edda Strobl sammelt neben “nützlichen Dingen”, wie Büchern, Fotos, Zeitschriften und Kataloge, “unnütze Dinge”[7], Gegenstände aus der Warenwelt, die ihre Funktion bereits eingebüßt haben, die von ihrer früheren BesitzerInnen ausgesondert und weggeworfen wurden. Unter ihnen befinden sich verschiedene Schachteln und Lampen, ein Globus, ein Porzellanesel. Sie zeugen durch Abnützungserscheinungen von früherem Gebrauch, sind ramponiert und hässlich, haben ausgedient. Gerade aus diesem Grund finden sie Aufnahme in die Sammlung Strobls, die Mitleid mit den Dingen empfindet und ihnen gleichsam Schutz gewährt. Die Sammlung wird zum Zufluchtsort. Denn einmal als Müll bezeichnet und so behandelt, sind die Sachen bestimmt für den Abtransport zu Mülldeponien, wo Gegenstände nur deshalb zusammengetragen und aufbewahrt werden, um dauerhaft zu verschwinden. Die Deponie ist also der äußerste Gegensatz zur ästhetischen Kollektion, welche auf die permanente Anwesenheit und Verfügbarkeit von Dingen zielt.

Indem sich die Künstlerin in die Perspektive von Objekten begibt, unbelebten Gegenständen einen subjektiven Sinn zuschreibt, wird eine magische Dingwelt sichtbar, die vielfältige und unbemerkte Übergänge und Wechselspiele zwischen Objekt und Subjekt andeutet. Plötzlich erscheint es möglich, dass die Grenze zwischen leblos und lebendig, aktiv und passiv, artifiziell und natürlich unscharf und brüchig ist. Denn wenn menschliche Benutzung deutlich sichtbare Spuren an den Dingen hinterlässt, warum sollten die Dinge nicht ebenso auf ihre BenutzerInnen Einfluss ausüben, die sich doch alltäglich mit ihnen umgeben?

Dass es so ist, führt uns die folgende Installation buchstäblich vor Augen und Ohren. In einer Vitrine ausgestellt ist ein Stofftier (eine Katze) aus der frühesten Kindheit Strobls, jener Zeit, in der die Objektwelt noch ganz selbstverständlich belebt war. Umhüllt von Stoff – eine von der Künstlerin selbst ausgeführte Konservierungsmaßnahme, um das abgenutzte Spielzeug vor dem Zerfall zu bewahren – verwandelt es sich in eine fremdartige Mumie und wird zu einem archäologischen Schatz, zu einem geheimnisvollen Fetisch, einer wertvollen Reliquie im Andenken an die Kindheit. Gleichzeitig steht dem Betrachter ein Text zur Verfügung, in welchem Strobl die Geschichte von der Katze, die sprechen konnte, erzählt. Über Lautsprecher schließlich ist die “Sprache der Dinge” zu hören, jene Geräusche, die im Versuch der Künstlerin, über Berührungen mit den Dingen zu kommunizieren, entstanden sind.

Sammlungen können Vergangenes erinnern und bewahren, aber auch Vorräte für die Zukunft anlegen. Helmut Kaplan trägt Dinge zusammen, die “auf etwas warten”[8], die zu einem unbestimmbaren Zeitpunkt ihre Bedeutung offenbaren und interessant werden könnten: darunter Objekte mit bestimmten äußerlichen Merkmalen wie dünn und lang[9], die eigenen Haare und Nägel, Einladungskarten zu diversen kulturellen Veranstaltungen. Diese “Ansammlungen von Material”[10] sind entgegen dem traditionellen Sammlungsbegriff ohne Anspruch auf Vollständigkeit entstanden und ihre Leerstellen weniger als Lücken, denn als offene Verzahnungsmöglichkeiten des Gesammelten zu begreifen.

Ausgangspunkt seiner Beschäftigung mit Alltagsgegenständen ist die merkwürdige “Unruhe”[11], die von ihnen ausgeht. Offenbar besitzen Dinge unterschiedliche Qualität, die dazu führt, dass einen manches anspricht und berührt, anderes wiederum gar nicht. Liegt dies am Ding selbst oder handelt es sich um eine Projektion der Betrachter? Um diese Fragen beantworten zu können, beginnt Kaplan Ende der 1980er Jahre, alle Dinge in seinem Besitz (darunter auch Sammelstücke) zeichnerisch abzubilden. Im (Ab-)Bild, das eine Abstraktion vom physischen Ding und seiner Materialität bedeutet, sollen die Gegenstände auf eine formale Ebene gebracht und dadurch vergleichbar, klassifizierbar gemacht werden.

