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Notizen über ein paar neue Formate und ihre Implikationen

Von der Bewusstseinsproduktion im Kleinbetriebsverband. Zweiter Teil einer Netz-Rundschau.

    Vom Anachronismus der Bildchen

Aaalso. Webcomics. Inzwischen wohl ein ganz eigenes Bündel an Formkonventionen, von Jahr zu Jahr weniger eng verknüpft mit ihren papierenen Muttergenres. Das Feld ist unüberschaubar, und jedeR habituelle InternetuserIn wird vom täglichen oder wöchentlichen Vorbeisurfen ein anderes Häufchen an Beispielen für diese Behauptung kennen. Zwar ist die Denkweise des Drei-Bilder-Zeitungscomic-Panels noch in vielen der Produkte aufgehoben, oder andersrum die Graphic-Novel-Denkweise ganzseitiger Engführungen von "Handlung" und "Aussage" in Form zweier - oder mehrerer - ästhetischer Einfälle. Doch von der strengen, durchs Material aufgezwungenen Einhaltung solcher Formen selber ist kaum noch was zu sehen. Übrig von diesen äusseren Begrenzungen, an denen entlang sich der Comic mehr als alle anderen Kunstformen entwickelt hat, bleiben bloß: Rücksichten auf Ladegeschwindigkeiten und erwartbare Bildschirmgrössen. Dass ausserdem Bildchen, die sich nicht bewegen, im Netz an sich schon einen Anachronismus darstellen, in dem die "Tunnelwirklichkeit" vergangener Zeiten aufbewahrt ist, steht auf einem anderen Blatt.

    Fröhliche Amateure: Drunkduck
Was uns hier mehr interessiert als die jeweilige Webcomic-Ästhetik allein, ist die Frage danach, wie die Erschaffer solcher Comics - Leute, die augenscheinlich einen Gutteil ihrer Arbeitskraft in dieselben stecken - sich darum kümmern, dass ihre Arbeit Geld abwerfen möge. Dies ist umso interessanter, als wir mit dem zweiten Teil der vorliegenden Webrundschau zwar den Bereich des vorprofessionellen kreativen Herumspinnens im Webforen wie 4chan verlassen, nicht jedoch die Netzkultur selbst, in der weiterhin nur Fuß fassen kann, was offen zugänglich - also erstmal gratis - ist.
Womit auch gesagt ist, dass es hier nicht hauptsächlich um jene wie Sand am Meer im Netz herumliegenden, auf den ersten Blick als solche erkennbaren Hobby- oder Fanfiction-Comics geht, wie sie zum Beispiel auf drunkduck und deviantart eine übersichtliche und der Natur der Sache angemessene Plattform haben. Auf sie trifft all das zu, was in Teil 1 der Rundschau über 4chan-Einträge gesagt wurde: Eine Selbstreferenzen-Spielwiese mit wenig Anspruch an "breite Öffentlichkeit" oder "production values" liegt da vor - wenn auch das Feld, das sich da selbst bespiegelt und laaangsam weiterentwickelt, das von konkurrierenden Fan-Kulturen ist. Dass, wer auf drunkduck die Archivfunktion nutzen und die als "adult" gekennzeichneten Beiträge sehen will, sich anmelden muss, ändert nichts dran, dass hier bloß "aus Spass an der Freude" produziert und - zumindest von den Comicmachern - nichts verdient wird. Die hier publizieren, werden auf Conventions wie der ComicCon wohl unter den zahlenden BesucherInnen, nicht den AusstellerInnen zu finden sein.
Dennoch beginnen, im Web wie in der "wirklichen Welt", auch die Profis irgendwann als Amateure - und der Übergang zwischen dem einen und dem anderen ist hier noch fliessender als dort. Weshalb wir auch in den professionell betriebenen Webcomics die klassischen Topoi des Fantasy- und SF-Fantums, -Nerdtums, -Geektums finden: Eine voll ausdifferenzierte  "Rassenlehre" nach Tolkien, Roddenberry, Rowling et al. (mit ihren Elfen, Drachen, Cylons und Klingonen), "Charakterklassen", Rollenspiel- und Strategiespiel-Settings. Was im "Profibereich" dann aber variiert, ist das Ausmaß, in dem diese ganze Fantumswelt noch zur Debatte steht, stolz behauptet und diversifiziert werden will, oder in dem sie, andererseits, schon zum Backdrop der Produkte geworden ist, ähnlich, wie offline der bildungsbürgerliche Kanon den Backdrop auch noch der alleraktuellsten Kriminalromane oder hypermodernen Malereien darstellt.

