kig Kultur in Graz. Plattform f?r interdisziplin?re Vernetzungsarbeit.

Lesen Programm Kulturarbeit Kurse Ausschreibung Jobs ausLage ?ber uns Links




´^` zurück    ! neu...     * alle kategorien


ausreißer VI

+++ Thema: imagine... Kunst und Literatur im politschen Kontext +++

inhalt:
/editorial
/reflux
/kasperln und hofnarren
/die politik der musen
/das „gegen gedächtnis“
/I hope some day...
/mythos «Ton Steine Scherben»
/das politische in der musik
/imagine
/«alles deutet in die zukunft, auf den sieg des menschen über das Tier»
/die wiederholung des massenmordes
/von sinnen


Bitte für fehlerfreie Druckversion untenstehende pdf Datei verwenden!

Editorial



Die Verbindung von Kunst und Kultur mit politischen Aspekten sorgte schon immer für Diskussionsstoff. Der Grat zwischen Propaganda und differenzierter, engagierter und kritischer Ausseinandersetzung ist schmal und die Gefahr des ideologischen Mißbrauchs und der damit einhergehenden Manipulation nur allzu groß. Daher vielleicht auch die Vorsicht, um es einmal sehr zurückhaltend auszudrücken, die gerade heute Künstler, eben auch MusikerInnen und LiteratInnen um deren Genre es in vorliegender Ausgabe in erster Linie geht, im Umgang mit politischen Themen (eine konkrete Auseinandersetzung über die genaue Definition dieses Begriffs würde sich auch einmal lohnen...) an den Tag legen. Doch herrscht aktuell eine absolut andere Grundstimmung, als zu jener Zeit, als John Lennons „Imagine“ die Hoffnungen einer ganzen Generation verkörperte. Ohne jetzt auf den 68er-Mythos näher eingehen zu können: An der unabdingbaren Notwendigkeit einer Umsetzung gesellschaftlicher Veränderungen in die Richtung, die damals versucht wurde, einzuschlagen, hat sich weder politisch noch gesellschaftlich etwas geändert. Was sich hingegen sehr wohl geändert hat, ist die Bereitschaft, für solche Veränderungen einzutreten, Mund und Hirn zu öffnen und Kritik an herrschenden Verhältnissen kundzutun. Zwischen Autoritätshörigkeit, Gleichgültigkeit und der Angst aufzufallen pendeln die Gründe, die die Menschen (nur allzu oft erfolgreich) daran hindern (sollen!) Position zu beziehen. Einlullen in den Kreislauf aus Konsumieren und sich fürs Geld zum Konsumieren abstrampeln, daneben bleibt zum Denken und erst recht zum Handeln keine Zeit mehr. Die vorliegende Ausgabe beschäftigt sich mit eben solchen Aspekten, ihrer Umsetzung und deren Handlungsträgern. „Imagine!“ ist jenseits jeder Nostalgie durchaus als Aufforderung gemeint, als Aufforderung sich wieder bewußt zu werden was mit und um uns geschieht, was daran alles unzumutbar ist, auszusprechen ohne sich schon bevor es jemand anderes tut selbst zu zensieren und sich vor allem für entsprechende Alternativen einzusetzen. Denn „Imagine“, „Stell‘ dir vor!“ (und stell dir die Dinge wirklich vor! tja, stell dir vor, auch das ist möglich...!), bedeutet so in erster Linie menschlich und vor allem eigenständig zu denken und zu fühlen, jenseits von Geltungssucht, Profitgier und Machtgeilheit auf Kosten aller - und vor allem Handlung, Handlung, die sich gegen eben jene Devise richtet, die Geld und Macht über Menschen stellt.

Evelyn Schalk


Reflux


Valium contra Menschlichkeit

Musik ist ein starkes Medium, um Anschauungen jeglicher Art zu vermitteln und vor allem zu verbreiten. Dazu wurde sie schon immer genutzt. Kriegslieder, politische Hymnen, Schlachtrufe beim Sport - wenn wir sie singen erzeugen wir ein Gemeinschaftsgefühl, etwas das uns zeigt, wer wir sind und wer die anderen.
Live Aid Konzert 2005. Millionen von Menschen verteilt über den ganzen Globus waren mit dabei. An den Bühnen oder vor dem TV-Gerät (außer jenen, die sich auf ORF beschränken müssen, denn diesem waren die Live-Übertragungsrechte ja bekanntlich zu teuer, bei sämtlichen Fußballspielen und anderen Sportevents dieses Erdballs scheint dies hingegen kein gravierendes Hindernis zum Endlos-Einlullen des Publikums darzustellen...). Ebenso viele ließen sich via Internet registrieren, um so ein Statement abzugeben. Um zu sagen, daß ihnen die „Welt-Geld-Politik“ so wie sie jetzt ist nicht paßt! Doch wie viele von ihnen wollten eigentlich nur dutzenden von Bands und Musikern zujubeln, feiern und tanzen? Wie vielen von ihnen war es tatsächlich ein Anliegen etwas zu verändern? Oder war das ganze einfach eine Inszenierung zwischen Eitelkeitsbefriedigung und persönlicher Image-Bereicherung aller Beteiligten? Aber: Spielt das überhaupt eine Rolle? Zählt nicht einfach das Ergebnis? Ist es für jene, denen das ganze Spektakel zugute kommen soll, nicht ganz egal, mit welchen Nebeneffekten diese Veränderung (vielleicht doch) in gang kommt? Die Medien als Mittel zum Zweck, der auch für sie keineswegs unprofitabel ist. Doch: Kann die Musik der Reichen tatsächlich bewirken, dass sich das Leben der Armen verändert? Oder war diese Veranstaltung eher so etwas wie eine global injizierte Valiumspritze gegen unser schlechtes Gewissen? Denn eine letzte, aber entscheidende Frage, weit über Live AId hinausgehend, im Zeichen der sogenannten Menschlichkeit, lautet: Wie viele wollen, daß sich wirklich etwas ändert?

