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der "ausreißer" bei der DIAGONALE
A 2005, Regie: Jörg Kalt
Unmittelbar stellt der Eröffnungsfilm der heurigen Diagonale seine ProtagonistInnen in den Mittelpunkt, setzt sie der Kamera und dem Geschehen förmlich aus, zeigt Leben abseits der Traumvillen und Modell-Körper (genau dieser Umstand zeichnet den Film aus), zwingt die Handlungen nicht auf, vielmehr geschehen sie einfach. Etwas anders verhält es sich bei den Begegnungen. Anna und Nicola, ein junges rumänisches Paar, kommen nach Wien - und wollen nicht bleiben, sondern wieder zurück. Die rasche Schnittfolge zu Beginn verursacht kurzfristig Irritationen, der vielzietierte rote Faden besteht aus einem, ab und an doch etwas konstruiert wirkenden, Netz von zufälligen Treffen - die Idee ist nicht neu, doch davon abgesehen eröffnet sich dem/der ZuschauerIn ein Blick in die Gefühlswelt, deren Darstellung trotz der Ernsthaftigkeit der aufgegriffenen Thematiken nicht eines lakonischen Humors entbehrt, der sowohl Geschehen als auch Personen nahe zum Publikum bringt.
Ein menschlicher Crash Test, der für die Grenzen physischer und psychischer Belastbarkeit steht, bleibt nicht die einzige, wohl aber die stärkste und eindrucksvollste Metapher des Films.
Evelyn Schalk
Lviv - Mauthausen
A 2004, Regie: Harald Aue
Der Dokumentarfilm liefert ein sensibles Portrait des jetzt 78-jährigen Ukrainers Bogdan Sidelnyk aus Lviv, der als 16-Jähriger das KZ Mauthausen überlebt hat. Seit 1985 besucht er ebendort die alljährliche Gedenkveranstaltung - er reist jedes Jahr nach Mauthausen, um das Vergessen zu verhindern. Mit der Realisierung dieses sehr persönlichen und gerade deshalb berührenden Films wird dazu beigetragen, dies auch für die nachfolgenden Generationen sicher zustellen.
Wolfram Scheucher
Hicbiryerde/ Innowhereland
TK 2001, Regie: Tayfun Pirselimoglu
Hicbiryerde/ Innowhereland ist der im Rahmen des Schwerpunktes "Blickwechsel in naher Ferne" gezeigte Spielfilm von Tayfun Pirselimoglu. Eine grossartige Zuhal Olcay spielt eine Mutter, die ihren vermissten Sohn sucht. Im Vorspann des
Filmes wird darauf hingewiesen, daß in der Türkei jährlich 1000 Menschen in Polizeigewahrsam verschwinden. Die Mutter wird auf ihren Irrwegen zwischen Glauben und Hoffnung schließlich und endlich bis nach Ostanatolien begleitet, wo sie ihren Sohn dann auch findet. Ein Film, der keine Hoffnung auf ein gutes Ende
zuläßt, aber ein authentisches Szenario bietet...
Wolfram Scheucher
Artikel 7 - Unser Recht
A/SLO 2005 Regie: Thomas Korschil, Eva Simmler
Einer der wichtigsten FIlme der heurigen Diagonale. Artikel 7 - Unser Recht dokumentiert nicht nur den aktuellen Stand des Ortstafelstreits in Kärnten, sondern zeigt die komplexen Zusammenhänge der unterschiedlichen Ebenen des Konflikts als filmische Collage.
Historisch absolut umfassend recherchiert und verarbeitet, gibt der Film Einblick in die Hintergründe einer Auseinandersetzung um an sich mehr oder weniger belanglose Ortstafeln. Es wird deutlich, wie sich an dem lokalen Konflikt die Minderheitenpolitik der 2. Republik ablesen läßt. Als in den 70er Jahren erstmals zweisprachige Ortstafeln aufgestellt werden sollten, kam es zu pogromartigen Zuständen, dem "Ortstafelsturm", der in der Demontage endete.