    Dialektik der Aufklärung im Märchenwald: Gunnerkrigg Court

Ein Beispiel des noch weitgehend ungebrochenen und deutlichen Bezugs eines profesionellen Webcomics auf die ganze Fantasy-/SF-Genre-Mischpoke bietet die Serie Gunnerkrigg Court von Tom Sidell. Dass die Serie dabei auch zahlreichen Steckenpferden bildungsbürgerlicher LeserInnen genug Raum zum Schaukeln bietet, wird dagegen erst auf den zweiten Blick, oder nach einigen zig Seiten der Lektüre deutlich.
Als Hintergrund einer klassischen Internats-/Entwicklungsstory entfaltet Gunnercrigg Court langsam (und überraschend stringent) ein Panorama, in dem u.a. folgende Elemente sinnvoll Platz finden: Geister, künstliche Intelligenzen, diverse mythologische Kreaturen, der Widerstreit zwischen magischem und wissenschaftlichem Denken, sowie detailierte Informationen zur Geschichte von Fechtkunst, Alchemie und Physik - von unmittelbar popkulturellem Zeug, etwa Musik, die eine Figur gerade hört, ganz abgesehen. Dass jedes Element der Erzählung als Aspekt des Fortschreitens einer erkenntnistheoretischen Schlüsselerzählung ebensogut funktioniert wie als offengelegtes Zitat aus dem Fantums-Fundus - von Harry Potter und über Asimovs Roboter reicht der Bogen bis zu Hiyao Miazakis "Princess Mononoke" - zeichnet Gunnerkrigg Court als intelligentes Erzählwerk aus. Dass dieses Erzählwerk auf der Ebene seiner unmittelbaren Handlung auf den emotionalen Haushalt heranwachsender Mädchen zugeschnitten ist, steht zu all der Referenzialität in keinem Widerspruch. Die zentrale Metapher der Serie ist der "Court" selbst: Eine Trutzburg fortschrittlichen Denkens, die in den paradigmatischen Märchenwald gepflanzt wurde.
Dreimal die Woche erscheint eine neue Seite Gunnerkrigg Court. Das Geld scheint primär über die in Buchform erhältlichen Sammlungen älterer Kapitel der Serie und über Merchandising hereinzukommen - wenn man die Kontinuität der Serie über inzwischen mehrere Jahre bedenkt, scheint sich diese Quellen auszuzahlen.

    Advanced Dungeons & Discourse: Dresden Codak

Weniger bruchlos auf den Formenschatz von Fantum und Fantasy bezogen, kaum mehr linear dahinerzählt, visuell anspruchsvoller, aber immer noch entschieden für das weltweite Geek-Insider-Grätzel produziert, ist Dresden Codak. Eine Sammlung von lose verknüpften oder alleinstehenden Comicseiten dar. "Seite" muss dabei nicht einer Druckseite entsprechen, sondern beutet bloß, dass diese Comics (auch) von ihrem visuellen Gesamtzusammenhang leben, der sich nur ohne Umblättern oder Papierstückelung erschließt. Im Gegensatz zu Gunnerkrigg liegen mithin Comics vor, die explizit für die Betrachtung im Browserfenster konzipiert sind, in dem man zoomen und scrollen kann.
Die zwei hervorzuhebenden einzelnen Comics auf dieser Seite sind "Dungeons&Discourse" und "Advanced Dungeons&Discourse". Hier werden die Klassiker geisteswissenschaftlicher Diskurse nach Art von Fantasy-Rollenspielen (wie "Dungeons&Dragons") abgehandelt - was in der Beschreibung entweder völlig unverständlich bleibt (und also von der geneigten Leserin selbst besichtigt werden muss), oder unmittelbar einleuchtenderweise eine extrem geile, wenn auch anspruchsvoll umzusetzende, Idee darstellt (und also auch unbedingt besichtig werden muss).