Ulrike Freitag und Evelyn Schalk


kasperln und hofnarren


Teil6

Es mag Zufall sein :) aber es fällt genau in die „zeitliche Umgebung“ der Schwarz-Blau-Orangen Regierung, dass sich die Rahmenbedingungen für Literatur in diesen wenigen Jahren enorm verschlechtert haben und sich weiter im Sinkflug befinden. Literatur ist also zum Überlebenskampf geworden. Zum Kampfgebiet, zumindest für die Autoren. Darüber wollte ich mich vor einiger Zeit auch mit der Politik austauschen. Schickte gleich einmal eine e-mail an Franz Morak. Um ihm anhand meiner Person darzulegen, wie es auch für andere Autoren in diesem Land sein könnte: Hatte ich zum Beispiel vor 11 Jahren für mein erstes, 30 Minuten dauerndes Hörspiel bei Radio Bremen 4.000 DM lukriert, brachte vor 2 Jahren ein Hörspiel gleicher Länge beim ORF 1.300 €. Usf. Ich versuchte Morak zu erläutern, dass die Erwerbsmöglichkeiten der Autoren keine funktionierende grundlegende Basis mehr haben und man auch darüber nachdenken müsste.
Morak beauftragte daraufhin seinen Abteilungsleiter in Sachen Literatur, mir einen Brief zu schreiben, um mich über die Förderungsmöglichkeiten durch das Bundeskanzleramt aufzuklären. Zuerst war ich beleidigt, weil ich dachte, Morak wollte mich seinerseits beleidigen mit diesem Brief. Denn denkt er wirklich, dass einer, der seit 15 Jahren als freier Autor lebt, über diese grundsätzlichen Strukturen des Betriebes nicht Bescheid weiß? Aber dann dachte ich sofort, dass Morak sich einen Scherz mit mir machen wollte, und das heiterte mich auf. Denn ich freue mich, wenn die Menschen zu scherzen aufgelegt sind und sich freuen. Ich stellte mir vor, wie Morak am frühen Vormittag an seinem Schreibtisch sitzt, beim Lösen des Freitags-Sudokus im Standard nicht vorwärts kommt und beschließt, seinem Abteilungsleiter für Literatur telefonisch den Brief an mich in Auftrag zu geben. Ich stellte mir vor, wie er sich nach dem Telefonat zufrieden zurücklehnt und minutenlang darüber amüsiert, was er sich da Feines ausgedacht hat. Aus die Maus*, dachte er wohl in Bezug auf die Literaten und ihre Probleme. Ähnlich ist es ja auch den Kabarettisten ergangen, als der Kärntner Kasperl und eine immer größer werdende Anzahl an Hofnarren gegen Wien gezogen sind, um die Macht an sich zu reißen. Und die Menschen dieses Landes zu erheitern mit ihren Possen. Auch die Kabarettisten werden seitdem weniger gebraucht.

Mike Markart

* aus: Standard Interview 21. Juli 2005


die politik der musen


Ästhetik und Politik stehen in einem allzu engen Verhältnis zueinander.

Ästhetische Festlegungen in eine bestimmte Richtung haben fast zwangsläufig ähnliche politische Optionen zur Folge und umgekehrt. Diese Behauptung lässt sich an einigen Beispielen aus der Geschichte der Musik belegen und hat wohl auch in anderen Bereichen des Musischen Gültigkeit.
Man kann etwa, wie Arnold Schönberg es getan hat, das westlich-abendländische Tonsystem als Analogon wirklicher Machtverhältnisse verstehen und die Tonalität, das Verhältnis von Tonika und Nebenstufen, in Bildern beschreiben, die sämtlich dem Politischen entnommen sind: Die Tonalität, so Schönberg, laufe ständig Gefahr, „ihre Herrschaft zu verlieren“ gegenüber den „Selbständigkeitsgelüsten und Meutereibestrebungen“ der Nebenstufen, die sich als „Untergebene“ dem „Herrscherbedürfnis des Tyrannen“ (der Tonika) widersetzen.1 Aus dieser Analyse folgt das Bestreben, die Herrschaft eines Tones über die anderen zu brechen und somit die Töne zu befreien. Schönbergs Zwölftontechnik sollte sicherstellen, dass alle 12 Halbtöne der Oktave gleichberechtigt nebeneinander stehen und keiner den Vorzug vor den anderen erhält.
Man kann sich zu noch stärkeren Thesen versteigen und behaupten, Musik bilde nicht nur Machtverhältnisse ab, sondern übe darüber hinaus eine objektive Wirkung, eine Macht auf die menschliche Seele aus. Das ist die Haltung Platons, der folglich die Musik für das effizienteste Mittel hält, die Menschen zu gehorsamen Untertanen zu formen. Sie ist, mit Sloterdijk zu sprechen, eine „königliche Anthropotechnik“?2. Die Mächtigen werden zu Hütern, ihre Politik dient der Zucht. Aufgabe der Hütenden ist es nun, Musik so zu verwenden, dass die Harmonie im Staat erhalten und gefördert wird. Mit unerbittlicher Konsequenz folgert Platon, dass nicht jede Form von Musik den Menschen zuträglich ist: Zensur ist die Folge. „Reinigen wir wieder die Stadt“?3, heißt es in der Schleiermacher-Übersetzung an einer Stelle; im griechischen Original steht das Verbum diakathaíro, das wohl besser mit „säubern“ wiederzugeben wäre.4 Das Ergebnis dieser philosophischen „Säuberung“: Nur bestimmte Tonarten und Instrumente werden zugelassen, die restlichen verboten.
Im 20. Jahrhundert wurden diese Ideen auf schreckliche Weise real: In Nazi-Deutschland galt, was nicht im Sinne der Herrschenden war, als „entartet“; Musik wurde für Propagandazwecke und zur Aufrechterhaltung der Moral eingesetzt. Das Dorische war, ähnlich wie bei Platon, eine herausragende Tonart im Sinne der Ideologie, und ebenso gab es eine Rangordnung der Instrumente. Den Nazis galt die Orgel als das „totale Instrument“: Ihre Architektonik korrelierte mit jener der Bauten eines Albert Speer, ihre Größe mit der Gigantomanie der Nazis. Für die Kongresshalle der Reichsparteitage wurde 1936 eine Riesenorgel gebaut, die über 16000 Pfeifen verfügte, von denen die größten 12 Meter maßen.5 Noch größere Orgeln waren geplant, doch der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verhinderte die Umsetzung dieser Ideen.
Ungefähr zur selben Zeit versuchte John Cage, der bei Schönberg in Kalifornien Unterricht erhalten hatte, einen anderen, alternativen Weg zu gehen. Er will die Musik von jeglicher Herrschaft befreien – was auch die Herrschaft eines Sinns miteinschließt. „Töne sollte man respektieren, anstatt sie zu versklaven“?6, lautet sein Programm. Seine ästhetische Haltung erwächst aus seiner politischen Überzeugung: Cage ist Anarchist, sein politisches Vorbild Henry David Thoreau. Genau so, wie keine Person fremdbestimmt sein sollte, sollten auch die Töne von keinerlei äußerer Struktur determiniert sein. Seine eigene Aufgabe als Komponist sieht Cage darin, den Tönen die Möglichkeit zu eröffnen, sie selbst zu sein. Weder der Komponist soll den Klängen vorschreiben, was sie zu sein haben, noch die Hörer, die bis dahin eine hermeneutische Macht über das Gehörte ausübten. Cage gibt eine neue Devise aus: „new music, new listening“?7. Um anders zu komponieren und um anders zu hören, führt Cage im weiteren Verlauf seines Schaffens neue Verfahren ein, wie z.B. Zufallsoperationen oder das Unbestimmtseinlassen seiner Musik durch mehrdeutige Notation.
Cage will kein Tyrann sein, der jedes kleinste Detail seiner Kompositionen kontrolliert. Autorität ist ihm zuwider, auch die eigene Autorität als Komponist. An die Stelle der Tyrannei des schöpferischen Ichs tritt die musikalische Anarchie, jene Herrschaftslosigkeit, die schon Schönberg durch seine Gleichberechtigung aller Töne herbeiführen wollte. Auf die Spitze trieb Cage dieses Konzept in seinen Happenings der 1970er-Jahre: Bei diesen war nichts abgesprochen, keiner der Beteiligten wusste, was passieren würde. Das Publikum war frei, daran teilzunehmen und zu hören, was es wollte (nicht, was der Komponist ihm vorschrieb). Hier also fand die Befreiung der Töne, der Interpreten sowie der Hörerinnen und Hörer vom Willen und der Macht des Komponisten statt.
Freilich bleibt Cages Befreiungsprojekt in letzter Konsequenz undurchführbar. Theodor W. Adorno erkennt das Utopische an Cages Standpunkt und weist die Vorstellung eines „Naturzustands“ der Töne zurück, zu dem Cage vordringen will. Der „nackte Ton“ ist zwar ein „anti-ideologischer Grenzwert“, doch ist jeder Ton „bereits ein Vermitteltes, ‚Gesetztes‘“.8 Dennoch führt der Weg, den Cage eingeschlagen hat, ins Offene. Adorno schwebt bei seiner Suche nach einer musique informelle eine ähnliche Utopie vor. Musik, will sie sich vom Politischen lösen, muss daher „vollkommen frei vom heteronom Auferlegten und ihr Fremden“?9, frei von außerästhetischen Faktoren werden. Doch dies ist unmöglich; denn wenigstens einen Faktor kann die Kunst nicht außer Acht lassen: den Menschen.

