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Wie man es machen soll. Ein Text zum Abfeiern des tortuga-zine.

Vor gefühlten 100 Jahren - also 2003 - 2005, als zum Beispiel Youtube auch gerade erst gegründet worden war, stellt Euch das mal vor! - gab ich spasseshalber etwas mit heraus, das sich das unZine nannte. Das hatte weder mit dieser, noch mit jener anderen gleichnamigen Medienhervorbringung zu tun, sondern war ein Zine, das sich dem Bedürfnis des damaligen Grazer Szenepflänzchen-Dickichts im und um das Sub verdankte, "was G'schriebenes" zu kriegen - einen Ort, um Weltbilder abzugleichen, um Selbstverortung bzw. Abgrenzung zu betreiben.Dem angenehmen Gefühl, eine gemeinsame Perspektive auf gesellschaftliche Zusammenhänge und den eigenen Ort darin zu haben, stand der Augenschein gegenüber, dass es sich im Einzelnen dann eben durchaus spießte. Die Lektion, dass es immer und unbedingt gilt, schwammigen, tanzmusik-gesteuerten Zugehörigkeitsgefühlen zu mißtrauen - weil sie nämlich fucking lügen!!!, die Schweine!!!, merkt Euch das, Kinder - die musste erst, und leider je individuell, gelernt werden. Zwar hatte man im Einzelfall seinen Adorno, seinen Bourdieu oder Hegel eh schon intus, aber auf die Idee, dass das, was da drin stand, auch die eigene Biographie betreffen würde, wäre keiner der Beteiligten an der ersten "offenen Redaktionssitzung" des unZine gekommen. Man hatte nämlich soeben das Rad erfunden, und alles, alles sollte staunen! Das Rad! Ganz was neues!
So saßen dann ca. 30 Personen rum, auf einer selbstgebastelten Veranda vor der selbsthergerichteten Bauernhofsruine, mit selbstangebautem äh Holunder im selbstgebastelten Gegenkulturklischeehimmel, und so beriet man über den Inhalt der ersten Ausgabe des besagten unZine. Der gruppendynamischen Selbsterfahrungsmomente waren es viele und beachtliche, die Arbeit dagegen blieb an einem dreiköpfigen Kernteam hängen. Es gab das unZine für drei Ausgaben, verteilt auf eineinhalb Jahre - und so lustig die Hefte waren, wichtiger als sie waren die Diskussionsprozesse im Vorfeld. In ihnen auf die "richtigen" Positionen zu Kapitalismus, Sexualität, Selbstorganisation usw. zu kommen (sprich: zu den Fragen der eigenen Identität), war der eigentliche Sinn der Übung. Siehe oben: Das Rad! Alle mal herschauen! Dass unsere Blattln noch von jemandem anderen gelesen werden sollte als von "uns" und den erweiterten Freundeskreisen, wurde nicht einmal von ferne angedacht.

An diese Atmosphäre, und an ihre Heftl gewordenen Früchte, erinnerte ich mich, als mich vor Kurzem (also - back to the present - 2013) die Mitteilung erreichte, es gebe da ein Kollektiv bzw. eine Site bzw. eben auch ein Zine, die bzw. das sich tortuga nennen würde. Das sollte ich mir gefälligst geben. Präsentation des ersten Hefts sei in der Keplerkoje am 13. Oktober.