    Die Allzumenschlichkeit der Sphinx: Subnormality

Einen anderen Ansatz verfolgt Richard Rowntree mit den Subnormality-Comics. Hier wird nicht bloß, wie bei Dresden Codac, gelegentlich die Grösse einer Comicseite variiert, sondern die Eigenheiten des Comiclesens-im-Browserfenster werden gezielt ausgelotet. Oft genug würde das Ausdrucken einer lesbaren Papierversion dieser Comics einen DinA2- oder A3-fähigen Drucker voraussetzen.
Das pop- oder netzkulturelle Paradigma ist viel weiter in den Hintergrund gerückt als bei den bisher genannten Beispielen; statt dessen werden Themen behandelt, die potentiell nicht nur für Geeks von Interesse sind, und das Bemühen um die wohlgefügte Auflösung jedes eröffneten Spannungsfelds zwischen einer Form und einem Inhalt wird deutlich. Anders gesagt: Würde "Subnormality" sich nicht mit cutting-edge-Comic-Blick und vermittels waghalsigster Metaphern seiner Gegenstände annehmen, würde "Lebensberatung" oder "Erbauung" vorliegen. So aber handelt es sich um eine Art visueller Mischform zwischen Woody-Allen-Film, "urban Fantasy" und Meinungsglosse. Zum wiederkehrenden Personal der in sich geschlossenen Stories gehören: Eine Sphinx in Manhattan, eine neurotische Arbeitslose, ein weiblicher Dämon aus der Hölle, der auf Erden auf Aufriss geht, und zeitreisende Nazis. Eine weitere Spezialität stellen Hochglanzposter der beliebtesten einzelnen Comics dar, die auch bestellt werden können.
Abgesehen von diesen Postern und den Werbebannern auf seiner Seite scheint "subnormality" eine rein spendenbasierte Unternehmung zu sein - wiewohl Rowntree uns auch in Teil 3 der Webrundschau in einem anderen Zusammenhang noch unterkommen wird. Der Mann ist Profi der  Selbstvermarktung im Netz.

    Doctorows Ballon: XKCD
Die immens populäre und einflussreiche Seite xkcd - laut Eigenbezeichnung "a webcomic of romance, sarcasm, math, and language" - liefert genau, was draufsteht. Die Strichmännchen, derer sich xkcd bedient, sind so gekonnt gezeichnet sind, dass sich nach einigen Folgen Wiedererkennungseffekte und die Anmutung stilisierter Gefühlsausdrücke einstellt. Oft genug besteht der neueste Comic - der übrigens je an den gleichen Tagen erscheint wie die neuen Gunnerkrigg Court-Seite - bloß aus einer Tabelle oder einem Diagramm. Es handelt sich, kurz gesagt, um ein Witzblatt für Programmierer und Uni-Typen, das oft genug als "meme-generating machine" (vgl. zum Thema meme Teil 1 der Webrundschau) funktioniert.
Als der Autor und Netzutopist Cory Doctorow etwa in der absurden Schlusswendung einer Folge von xkcd mit einem Heissluftballon vom Himmel kam, mit "Ethergoggles" und einem Cape ausgestattet, nahm dies der echte Dotorow zum Anlass, bei einem Auftritt in der nämlichen Gewandung aufzutauchen - ohne, dass das seinem Publikum erklärt werden musste.
xkcd hat es geschafft, als Serie kurzer Comicstrips, die relativ viel Vorwissen benötigen, zu einer Art Leitartikel der Netzkultur zu werden. Das ist nicht wenig. Dass der angebotene xkcd-Merchandise (vom Poster zum Häferl) genug Geld abwirft, um die Produktion am laufen zu halten, dürfte evident sein.