Franz Teissl

1 A. Schönberg: Harmonielehre. Wien: Universal Edition 1922 (Auflage 1997), 177f.
2 P. Sloterdijk: Regeln für den Menschenpark. Ein Antwortschreiben zu Heideggers Brief über den Humanismus. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1999, 52.
3 Platon, Politeia 399e.
4 Vgl. A. Riethmüller: Zur Politik der unpolitischen Musik. In: S. Ehrmann-Herfort / L. Finscher / G. Schubert (Hg.): Euro-päische Musikgeschichte. Kassel: Bä-renreiter/Metzler, 2002. Bd. 2, 1079-1114, hier 1093.
5 Vgl. Riethmüller, a.a.O., 1084.
6 R. Kostelanetz: John Cage im Gespräch. Zu Musik, Kunst und geistigen Fragen unserer Zeit, Köln: DuMont 1989, 165.
7 J. Cage: Silence. Middletown, Connecticut: Wesleyan University Press 41979, 10.
8 Th. W. Adorno: Vers une musique informelle. In: Musikalische Schriften I-III. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2003 (= Gesammelte Schriften 16), 493-540, hier 519f.
9 Adorno, a.a.O., 496.


das „gegen gedächtnis“


Theaterstücke von Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek.

Im Staate Österreich wird gedacht. Besser gesagt «GEDENKT»; denn: Gedenken ersetzt hierzulande Gedanken. So, oder so ähnlich, könnte das Motto der zahlreichen Gedenkveranstaltungen in diesem Jahr lauten. Eine wirkliche Aufarbeitung der jüngsten historischen Ereignisse (ich meine damit auch und gerade den Zweiten Weltkrieg und die nationalsozialistischen Diktaturen in Deutschland und Österreich) ist in den Hintergrund getreten und im Lichte der Öffentlichkeit wird auf die Diktatur mit der Diktatur der Phrase geantwortet. Abgedroschene und durch ihre Starrheit und mechanische Reproduktion sinnentleerte Sätze ersetzen echtes Verstehen und Verständnis, Mitgefühl und Schuldeingeständnisse. Die Formel „Nie wieder Krieg!“ ist ausgehöhlt und durch immer neue Kriege ad absurdum geführt. Im kollektiven Gedächtnis ist der Zweite Weltkrieg in weite Ferne gerückt (worden), obwohl das Kriegsende gerade einmal sechzig Jahre her ist. Noch kein Menschenalter ist vergangen, traumatisierte Opfer und deren Angehörige leben noch und müssen ihr Leben mit dem Wissen bewältigen, dass über sechs Millionen Juden ermordet worden sind. Und trotzdem herrscht die Haltung vor, dass es sich um eine abgeschlossene Ära handle, die mit uns nichts mehr zu tun habe. Der Genozid am jüdischen Volk, die Shoa, wird einem abstrahierten ‚Bösen‘ zugewiesen, wodurch verdeckt wird, dass konkrete Menschen die Exekutionen vorgenommen haben, dass konkrete Menschen Soldaten und Aufseher in Konzentrationslagern waren.

Gegen das Vergessen anschreiben: Literarische Nestbeschmutzer

Es ist vor allem der Zweite Weltkrieg und seine unzureichende Aufarbeitung (Verharmlosungen, Relativierungen, Aussparung, phrasenhafte Medienberichterstattung uvm.), gegen die AutorInnen wie Elfriede Jelinek und Thomas Bernhard, angetriebenen von einer unbändigen Wut, anschreiben. Wie sehr gerade Bernhard und Jelinek das Theaterpublikum beunruhigten und beunruhigen zeigt sich deutlich an den von ihnen produzierten Theaterskandalen und ihrer medialen Diffamierung als ‚Nestbeschmutzer‘ durch die Boulevardpresse.
1988 schrieb Thomas Bernhard das Stück Heldenplatz für die 100-Jahr-Feier des Wiener Burgtheaters. In langen und sich steigernden Schimpfmonologen hält Bernhard dem Publikum vor Augen, dass der Zweite Weltkrieg noch lange nicht abgeschlossen ist. Das hässliche Freudengeschrei beim Empfang von Hitler am Heldenplatz im Jahre 1938 verfolgt die traumatisierten Opfer nach wie vor, eine Heimat kann es für die Verfolgten weder im Herkunftsland noch im Exilland geben, eine Rückkehr zur ‚Normalität‘ ist unmöglich. Das Werk „Heldenplatz“ konnte auf Grund von Störungen während der Vorstellung nur unter Polizeischutz aufgeführt werden.
Auch in ‚Vor dem Ruhestand‘ (1979) dominiert die Kontinuität. Diesmal auf der Täterseite: Nach zehn Jahren kriecht der ehemalige SS-Offizier und KZ-Kommandant aus seinem Kellerversteck hervor und steigt auf der Karriereleiter hinauf bis zum Posten des Gerichtspräsidenten. Antisemitismus und faschistische Tendenzen haben nur geschlummert und bestehen in der Kontinuität der Person weiter.
Mit Elfried Jelinek komme ich noch einmal zu den diesjährigen Gedenkfeiern zurück: Österreich feiert. Österreich feiert sechzig Jahre Kriegsende, fünfzig Jahre Staatsvertrag und zehn Jahre Europäische Union. 1995 war das Jahr des EU-Beitritts. Die Fahnen sollten in Erinnerung an das Jahr 1995 allerdings besser auf Halbmast wehen. Im Freudentaumel der Erinnerung und all der Gedenkfeiern wird vergessen, auch das ‚andere‘ 1995 ins Gedächtnis zu rufen. Am 4. Februar 1995 wurden vier Angehörige der Volksgruppe der Roma im burgenländischen Oberwart durch die Detonation einer Rohrbombe getötet. Der Anschlag war rassistisch motiviert. Auf ihrer Homepage hat Elfriede Jelinek der Volksgruppe der Roma eine Stimme verliehen und arbeitet - wie in ihrem Stück ‚Stecken, Stab und Stangl‘ (1995) - gegen das Vergessen und Verdrängen und die Art der Medienberichterstattung an. ‚Stecken, Stab und Stangl‘ reicht vom literarischen Raum in die Welt der Tatsachen hinein und baut ein dichtes Beziehungsnetz mit dieser auf. Das Beziehungsgeflecht zwischen Literatur und der Welt der Tatsachen war einigen Politikern anno 1995 anscheinend ein wenig zu eng. Auf politische Literatur antworteten die Wiener Freiheitlichen mit einer sich selbst anklagenden Plakatkampagne: „Lieben Sie Scholten, Jelinek [...] Peymann [...] oder Kunst und Kultur?“, prangte auf riesigen Plakaten in der Stadt.
Politische Literatur hat offenkundig Potenzial, Potenzial zum Aufzeigen und Aufregen. Zu hoffen ist, dass die (Schreib-)Wut sich nicht verliert oder der Resignation und dem Schweigen weicht, politische Nährstoffe hätte sie ja ausreichend. (Zum Beispiel die bedenklichen Aussagen zum Nationalsozialismus und zu Konzentrationslagern von Gudenus und Kampl aus diesem Jahr.) Um mit Bernhard selbst zu schließen: „Es kommt darauf an ob man es tut oder nicht tut“, tut es!