In einer daran anschließenden Versuchsreihe widmet sich Kaplan explizit der Sammlung von Gegenständen. Assoziativ und ohne an eine thematische Vorgabe gebunden zu sein, sucht er Dinge auf Flohmärkten, in Altwarengeschäften oder Müllcontainern, kombiniert und arrangiert sie schließlich an den Wänden seiner Wohnung: Musikinstrumente, Holzstücke, getrocknete Blumen, Bilder. Die Sammlung präsentiert sich als formales Arrangement, deren Bestandteile abgehoben sind von früherer Funktionalität und Verwendungszusammenhang, als eigene Welt gesetzt im vorläufigen, subjektiv motivierten Zusammenschluss völlig unterschiedlicher Gegenstände.

Das langsame, prozessuale Anwachsen der Sammlung führt Kaplan wiederum zum Problem notwendiger Ordnungs- und Differenzierungsschritte. Die verfremdende Situierung und Kombination der Dinge im neuen, selbstgewählten Zusammenhang sprengt längst die Geschlossenheit scheinbar kohärenter Beziehungen nach herkömmlichen Maßstäben. Auf der Suche nach Kriterien, die erneut übergeordnete Inhalte und Zusammenhänge aufzuzeigen imstande sind, stößt er auf den Begriff der Entropie, Maß für die Unordnung in einem System, welcher ihm – seinem Verständnis nach – Entscheidungsfreiheit zugesteht und begründet. Denn wenn alle Vorgänge des Lebens irreversibel nach Erhöhung der Entropie streben und allein die Zufuhr von Energie diesen Prozess verhindern kann, dann hat man die Wahl, worin man etwas investiert, dann können Ordnungssystem und Ordnungsgrad von jedem/jeder Einzelnen selbst bestimmt werden. Für Kaplan bedeutet diese Überlegung die Legitimation für einen spielerischen Zugang zum kreativen Arbeiten, bei dem er die Bedingungen und Regeln selbst festlegt. Erkenntnis und Wissen, wie es in den Sammlungen zum Ausdruck kommt, basieren solchermaßen auf einer privaten Übereinkunft, die stets neu und anders getroffen werden kann. Die Sammlungen selbst aber erzeugen auf diese Weise dynamische, veränderliche Ordnungen, Momentaufnahmen sowohl des Inhalts als auch der Form.

Das, was zunächst irritiert haben mag, die Art des künstlerischen Sammelns als scheinbar zielloses, unlogisches Anhäufen von Gegenständen, lässt sich nicht nur als ästhetisches, sondern auch als schöpferisches Sammeln begreifen. Im Aufeinandertreffen von disparaten, inkommensurabel erscheinenden Elementen, die in eine unerwartete Beziehung treten, kann jenseits der gewohnten, alltäglichen Kombinationen Neues entstehen – eine Methode, die auf die Surrealisten zurückgeht und als Collage-Prinzip die künstlerische Praxis bis heute entscheidend geprägt hat.

Die schöpferischen Sammlungen sind immer in Bewegung, schon alleine dadurch, dass sie sich erweitern und vergrößern, aber auch wieder schrumpfen. Helmut Kaplan “dünnt” seine Sammlungen des öfteren “aus”[12]; Anita Hofer verschenkt Teile ihrer Sammlung, wenn sie keine Bedeutung mehr für sie haben; Edda Strobl versucht Dinge “sinnvoll wieder loszuwerden”[13], indem sie sie in künstlerische Objekte verwandelt.

Jede Sammlung bedeutet (individuelle) Ordnung. An einem bestimmten Punkt kann sie jedoch zurückschlagen – weil sie zu viel Platz beansprucht, sich jedem Ordnungsversuch widersetzt, unüberschaubar geworden ist. Am Ende ist die Sammlung mitunter nur mehr Müll, den man schwer wieder los wird.


______________________________________________

[1] Deep Storage. Arsenale der Erinnerung. Ausstellung im Haus der Kunst, München 1997 u.a.. Katalog hg. von Ingrid Schaffner und Matthias Winzen, München/New York: Prestel 1997
[2] Manfred Sommer: Sammeln. Ein philosophischer Versuch, Frankfurt / Main: Suhrkamp 1999, S.325
[3] Die Künstler selber sprechen von “Zeug”.
[4] Sommer, a.a.O., S.328
[5] Anita Hofer in einem Gespräch am 2. Juni 2006
[6] ebd.
[7] Edda Strobl in einem Gespräch am 2. Juni 2006
[8] Helmut Kaplan in einem Gespräch am 12. Juni 2006
[9] Die Sammlung verschiedener Fundstücke, wie Stangen, Stäbe udgl. trägt den Titel ”divers & lang”.
[10] Kaplan, a.a.O.
[11] ebd.
[12] ebd.
[13] Strobl, a.a.O....




[Artikel/artifex/07.08.2006]





    Artikel/artifex


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