Aggressionen gegen SlowenInnen wurden und werden natürlich besonders von deutschnationaler Seite geschürt. Bilder von Trachten- und Militäraufmärschen unter einem Motto wie "Das ganze Land im Kärntner Gwand", bei denen auch auf Fahnen gestickte Nazi-Parolen zu lesen sind, verdeutlichen diesen Umstand ebenso wie einschlägige Äußerungen seitens des Kärntner Heimatdienstes. Die Rolle der slowenischen Partisanen im Kampf gegen Hitler wird bis dato historisch weitgehend ignoriert. Dem Druck von Rechts beugte sich einst auch Bruno Kreisky, heute, da der Verfassungsgerichtshof 2002/02 den Artikel 7 des Staatsvertrages bestätigte, wonach hunderte zweisprachige Ortstafeln aufgestellt werden müßten, wird die Gesetzeslage von der Bundesregierung schlichtweg ignoriert und vom Kärntner Landeshauptmann Haider mit rassistischen Äußerungen zurückgewiesen. Hier zeigt sich die Ironie des Geschehens: Gerade jene Seite, die traditionellerweise auf die Erhaltung von "Recht und Ordnung" pocht, verstößt gegen eben dieses.
Evelyn Schalk
Erik(A)
A 2005, Regie: Kurt Mayer
Das Traurige am Kinobesuch ist ja, dass der Film – im besten Fall – das Angenehmste am ganzen Abend ist. Zugegeben, ich hab schon lange nicht mehr so viele Menschen vor dem Royal English Cinema gesehen. Es ist auch schon länger her, dass niemand während des Films telephoniert hat, oder seinem Sitznachbarn parallel zum Film die Handlung erzählt hat (es lebe das Diagonale Publikum!). Stickige Luft und die auf dem Vorhang drapierten zum Erbrechen kitschigen Stoffe, man will schon applaudieren, wenn die Stoffmassen endlich zur Seite gezogen werden, doch: Erik(A) ist all diese Qualen wert!
Die Biographie Erik Schineggers, der 1966 in Chile als Frau den Sieg in der Abfahrt holte, wird anhand von Interviews, Wochenschauaufnahmen und privatem Filmmaterial erzählt. Wer sich eine allgemeine Aufarbeitung der Genderproblematik erwartet, wird jedoch enttäuscht sein. Die Geschichte wird sehr subjektiv erzählt, ganz ohne, oder auch mit besonders vielen Klischees. Aber nichts davon wirkt konstruiert, oder aus den Mitwirkenden herausgepresst. Keine Meinung die einem suggeriert werden soll. Viele der sehr natürlich wirkenden Interviews sind so unterhaltsam, dass man Angst hat, die starke Erkältung die neben einem sitzt, wird sich vom nächsten Lach-Husten-Anfall nicht mehr erholen. Die eindrucksvollen Bilder des Films werden von der berauschend schönen Musik Olga Neuwirths begleitet, die verhindert, dass man die – teilweise zu lang geratenen – Landschaftsaufnahmen für eine Österreich Werbung hält.
Alles in allem eine gelungen Dokumentation, deren inhaltliche Lücken in der anschließenden Diskussion zwischen Regisseur, Autorin und Publikum, wenn auch nicht immer gefüllt, so zumindest erklärt wurden. Leider wurde das Gespräch nach einiger Zeit zu einer Selbstdarstellung der Mitwirkenden seitens des Publikums, weshalb ich meinen bereits eingeschlafenen Hintern erlöste, um mich zu den anderen Diskussionsfaulen ins Foyer zu begeben, wo bereits leise Lobeshymnen gesungen wurden.
Fu
Fräulein Phyllis
A 2004, Regie: Clemens Schönborn
Der TItel spielt recht zynisch mit dem zentralen Persönlichkeitsmerkmal der Hauptfigur: Während die Anrede "Fräulein" das Fünfziger-Jahre-Klischee der braben jungen Frau suggeriert ist die Phyllis des Films alles andere als harmlos oder naiv. Vielmehr treibt sie ein handfester Sadismus zu entsprechenden Handlungen, der zwar in erster Linie ihrer Muter gilt, sich jedoch auf jede/n, den/der sie im laufe des Pllots begegnet, überträgt - mit fatalen, nein letalen, Folgen für alle Beteiligten - alle, außer Phyllis versteht sich.
Bewußt gesetzte Anspielungen und Parallelen zur "Klavierspielerin" (wenn auch mit umgekehrter Folgewirkung) sind unübersehbar.
Aus psychologischer Sicht wirft der Film die Frage nach den Auslösern solcher Bösartigkeiten (die Mutter des Fräuleins ist auch nicht gerade das Herzchen in Person) auf, näher betrachtet ist er aber durchaus eine tiefschwarze Komödie über Freudsche Abgründe und verquert gespiegelten Chauvinismus. Nicht nett, ein etwas galliges Gefühl im Rachen hinterlassend...