Literatur:
Thomas Bernhard: Vor dem Ruhestand (1979), Heldenplatz (1988)
Elfriede Jelinek: Stecken, Stab und Stangl (1995)
www.elfriedejelinek.com

Elisabeth Augustin


I hope some day we will join us, And the world will live as one.



Werter John Lennon!
(who the fuck is “you”?)

Imagine there’s no heaven, no countries, no possesions
Keine Religion, keine Nationen, kein Eigentum? Genau! Über diese Totalitarismen - Glaube, Ideologie und Wirtschaft - wird unser Leben bestimmt, darüber wird - in unserem konkreten Fall - Herrschaft verwirklicht.

living for today, Nothing to kill or die for, No need for greed or hunger
Vertrösten auf bessere Zustände im Jenseits und erzeugt, verkörpert die Idee einer geschlossenen Einheit, einer In-Group, einer WIR-gegen-die-anderen-Gruppe, die wir – so ungerecht auch immer im Inneren – trotzdem gegen Außen verteidigen müssen. Schließlich diese ökonomischen Ideen, Denkkategorien, die Armut und Leid in größtem Umfang erzeugen und zu rechtfertigen wissen.

It’s easy if you try, It isn’t hard to do, I wonder if you can
Genau! und es ist überhaupt nicht so schwer und nur im Kopf und doch soo schwer. Wie placebo zutreffend auf den Punkt singt: “All it takes is one decision - A lot of guts, a little vision to wave - Your worries and cares Goodbye.” (und alles wird anders! glaub mir …)

You may say I’m a dreamer, but I’m not the only one,
I hope some day you’ll join us, And the world will live as one.

Aber wer um alles in der Welt ist dieser YOU, der uns joinen, verbinden, zusammenbringen soll? An wen hast du gedacht, die Religion durch die Hintertür wieder hereinbitten? Nur WIR können das sein, jedeR einzelne für sich, selbstbestimmt und jenseits der Konkurrenz im Zusammenwirken mit den anderen, letztlich notwendigerweise mit allen anderen.

Wolfgang Schmidt


mythos «Ton Steine Scherben»



Die 1970 in Berlin aus der Coverband Degalaxis und dem Theaterprojekt der beiden Brüder des Bandleaders Rio Reiser, dem Hoffmanns Comic Teater (sic!), entstandene Rock-Band Ton Steine Scherben inspirierte nicht nur die deutsche Rockmusik, den Punk und die Neue Deutsche Welle, sondern traf mit ihren rebellisch-radikalen Texten auch politisch den Nerv der im Zeichen der 68er-Bewegung stehenden Zeit. Vor allem die proletarische Jugend sollte mit den revolutionären Texten und Slogans wie „Ich will nicht werden, was mein Alter ist“, angesprochen werden, die sich zur Ideologie der Jugend entwickelten. Keine andere Band wurde zu Beginn der Siebzigerjahre derartig mit Anti-Kapitalismus und Revolution assoziiert.
Besonders anarchistische und linksradikale Kreise identifizierten sich mit den Scherben, die nach ihrem ersten Auftritt am schlecht organisierten „Festival der Liebe“ auf der Insel Fehmarn bekannt wurden. Das wütende Publikum stürmte nach ihren Liedern „Solidarität“, „Wir streiken“ und „ Macht kaputt, was euch kaputt macht“ die Bühne, die später in Flammen aufging.
Die Band lieferte die musikalische Begleitung für Demonstrationen und Hausbesetzungen, an denen sie nicht nur häufig teilnahm, sondern auch im Anschluss an ihre Konzerte dazu aufrief. So auch bei der Besetzung des Bethanien-Krankenhauses in Kreuzberg nach einem Scherben Konzert auf einem Teach-In in der Alten TU, das infolge der Erschießung Georg von Rauchs durch die Polizei, einem Mitglied der „Bewegung 2. Juni“, stattfand. Das Haus wurde nach dem Getöteten benannt und Ton Steine Scherben widmeten diesem Ereignis ein Jahr später den Rauch-Haus-Song auf ihrer zweiten und wohl bekanntesten Platte mit dem Titel „Keine Macht für Niemand“. Dieser Satz, der eigentlich aus einer Revolutionszeitschrift stammte, wurde zum Schlachtruf der Studentenrevolten und ist bis heute nicht in Vergessenheit geraten, was zahlreiche Beispiele an Fassaden, Toilettetüren und anderen plakativen Plätzen - auch in Graz – beweisen.
Häufig wurden Ton Steine Scherben auch mit der RAF in Verbindung gesetzt, die angeblich die Band damit beauftragte, den Song „Keine Macht für Niemand“ für sie zu schreiben, der dann allerdings als „für den anti-imperialistischen Kampf ungeeignet“ abgelehnt. wurde. Ebenfalls kursierten Gerüchte dass deren Album „Keine Macht für Niemand“ mit Geldern aus Banküberfällen einer Revolutionären Zelle finanziert worden sei. Aus der Biographie Rio Reisers geht jedenfalls hervor, dass er zumindest kein Sympathisant der RAF war. Seine Texte weisen aber auf eine anarchistische Ideologie hin, etwa wenn es, wie im Song „Mein Name ist Mensch “ heißt „Und der Planet Erde wird uns allen gehören, und jeder wird haben, was er braucht.“ Konkreter ist der Wortlaut etwa in dem Lied „Die letzte Schlacht gewinnen wir“ 1972, worin es heißt „Wir brauchen keine Fabrikbesitzer, die Fabriken gehören uns“, der Proudhons Devise „Eigentum ist Diebstahl“ in gekonnter Weise verpackt.
Ein politisches Instrument wurde im Laufe der Zeit ihr Label „David Volksmund Produktion“ (welches das erste Indie-Label überhaupt in Deutschland war), da sich darin die totale Verweigerung gegenüber der Industrie ausdrückte. Dies war unter der linken Fangemeinde zwar gern gesehen, führte allerdings zu schwerwiegenden finanziellen Problemen.
Mitte der Siebziger schwand die Radikalität zeitgleich mit dem Abflauen der Protestbewegung aus den Texten der Scherben. In den frühen Achtzigern fanden die Scherben in den „Grünen“ ein neues politisches Umfeld (ab 1982 war Claudia Roth, die spätere Bundesvorsitzende, Managerin der Scherben).
Die Band, deren praktisch-politische Bedeutung faktisch wohl kaum jene war, der ihr zugeschrieben wurde beziehungsweise wird, wurde zum Mythos hochstilisiert. Erwähnenswert bleibt aber ihr Engagement für die Schwulen-Bewegung.
Ihr musikalischer Einfluss ist jedoch bis heute bemerkbar und durch ihre (damals noch unüblichen) deutschen Texte und ihren eigenen Musikstil, für den es damals den Namen „Punk“ nicht gab, haben Ton Steine Scherben ein Stück Musikgeschichte geschrieben.