Das sollte ich mir gefälligst geben. Präsentation des ersten Hefts sei in der Keplerkoje am 13. Oktober. Diese letztere Information vergrösserte dann noch meine nostalgischen Wallungen: War es möglich, dass es in Graz eine Location für Diskurs und kommerzfreies Gewusel gab, eine komplette Szene gar, von der ich alter Sack einfach nix mitgekriegt hatte, vor lauter alter-Sack-Sachen-Machen und zu-Hause-Rumsitzen? Der mir berichtete, gehörte zu den wenigen glaubwürdigen Gewährspersonen, und was er erzählte, klang sympathisch, doch ach: Groß erschien mir die Wahrscheinlichkeit, dass es sich beim tortuga-zine genau wieder um so ein Selbstvergewisserungsmedium von gerade-erstmals-Bourdieu-gelesen-habenden Mittzwanzigern handeln würde... Ich würde hingehen, zuhören, mich (a) langweilen und (b) alt fühlen, und die Sache würde sich haben.
Es war dann glücklicherweise anders als vorhergesehen. Die geradezu archetypischen AnfängerInnenfehler, die wir mit unZine gemacht hatten - sie unterblieben alle:
Ja klar haben die alle gerade ihren Bourdieu gelesen, die tortuga-Leute. Klar sind das Mittzwanziger. Und klar, das, wovon sie in der ersten Ausgabe schreiben, umkreist just die Themen, die zur Entstehung ihres höchsteigenen Wirgefühls geführt haben. Nämlich im Fall von tortuga: Architektur und Stadtplanung und Materialitätsfragen.... Was hingegen nicht vorliegt, sind neu erfundene Räder. Auch nicht im Angebot: Nabelschau. Zumindest nicht jene direkte Sorte Nabelschau, die in Prosagedichten zur Befindlichkeit einer Generation u. dgl. sich äussert.
Also: Theoretische Aufarbeitung des eigenen Standorts - ja; überidentifikatorisches Abfeiern mit dazugehörigem circle-jerk - nein.
Es gab keine Lesung bei dieser Präsentation in der Keplerkoje. Statt dessen stellte sich das etwa fünfköpfige Redaktionsteam im Viertelkreis auf und erklärte, unter bemerkenswerter Ausserachtlassung weltanschaulicher Identifikationsvokabeln, worum es sich beim tortuga-zine handelt: Einen Blog mit angeschlossener Zeitschrift, der als Idee einer Gruppe von Architekturstudenten begonnen hatte, im Laufe der Verwirklichung aber erheblich Spartenübergreifender geworden war. Um das Vorwort der ersten Printausgabe zu zitieren: "Tortuga (...) erhebt Anspruch auf Transdisziplinarität und mediale Pluralität, wo Bild und Wort zusammenspielen dürfen (...)" Tortuga habe, so erfuhr ich bei der Präsentation, eine fixe Redaktion, und fixe Themenstellungen (Ausgabe eins zum Beispiel, noch sehr Architektenlastig, das Thema "Grenze").
Also: Vielstimmigkeit - ja. Unklare oder ganz fehlende Qualitätskriterien bzw. Fehlen einer Instanz, solche Kriterien auch wirksam durchzusetzen- nein.
Zwar verdankt sich tortuga - das fiel bei der Präsentationsveranstaltung leider eher unter den Tisch, ist aber mehrfach nachzulesen - einem "Impuls der Unzufriedenheit und der Unruhe" mit den "aktuelle[n] Verhältnisse[n]". Doch weder inhaltlich noch habituell ist dem Projekt jenes selbstgewisse Sektierertum anzumerken, welches gerne mal auftritt, wenn ein Rudel halbwegs intelligenter Twentysomethings gemeinsam draufkommt, dass nicht alles zum Besten steht in dieser besten aller möglichen Welten, und dass es da Bücher drüber gibt; bzw. Optionen zum oppositionellen Handeln...
Also: Hoher Politisierungsgrad - ja; Glauben daran, im Besitz der einzig wahren Ahnung von eh Allem zu sein - nein.
Das tortuga-zine ist durchaus und in jedem Sinne selbstgemacht. ISBN-Nummer oder sowas gibts nicht. Gebunden sind die 56 Textseiten von Hand - mit Bindfaden. Und nicht alle der Beiträge sind "akademischer" Natur. Bisschen Fotografie, bisschen Graphik/Bildende Kunst, bisschen Buchdruckerkunst. Aber wo BeiträgerInnen sich die Mühe machen, etwas Bestimmtes aussagen zu wollen, da gibt es auch, hübsch übersichtlich, Fußnoten und so viel Nachvollziehbarkeit, wie man sich als recherchefreudigeR LeserIn nur wünschen kann. Das tortuga-zine ist kein diskursiver Heimgarten, sondern durchaus als Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Bemühung um mehr Ahnung und weniger Blödheit in der Welt zu sehen. Die gewählte Aufmachung braucht sich neben einem Merve-Diskurs-Büchl in der Bibliothek nicht zu verstecken.
Also: "Wir machen unseren Scheiss selber" - ja; "wir machen unseren Scheiss exklusiv FÜR uns selber" - nein.
Zusammenfassend: Wenn sich irgendwann herauskristallisieren sollte, dass es sich ausgeht, tortuga für irgendwen zum Hauptberuf zu machen, hat Graz ein neues Leitmedium für die Bereiche Diskurs und Dings hervorgebracht.
Inhaltlich wäre das auch deshalb wünschenswert, weil zwar in den letzten paar Jahren kein Mangel an Publikationen besteht, die sinngemäß sagen, irgendwie hätten Architektur und "das Soziale" miteinader zu tun, und man habe da jetzt einzwei Beispiele - jedoch nicht an solchen, die diese Zusammenhänge auch im Einzelnen herunterdeklinieren können. Das leistet nämlich die erste Ausgabe des tortuga-zine für ihr gewähltes Thema, "grenzen", ziemlich gut. Dass sie dabei gelegentlich aus dem Theorie- in den Kunstundkultur-Sprech wechselt - soll sein.

Übrigens: Der call for entries für die zweite Ausgabe läuft...


Bildrechte: (CC) Stefan Schmitzer
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[Kolumne/S.Schmitzer/31.10.2013]





    Kolumne/S.Schmitzer


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