   Fortschritt, Elfenohren, Merchandise
Was fällt in dieser Zusammenstellung von Webcomics, bezogen auf die Fragestellung, auf? - Die Produzenten aller vier beschriebenene Webcomics erklären im jeweiligen "About/FAQ"-Menü, dass sie mit dem jeweiligen Comic ihren Lebensunterhalt bestreiten. Merchandise und Spenden scheinen hinzureichen, um zumindest ein paar Webcomics komfortabel am Leben zu erhalten. Wie bedeutend die Umwegrentabilität ist, die Webcomics als Online-Referenzmappe anderweitig (etwa als Graphic Designer) Tätiger besitzen, kann ohne Recherche (also Arbeit - zu der ich grad nicht gewillt bin) nicht quantifiziert werden. Dass es indes ohne Merchandise nicht zu gehen scheint, ist ein Dämpfer für solche Freunde der Online-Spendenwirtschafts-Utopie wie z.B. mich. Nichtsdestoweniger bleibt Merchandise, was die Rezeption betrifft, dem eigentlichen Produkt stets nachgeordnet, sein Erwerb stellt bloß die Deklaration dar, man verhalte sich als Fan zu einem Dings. Weshalb das ästhetische Phänomen - der Comic - erstmal frei von Preisschildchen bleibt.
Dass es gar nicht wenige gute Comics online gibt, die einen positiven Bezug zu Fantasy-/SF-Bildwelten, also letzlich zu Zitaten der reaktionären Hoffnung auf geschlossene Weltbilder, mit einer fortschritts-, skepsis- und wissenschaftsfreundlichen Haltung verbinden, erscheint nur auf den allerersten Blick paradox. Geht es doch in all den Comics nicht um die Elfenohren selbst, sondern um die Selbstbehauptung einer (so die Hoffnung) "zivilisierteren" Kultur, die sich vor wenigen Jahrzehnten vermittels besagter Elfenohren, Darth-Vader-Capes und Superheldencomic vom (US-amerikanischen) Mainstream absonderte: Der Geek-Kultur, die die Vorläuferschaft der heutigen Online-Freelancer und Kreativ-Content-Proleten darstellt.

    Linkliste:
http://www.drunkduck.com/
http://www.deviantart.com/
http://www.comic-con.org/
http://www.gunnerkrigg.com/index2.php
http://dresdencodak.com/archives/
http://dresdencodak.com/2006/12/03/dungeons-and-discourse/
http://dresdencodak.com/2009/01/27/advanced-dungeons-and-discourse/
http://www.viruscomix.com/subnormality.html
http://xkcd.com/


Bilder f diesen Artikel:
http://xkcd.com/345/
http://dresdencodak.com/archives/







...




[Kolumne/S.Schmitzer/12.12.2011]





    Kolumne/S.Schmitzer


    03.10.2017 gesamtsituation: tausend jahre fuffziger.

    30.05.2017 Mehr Beton!

    27.04.2017 Fronkreisch! Fronkreisch!

    23.03.2017 Autorität und Kleinganoventum. Eine Übersicht

    08.02.2017 Wahl und Kraftwerk und so weiter

    28.10.2016 Das Ding mit Marcellus Wallace's Soul

    19.08.2016 Zur Ehrenrettung der zweiten Staffel von "True Detective”

    06.07.2016 Richtig echt blöd

    02.05.2016 Ein Sendschreiben ins Jenseits

    23.03.2016 MACHT MEDIEN!

    18.01.2016 Pläpotenz, Identität und tapfere Krieger

    16.11.2015 "Unique Selling Position"

    09.10.2015 Und wieder mal: Das Wort zum Strache

    01.09.2015 Racism or not? Insufficient data.

    22.05.2015 Expropriieren! Expropriieren!

    09.03.2015 Was ist da los?

    19.01.2015 Lob des Grauens

    09.04.2014 Schon wieder ein Text vom Schmitzer über die Öffis

    10.03.2014 Ein Wunschkonzert für klingende Schienen

    31.10.2013 Wie man es machen soll. Ein Text zum Abfeiern des tortuga-zine.

    12.09.2013 Eine Werbedurchsage, durchaus ernstgemeint, zu Gunsten von ICORN

    30.07.2013 Vom Gesindel

    10.07.2013 Steireranzug-Blues

    13.06.2013 Der ORF und die Alchemie

    23.01.2013 Sheriff Mario reitet!

    20.12.2012 Survivor's Guilt und T(r)ollwut

    12.11.2012 Ponies, Kröten, Katastrophen

    09.10.2012 Heisse Luft und Nächstenliebe

    31.07.2012 Vom Atmosphärischen

    12.06.2012 Ein schwarz-grüner Geschenkvorschlag

    17.05.2012 Diskussions-Kultur

    02.04.2012 Notizen über ein paar neue Formate und ihre Implikationen

    08.02.2012 Notizen über ein paar neue Formate und ihre Implikationen

    12.12.2011 Notizen über ein paar neue Formate und ihre Implikationen

    15.10.2011 Notizen über ein paar neue Formate und ihre Implikationen

    10.05.2011 Schnee von Gestern III - Der Grasserstrasser

    29.03.2011 Schnee von Gestern II

    08.03.2011 Dem Josef Pröll seine Ehe und der Fluch der Dialektik

    19.01.2011 Meine Oma und das Weihnachtsgeschäft 2012

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