Quellen:
http://www.riolyrics.de/
http://www.laut.de/wortlaut/artists/t/ton_steine_scherben/biographie/index.htm
http://www.geocities.com/theloepa/reiser.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Ton_Steine_Scherben

Gertraud Zuckerstätter


das politische in der musik


Am Beispiel des deutschen Schlagers

Da für die Nazis die Musik ein wichtiges Propagandamittel war, musste sie gesäubert werden. Einerseits von den „jüdischen“ und „kulturbolschewistischen“ Elementen, andrerseits von jenen Erscheinungsformen (= Klängen), die, auch ohne speziell politisch motiviert zu sein, der gewünschten Disziplinierung der Massen entgegenwirken könnte. Ersteres führte zu einem bis heute nicht ausgeglichenen Aderlass der deutschen Musikkultur und zweiteres zu einer „reinen und der Schönheit dienenden“ Harmonielehre. Da die Musik über die Wirklichkeit hinwegtäuschen und die Verheißungen des Dritten Reichs verherrlichen sollte, wurde sie auf das Allerletzte vereinfacht, der Dreiklang zu dem stilbildenden Akkord und die Funktionsharmonik zu dem stilbildenden Prinzip. Für all die Mythen, den erhabenen Pathos und das militante Droh- und Imponiergehabe wurde eine regenerierte Tonsprache benötigt. Selbst Märsche und die, sowieso schon von der wilhelminischen Zensur betroffenen Volksliedsammlungen wurden gesäubert. Das deutsche Wesen, das echte Deutsche, musste sichtbar bzw. hörbar sein. So entstanden die melodisch stumpfen Phrasen, unter die ein gnadenloser Marschrhythmus gelegt wurde. Der Text wurde mit tierischem Ernst und dumpf dämonischer Leidenschaft gesungen (Horst Wessel Lied „Es zittern die morschen Knochen“, „Morgen geht es todwärts“).
In der bürgerlichen Kultur hatte die Kunst auch den Ruf des Umstürzlerischen, des Anklagens und des Aufbegehrens bekommen. Im Expressionismus kamen dann noch die Darstellung extremer psychischer Zustände wie Angst, Verzweiflung und Schmerz dazu. In der Musik gab es einerseits die Abkehr von der Funktionsharmonik durch die Zwölftonmusik und den Einfluss von Arnold Schönberg, die Rhythmen wurden ausgeweitet und andererseits kam die amerikanische Jazzmusik nach Europa. Mit dieser Musik konnte keine Herrenmentalität, kein Sieges- und Vernichtungswillen aufgebaut werden. So wurde diese als „volksfremd“ und „zersetzend“ ausradiert. Wilhelm Reich hat darauf hingewiesen, wie der preußische Absolutismus und dann der NS-Staat (und das gilt auch und im Besonderen für Österreich) jene kleinbürgerliche Familie mit jener kleinbürgerlich faschistoiden Mentalität entstehen ließ, die aus ihrer Ohnmächtigkeit heraus alles ablehnt und vernichten will, was mit neuem Gedankengut, Auflösung übertragener Formen usw. verbunden ist. Dass diese Mentalität auch nach dem Ende des NS Regimes fortdauerte, kann leicht an der Feindlichkeit der breiten deutschen und österreichischen Öffentlichkeit gegenüber neuen Kunstformen und an der Blütezeit des, die Harmonielehre der Nazis perfekt nachvollziehenden, deutschen Schlagers gesehen werden.
Der deutsche Schlager erlebte seine erste Blütezeit vom Beginn der 50er Jahre bis Anfang der 60er Jahre, also in der sogenannten „Aufbauzeit“ und der ersten Zeit des Kalten Krieges. Der Mitte der fünfziger Jahre aus den USA kommende Rock`n Roll wurde entweder „eingedeutscht“ (Peter Kraus, Ted Herold, der größte Hit von Elvis Presley in Deutschland, wo er den amerikanischen Militärdienst ableisten musste, war seine Fassung des Volksliedes „Muß i denn zum Städtele hinaus...“) oder es wurde eine Art „Heimatliches“ als Gegenwelt entwickelt. („Junge, komm bald wieder...“)
Die Harmonik des deutschen Schlagers geht meist nicht über die drei Dur-Akkordstufen (I - IV -V) hinaus, einige Lieder haben noch die Akkordfolge I - IV - IVmoll - I und manches Mal (aber sehr selten) kommt auch eine sechste Mollstufe vor. Viele der Lieder bestehen aber überhaupt nur aus einem Wechsel zwischen I. und V. Stufe. Die letzte Strophe wurde bzw. wird oft einen Halbton höher gespielt.
Die Melodie bewegt sich im Rahmen der diatonischen Dur-Tonleiter und sehr oft überhaupt in der pentatonischen „Fünftonleiter“, also in der Melodik von Kinderliedern. Das in und für Musik generell wichtige Mittel der Wiederholung wird bis zum Äußersten ausgereizt (wer kennt das nicht, dass einem die banalen Melodien dauernd im Ohr bzw. im Hirn bleiben).
Der Rhythmus ist meist ein etwas modifizierter Marschrhythmus oder bei den langsamen Liedern („Schnulzen“) ein typischer 6/8 Rhythmus, die Bassphrasen betonen die „schweren“ Taktteile 1 & 3. Der Rhythmus der einzelnen Melodien ist ebenfalls auf diese Taktteile bezogen (es gibt also keine Synkopen)
Die Texte sind entweder beschwichtigend (das Glück liegt in Heim und Familie und wie im damaligen deutschen und österreichischen Film „enden“ die Lieder am Standesamt, die Frauen warten oder weinen um den „Einen“...), die Herrschaftsmodelle anerkennend („Die süßesten Früchte...“, die vielen „Ehre die Mutter“ - Lieder) oder verschlüsselt reaktionär (besonders die die „Sehnsucht aus der Fremde“ behandelnden Texte von Freddie Quinn, in denen die verlorenen Großmachtträume behandelt werden und die Heimatlieder von Heino). Als besondere „Intensitätssteigerung“ wird des öfteren eine Textzeile gesprochen.