Evelyn Schalk
Philosophisches:
Überlegungen zum Phänomen Film im Namen der Bilder
oder: Was ein guter Film wäre
1) Ich frage mich, ob man wissen kann, warum ein Film Auszeichnungen, Ehrungen und Oscars bekommt? („Oscar“ heißen Hunde, aber nicht Auszeichnungen und Kennzeichnungen für „gute“ Filmepen!) Sind Filmauszeichnungen nicht Ehrungen dafür, daß man (zumindest eine Jury)es ertragen hat, ihn zu sehen?
Aber sieht man einen Film überhaupt? – Oder ist man nicht vielmehr Opfer einer filmischen Vergewaltigung, einer Vergewaltigung durch ein Bild-Staccato, das Augen und Gehirn bombardiert?
2) Filmkunst ist Kriegskunst – ein Krieg gegen Augen und Gehirn, oder besser gegen das Denken! Wer denkt schon, wenn er/sie einen Film sieht? Einen Film zu sehen bedeutet: nicht zu denken, Filme befreien von der Last des Denkens – aber was sieht man, wenn man nicht denkt?
3) Der Zuschauer muß den Film wahrnehmen (sehen) ohne wahrzunehmen, daß er ihn wahrnimmt. Die Wahrnehmung des Films ist nicht von der Wahrnehmung der Wahrnehmung begleitet, d. h. daß das Sehen eines Filmes einen blinden Fleck impliziert – dies führt zur Amnesie des Bewußtseins, zur Regression in der persönlichen Entwicklung. Wir sehen Filme als würden wir wie Säuglinge an warmen, weichen Brüsten Milch und Honig saugen. Geschlechtslos saugen wir an der filmischen Bilderflut, die der wirkliche Tod des Bildes ist. Der Film ist der Tod der Bilder! Obwohl die Filmindustrie und die „Filme-Macher“ immer mehr Bilderfilme erzeugen, gibt es immer weniger Bilder. Die inflationäre Anbetung der Bilder (Idolatrie) ist die eigentliche Bildervernichtung (Ikonoklasmus).
4) Um den „Wert“ eines Bildes wieder „sehen“ zu können, müßte man den Film verbieten. Man kann nur hoffen (da ein Verbot nicht möglich ist), daß in einem der Filme (vielleicht in der Pause zwischen den Vorführungen, wenn gerade kein Film im Filmfestival läuft) auch ein Bild auftaucht – wie „ein Blitz aus heiterem Himmel“ (Mary McCarthy). Ich bitte das Filmfestival-Komitee um die Möglichkeit eines Bildes, das nicht erscheint, um ein Bild wirklich erscheinen zu lassen!
Drehbuchanweisung:
A) Der Kameramann nimmt das Bild auf, das er nicht aufnimmt.
B) Der Film zeigt ein Bild, das der Kameramann nicht aufgenommen hat.
C) Das Publikum ist begeistert, weil es im nicht zu sehenden Bild die schönsten Filmaufnahmen sieht.
D) Dieses Bild bleibt dem Publikum ewig in Erinnerung.
5) Obwohl die meisten Filme nur eine schlechte Verdoppelung der Wirklichkeitsbilder sind, ist unsere visuelle Lust an ihnen unstillbar. Wir genießen den pornographischen Akt der Darstellung (und die Darstellung ist die eigentliche Pornographie!), weil uns die Filmemacher zu Voyeuren haben werden lassen. Als Voyeure wollen wir wissen, wie die Wirklichkeit wirklich ist, aber ohne es wirklich wissen zu wollen.
6) Deshalb werden jene Filme ausgezeichnet, die bloß die erfundene, zurechtgemodelte Wirklichkeit zeigen (zumindest in Hollywood), aber nicht „Bilder“. Die entscheidende Frage lautet: Wie könnte der Film seine Abstraktion finden, um wie die Malerei wieder die Kraft des Bildes erstehen zu lassen (mußte nicht die Malerei durch die Hölle des „Weißen Quadrates“?), so daß auch der Filmbetrachter wieder zum Bild-Seher wird? Filmemacher haben eine Verantwortung für Bilder – oder?
7) Deshalb ist das experimentum crucis für jedes Filmfestival und die „diagonale“: Gibt es unter all den Filmen auch Bilder?
Erwin Fiala...
[News/artifex/20.03.2005]
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15.02.2006 ausreißer VII
03.02.2006 CODE INCONNU
30.01.2006 Nam June Paik gestorben
18.01.2006 Eröffnungsfilm der DIAGONALE 06
12.01.2006 ausreißer VI
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29.08.2005 Transmitter 2005: Gegen den Mainstream bürsten!
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20.03.2005 der "ausreißer" bei der DIAGONALE
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