Eine besondere Verunsicherung traf die deutsche Schlagerbranche ab Mitte der 60er Jahre, als sich ein großer Teil der Jugend der anglo-amerikanischen Beat- und Rockmusik zuwandte und sich überhaupt nicht mehr mit den Aussagen und Melodien des deutschen Schlagers identifizieren konnte (wobei auch deutsche Gruppen auf Englisch zu singen begannen). Als sich aber in der Aufbruchsstimmung der späten 60er Jahre viele Jugendliche auch immer mehr politisch engagierten, waren die Macher der deutschen Plattenbranche und die Rundfunkstationen eine Zeitlang ziemlich ratlos. Das politische Engagement der Jugend, die Abkehr von den Werten der Aufbaugeneration im Aussehen wie im „nicht mehr brav still halten und konsumieren, was einen vorgesetzt wird“ und das Auftauchen einer „außerparlamentarischen Opposition“ (APO) war für die stockkonservative deutsche Schlagerbranche nicht nachvollziehbar und sie reagierte mit einer der reaktionärsten Singleveröffentlichungen: Freddie Quinns „Wir“.
In den 70er Jahren wurde nun versucht eine Verbindung von der seichten anglo-amerikanischen Musik und dem deutschen Schlager zu schaffen: Das brachte u.a. Gruppen wie „Boney M.“, „Flippers“ oder „Middle of the road“ hervor, die sowohl englische als auch deutsche Texte gesungen haben. Ein Phänomen der damaligen Zeit war, dass es gewisse Popgruppen gab, die besonders und manchmal überhaupt nur in Deutschland und Österreich erfolgreich waren.
In den frühen 80er Jahren ging der deutsche Schlager eine kommerziell erfolgreiche Verbindung mit der sogenannten Volksmusikszene ein. Die Plattenbranche puschte (und puscht) ihre Stars in den „Musikantenstadl-Shows“ und in eigenen Festivals, deren Wichtigkeit für die Vermarktung der Stars sie von der Rockmusik gelernt hat.
Seit 20 Jahren erlebt der deutsche Schlager nun eine Renaissance von unvorstellbarem Ausmaß. So wurde z.B. das regionale Radioprogramm in Ö2 ganz auf das andauernde Abspielen dieser Schlagermusik umgestellt. Die diversen Sänger, Sängerinnen und Gruppen füllen riesige Bierzelte. Viele der einzelnen Musiker sind offene Sympathisanten von reaktionären Parteien wie der BZÖ & FPÖ, da die Kunst- und Ausländerfeindlichkeit, sowie das Hochhalten der Ideologie von „Heim, Herd und Männlichkeit“ dieser Parteien, ihren Anhängern und deren Klischees (und besonders ihrem Konto) zugute kommt.

Berndt Luef


imagine



imagine
a working class hero
is someone
to be

music
music
music
&politics

wenn
der sound von den träumen
und dem veränderungswillen
die sätze
begleitet vom bass
mit anderen
zusammen
das leben gestaltet
im rhythmus
des neuen
des anderen
Lebens
change the world
change the world
change the world
again and again

wenn
die bühne verlassen
und die ansprüche
of love and solidarity
verwirklicht
werden
sollen
und
endlich
endlich
endlich
again and again

wenn
working class heroes arbeitslose
entrechtete
abhängige
ihre rechte
the needed money
in den händen halten
der zugang frei
zur uni & anderen orten
independent poeple
freedom
freedom
freedom
again and again

die sätze
&
musik
wirklichkeit
werden
lassen
take me home
with you
and you
and you
and you

music
&politics

Christian Wabl


«alles deutet in die zukunft,
auf den sieg des menschen...



...über das Tier“1. MusikerInnen und KomponistInnen spielten schon vor den Jugendbewegungen der europäischen und US-amerikanischen Nachkriegszeit in politisch progressiven Zusammenhängen eine wesentliche Rolle. Am 9. August 1975 starb Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch 68-jährig in Moskau.

Wird im bedenklichen Jahr der Erinnerung schon vor lauter Staatsvertragsjubel und Wiederaufbaueuphorie nicht nur auf die Beteiligung einer großen Zahl von ÖsterreicherInnen an den Verbrechen des Hitlerfaschismus sondern auch auf den hohen Blutzoll der Sowjetunion bei dessen Niederringung vergessen – über 20 Millionen tote SowjetbürgerInnen waren zu beklagen –, so soll hier an einen sowjetischen Komponisten erinnert werden, der neue Maßstäbe in der klassischen Musik setzte und mit seiner Siebten (op. 60) und Achten Symphonie (op. 65) musikalische Monumente des Antifaschismus schuf, auch wenn andere seiner Werke wegen ihrer Unkonventionalität und Eigenwilligkeit von sowjetischen KritikerInnen lange verschmäht und missachtet wurden.

Die Siebte: Leningrad

Nach dem faschistischen Überfall auf die Sowjetunion 1941 versuchte Schostakowitsch trotz Freistellung bedeutender KünstlerInnen vom Kriegsdienst seine Einberufung in die Rote Armee zu erreichen, und wurde schließlich einer Leningrader Feuerlöschtruppe zugeteilt. Während der Zeit der Belagerung der Stadt durch die Nazi-Armeen entstanden unter Bomben- und Granatenhagel die ersten drei Sätze der Symphonie in c-Dur, die er „unserem Kampf gegen den Faschismus, unserem unabwendbaren Sieg über den Feind und Leningrad, meiner Heimatstadt“?2 widmete. Gegen seinen Willen wurde er im Oktober mit seiner Familie nach Kuibyschew ausgeflogen, wo er sein Werk beendete und wo auch die Erstaufführung stattfand. Karl Eliasberg dirigierte Schostakowitschs Siebte wenige Monate später, am 9. August 1942, in Leningrad, dem Tag, an dem Hitler die Stadt zu erobern gedacht hatte. Sie wurde von allen sowjetischen Rundfunksendern übertragen.

Die Achte: Stalingrad

Nach der vom Eindruck der Brutalität und Zerstörung des Krieges und vom Siegeswillen geleiteten Siebten Schostakowitschs war die Achte in c-moll nicht mehr triumphal und heroisch, sondern von apokalyptischer Aggressivität in den ersten beiden Sätzen und der Melancholie und der Trauer über die Verwüstung und die unzähligen Opfer geprägt. Sie widmet sich erst der Wut, dann dem Schmerz über die 8,7 Millionen gefallenen sowjetischen SoldatInnen und fast 17 Millionen toten ZivilistInnen, um in den leisen Tönen des vierten und fünften Satzes gedenkend zu enden.
Schostakowitsch verarbeitete mit der Leningrader und der Stalingrader Symphonie wie kein anderer musikalisch den „Großen Vaterländischen Krieg“ der Sowjetunion und wurde nicht zuletzt mit ihnen zu einem der meist beachteten Symphoniker des 20. Jahrhunderts.

Hanno Wisiak

1 So beschrieb der sowjetische Autor Alexej Tolstoi Schostakowitschs Siebte in der „Prawda“ vom 9. August 1942.
2 Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch zu seiner Siebten in der „Prawda“ vom 19. März 1942


die wiederholung des massenmordes



Erich Fried – kaum ein Lyriker, dessen Gedichte so viel Aufsehen erregt, so provoziert und so unmittelbar als „politisch“ verstanden wurden, wie die seinen. Im Kreuzfeuer der Kritik wurde er, in erster Linie natürlich von der konservativ-bürgerlichen Presse, einerseits politisch diskreditiert, indem man ihn als Linksradikalen mit Verbindungen zur RAF abstempeln wollte, andererseits versuchte man, seine Arbeit auf reine Agitprop-Literatur (die er ja befürwortete) und Gebrauchslyrik zu reduzieren und ihm damit die außerordentliche sprachliche Qualität seiner Gedichte in Abrede zu stellen Doch gerade die sprachliche Ebene ist es, die Frieds Gedichte so „wirksam“ macht. Hier realisiert sich seine Intention, (mediale) Manipulation zu enttarnen, unhinterfragt übernommene Bilder und Klischees bloßzulegen und ins (öffentliche) Bewusstsein zu rücken,
Der Mut zu Literatur, die direkt und tiefsinnig gleichzeitig dezidiert auf politische Missstände, Ungerechtigkeiten aber auch Debattenthemen, an denen sich die Geister scheiden, eingeht und es wagt Stellung zu beziehen, ist selten geworden. Frieds Texte haben, gerade weil sie in ihrer Aussage über den Anlass, aus dem sie geschrieben wurden, hinausreichen (und natürlich eine Reihe jüngerer AutorInnen maßgeblich beeinflußten) nichts an Aktualität verloren. Im folgenden soll zur Veranschaulichung dieser Aussagen exemplarisch auf ein Gedicht eingegeangen werden (vor allem im oben bereits genannten sprachlichen und (massen-)medialen Kontext, auf eine weiterreichende Interpretation muß aus umfangtechnischen Gründen an dieser Stelle leider verzichtet werden), das 1964 im Band „Warngedichte“ unter dem Titel „Die Händler“ erschienen ist:
Bereits in der ersten Strophe wird das Thema der Holocaust-Verharmlosung gleichzeitig mit einem klassisch antisemitischen Zitat scharf angesprochen, die Nähe etwas fatal Selbstverständlichen (antisemitisches Klischee als Bestandteil gängiger Sprachmodi) zur Folge der Holocaust-Leugnung wird deutlich:
Sie sind nicht feilschende Juden
und das ist leicht zu erkennen
und sie leben
und sechs Millionen feilschende Juden sind tot

Die Steigerung folgt in der zweiten Strophe, die Täter-Opfer-Umkehr:
Sie leben und protestieren
Man tut uns Unrecht
Es waren nicht sechs Millionen
es waren nur fünfeinhalb

Die fürchterliche Ironie dieser Entwicklung wird im folgenden deutlich:
Sie leben und wehren sich
gegen das bittere Unrecht:
Es waren nicht fünfeinhalb
es waren nur fünf

Letztendlich zeigt sich aber in eben jener bitteren Ironie, worauf mit derartigen Aussagen und menschenverachtenden Aussagen tatsächlich abgezielt wird:
Nur fünf Millionen –
man tut uns millionenfach Unrecht
nur fünf Millionen –
Wer bietet weniger?
1
Neben der ohnehin offensichtlichen politisch wie humanen Gewissenlosigkeit, die, wie gesagt unmißverständlich und unleugbar in die rechte Bresche der Holocaust-Verharmlosung und -Leugnung schlägt, ist es besonders die massenwirksame Propagierung derartiger Aussagen und die damit verbundene Intention (doch dazu etwas später), die das Gedicht zum Ausdruck bringt. Fried stellt den vorurteilsüberfrachteten Topos des feilschenden Juden den marktschreierischen Geschichtslügen anklagend gegenüber, die in eben demselben Ton von diversen Medien übernommen und noch verstärkt wiedergegeben werden. Die Händler, die Jesus aus dem Tempel wirft, die feilschenden Juden, die für ihre Geldgeschäfte verurteilt werden und „sie“, die ebenso handeln und feilschen – um Millionen ausgelöschter Menschenleben.
Gleich der Beginn ist es, der auf die unvermeidliche Zustimmung einer breiten Masse zu zielen scheint, einer Leserschaft mit noch immer entsprechend vorgefaßter Meinung, kaum bereit, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, sondern belegbare Tatsachen vielmehr widerwillig (wenn überhaupt) akzeptierend. Fried greift deren Denkmuster und die in ihrer sprachlichen Festgefahrenheit zum Ausdruck gebrachen Stigmatisierungen auf und enttarnt sie doppelt – indem er seinen Protest in ihre eigenen Worte kleidet und damit sowohl eine seit jeher unreflektierte Sprache als auch die damit einhergehenden Folgen ihrer Handlungen: „Sie sind nicht feilschende Juden“ schreibt er und nimmt der „Gegenseite“ damit einerseits den Wind einer möglichen Entgegnung aus den Segeln, der sich aus dem impliziten, jedoch deutlich sichtbaren Antisemitismus einer solchen Aussage speist, andererseits handeln die Bezeichneten genau dem gängigen Vorurteil entsprechend – obwohl sie doch aus den sogenannten „eigenen Reihen“ stammen – „und das ist leicht zu erkennen“ das heißt, keine komplizierten Zusammenhänge, sondern auch für Boulevardpresse und –fernsehen leicht transportierbar.
Gleichzeitig prangert Fried in seinem Gedicht Hierarchien an, jemand stellt ein selbst inszeniertes vermeintliches „Unrecht“ über jenes des millionenfachen Mordes – eine grauenhafte Beliebigkeit im Umgang mit dem Begriff „Unrecht“ wird offenbart. Eine Hierarchie, die wiederum gerade von medialer Seite bestimmt wird – worüber wird (wo, wann, wie…) berichtet? – und die schließlich eine kollektive Hierarchie mitprägt.
Vom optischen Aufbau wirkt der bewusste, den Zahlen entsprechende Kurz-Lang-Kontrast fast wie eine Schlagzeile:„und sie leben / und sechs Millionen feilschender Juden sind tot“.

Das unbestimmte „sie“ in einer Zeile mit nur drei Wörtern steht einer genau definierten Zahl von sechs Millionen „feilschender Juden“ gegenüber. Und hier kommt man zum Kern der Sache: „Sie sind nicht“ und „sie leben“ während die anderen „sind“ (unausgesprochen die feilschenden Juden), jedoch „tot“.
Hier verschränken sich sprachlich Fiktionalität und (sprachlich (re)konstituierte?) Realität, die Sprache wird zum ausschlaggebenden Faktor für Leben oder Tod. Die als „feilschende Juden“ Bezeichneten sind aufgrund ihrer sprachlichen Zuordnung, ihrer Be-zeichnung, tot. Die sprachliche Zuordnung wird zum Todesurteil (an dieser Stelle drängt sich Luegers „Wer a Jud ist, bestimm’ immer noch ich“ in den Assoziationsgang).
Gleichzeitig wird mit dem Hinunterhandeln der Zahl auch die furchtbare Position der totalen Entwertung von Menschenleben veranschaulicht, die unerbittliche Verwendung des Wortes „nur“ sowie die reine Reduktion auf die Zahl ohne weitere Bezeichnung verstärken die Darstellung.2 Mit „nur“ drei Buchstaben wird die gesamte Bandbreite der Verharmlosung der Verbrechen der Nationalsozialisten deutlich. Doch was am schwersten wiegt: Nicht einzig die Millionen, um die diese Zahl verfälscht wurde, werden dadurch einer Leugnung, einem ewigen Vergessen einverleibt, das einer Wiederholung Tür und Tor öffnen würde, vielmehr noch werden so all jene Morde durch die sprachliche Entmenschlichung ihrer Opfer, der unweigerlich eine reale folgt, ein zweites Mal begangen.

Evelyn Schalk

1 Volker Kaukoreit und Klaus Wagenbach (Hrsg.). Erich Fried. Gesammelte Werke. Gedichte 1. Berlin: Wagenbach 1993, S. 318
2 Letztgenannter Umstand kann übrigens noch auf folgendes hindeuten: dass es bei derartigen Geschichtsfälschungen viel weniger um Recht, Unrecht oder gar Gerechtigkeit geht, sondern um Zahlen, um Zahlen in Millionenhöhe (heute würde man sofort die Debatte um mühsam errunene Entschädigungszahlen assoziieren), im vorliegenden Fall eben zu Lasten jener, denen eine solche Fixierung von Rechtsextremisten aufdoktriniert wird - wieder die Opfer-Täter-Umkehr!


von sinnen



Weil die Ohren stumm geworden sind
gegenüber den Faustschlägen
in die Gesichter Unschuldiger

Weil die Münder gefühllos erstarrt sind
unter den Lügen rechter Propaganda
widerstandslos

Weil die Hände taub vor
Sprachlosigkeit
einfach akzeptieren, dass ihnen die Lebensgrundlage
restlos entrissen wird

Deshalb nur hält eine Welt still
wenn sie unter die Räder – kommt
mit allen Sinnen

Evelyn Schalk




impressum
ausreißer #06

Herausgeberin und Chefredakteurin
Evelyn Schalk

Redaktion
Ulrike Freitag
Romana Scheiblmaier


AutorInnen
Elisabeth Augustin
Erwin Fiala
Berndt Luef
Mike Markart
Wolfgang Schmidt
Franz Teissl
Christian Wabl
Hanno Wisiak


Cartoon
Jörg Vogltanz

Gestaltung
Andreas Brandstätter

Kontakt: Evelyn Schalk, Tel.: 0676/300 93 63,
mail: evelyn.schalk@stud.uni-graz.at
Thema der nächsten Ausgabe: Gewalt und Diskriminierung
© Die Rechte verbleiben bei den AutorInnen

download: ausreißer #06 als pdf version mit bildern

...


Download:ausreisser_sept05.pdf

[News/artifex/12.01.2006]





    News/artifex


    31.05.2011 Europäisches Kino ganz nah!

    23.11.2010 pantherion needs you NOW

    18.05.2009 Black Box

    15.05.2009 Das amüsante Geschäft zwischen Weinlokal und Ministerium

    10.05.2009 Brandrede

    20.04.2009 Der Riesenjoint - the true story

    04.02.2009 KiG! - die antwort

    12.01.2009 KiG! - das quiz

    11.01.2009 woerter

    03.11.2008 ÜBERLEBENSGESCHICHTEN 1938 - 2008

    17.10.2008 Die Erfüllung großer Erwartungen

    03.09.2008 Dein Land gibt es nicht

    19.03.2008 BARE DROMA ("Wanderungen") von Norbert Prettenthaler und Stefan Schmid

    18.03.2008 Wie Wahrnehmen in Vertrauen eingebettet sein kann

    17.03.2008 Das Hirn wird populär!

    11.02.2008 Interview mit Daniel Hafner

    08.11.2007 In Afrika bei Graz

    04.10.2007 Einladung zum Herbstfest von RADIO HELSINKI 92,6fm

    03.10.2007 Trost records – 6th anniversary!

    14.02.2007 ST.ANDRÄ/GRAZ: CHRISTIAN EISENBERGER, „ERROR NO SIGNAL“

    22.12.2006 eine hymne fuer KiG!

    22.08.2006 ausreißer X

    07.08.2006 Kerstin Barnick-Braun: Notizen zum Sammeln als künstlerische Strategie

    25.06.2006 ausreißer IX

    24.04.2006 ausreißer VIII

    28.02.2006 SEWTEETH

    15.02.2006 ausreißer VII

    03.02.2006 CODE INCONNU

    30.01.2006 Nam June Paik gestorben

    18.01.2006 Eröffnungsfilm der DIAGONALE 06

    12.01.2006 ausreißer VI

    11.12.2005 ausreißer V

    29.08.2005 Transmitter 2005: Gegen den Mainstream bürsten!

    08.07.2005 Europäisches Netzwerk für freie Theaterarbeit gegründet

    10.04.2005 ausreißer IV

    01.04.2005 ausreißer III

    20.03.2005 der "ausreißer" bei der DIAGONALE

    10.03.2005 DIAGONALE 14. bis 20. März 2005

    25.01.2005 ausLage live cam

    17.01.2005 der ausreißer - die grazer wandzeitung

    29.12.2004 Susan Sontag ist tot !

    20.12.2004 ausreißer II

    07.11.2004 FIRN - PLUTO FOOTAGE

    27.10.2004 Legendärer Popstar-Entdecker John Peel gestorben

    11.10.2004 Nobelpreis für Austrokoffer

    11.10.2004 081004 martin krusches logbuch

    07.10.2004 Elfriede Jelinek ist Literaturnobelpreisträgerin 2004

    05.10.2004 Die Kunst des sozialen Zusammenhalts - Theater & Partizipation

    28.09.2004 UNSERE FRAU PRÄSIDENTIN KRIEGT DEN PREIS!

    15.07.2004 no milk_no honey

    01.07.2004 ausreißer I

    14.06.2004 WeiberDiwan 2/04 im Netz

    09.06.2004 ECHO von kulturen in bewegung mit dem Weltkulturkalender

    06.04.2004 neue CD: Novi Sad

    29.03.2004 NIL: Kunstraum + Café

    11.03.2004 TIB Film-Tipp

    09.02.2004 Nina Schedlmayer: Look at your unconsciousness!

    05.02.2004 Gewinnerin des Stückewettbewerbes der Berliner Schaubühne

    #modul=kig_rotation##where aktiv=1# #modul=kig_rotation#

    Volltextsuche
    KiG! Mailingliste: @

    CROPfm

    <#no_bild#img src={bild}>{text}
    <#no_bildklein#img src={bildklein}> {headline}





    KiG! lagergasse 98a - A - 8020 graz - fon & fax + 43 - 316 - 720267 KiG! E-Mail.