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Schon wieder ein Text vom Schmitzer über die Öffis

Letztens habe ich an dieser Stelle aufs Totalitärste von einer U-Bahn für Graz phantasiert. Es versteht sich dieser vorliegende Text als nüchternerer Anhang zu jener städteplanerischen Phantasterei, aus Gründen, die bei Gelegenheit noch einleuchten werden. Also:

Im Forum Stadtpark und unter dem Titel "probebetrieb 01 / trial mode 01 - Zeitgenössische Kunst (ver)lernen" veranstaltete Ende März ein Konglomerat von eh fast allen ernstzunehmenden "freien" Institutionen zeitgenössischen Kulturschaffens in Graz einen dreitägigen Workshop- und Lecture-Marathon. Mündlich wurde man vor Ort beauskunftet, es gehe hier auch darum, die alte Forderung nach einer vernünftigen Kunst-Ausbildung in Graz wiederzubeleben und Praxis für eine Art dezentralisierte "Angewandte" zu sammeln. Auf der Webseite des Projekts steht unter Anderem:

Dieser Probebetrieb sammelt relevante Kontexte für eine adäquate gegenwärtige Bildungsdebatte – von de-kolonialen Diskursen bis hin zur “Walking Theory” – und Impulse für die Konkretisierung des “Offenen Betriebs Graz” ab 2015. Ziel ist die kontinuierliche Etablierung einer nachhaltigen Debatte – in die Form von (Aus-) Bildungsmodulen gegossen, die sich vor allem an regionale und internationale Kunststudierende richtet und Graz für diese Studierenden wieder zu einem Ort machen soll, an dem für sie wichtige Wissensangebote, Praxisfelder und aktuelle Debatten verfügbar sind, die Weitergabe von Erfahrungen im Bereich Kunstproduktion, Projektentwicklung und Diskursivierung der eigenen Arbeit und eine intensive Netzwerkbildung möglich sein sollen.

Schöne Idee: Graz als Tummelplatz "regionaler und internationaler" Kunststudierender, die, als hauptberufliche Träger einer "nachhaltigen Debatte", flanieren, lesen, Kunst- und Lebenspraxen erproben. An allen Ecken und ohne Unterlass fänden Panneldiskussionen statt, Atelierparties und Galerie-Office-Events ("New York - Graz - Paris"). Sloterdijk, Paymann, Diederichsen u.ä. gäben sich die Klinken in die Hand, und Neo Rauch würde öffentlich drüber nachdenken, sein Atelier hierher zu verlegen. Später käme freilich raus, er hätte mit diesen Äusserungen bloß einen Kommunalabgaben-Rabatt von der Stadt Leipzig erpressen wollen - aber egal. Hauptsache, das deutsche Feuilleton würde schon wieder was zum "Standort Graz" gebracht haben, die Preise für Kunst des "Grazer Kontexts" (Arbeitstitel (c)Schmitzer) stiegen und stiegen weiter... Am wichtigsten aber: Die kulturellen Debatten, die in Graz geführt werden können, kämen in ihrer Qualität endlich über "Wie gehen wir damit um, dass wir tiefste Provinz sind?" hinaus.

So weit, so flockig zu imaginieren. Und jetzt mal von dem ganz anderen Skandal abgesehen, dass mir zur Beschreibung eines funktionierenden Kunststandorts nichts Besseres einfällt als name dropping, ja mehr noch, dass die gedroppten names samt und sonders männlichen Kunstdiskursbewohnern gehören - abgesehen also davon:

Das wird es alles so nicht spielen. Weder die wohlmeinende, kompetenzorientierte Version, die den Macher_innen von "trial mode 01" vorzuschweben scheint, noch auch die ungleich deppertere, statusorientierte Version, die ich selbst gerade eben noch als Strohmann aufgebaut habe (Peymann! Rauch! Sloterdijk!!!), von der ich aber befürchte, sie wird der einen oder anderen Person einleuchtend erschienen sein... Wirds also, ich wiederhole mich, alles so nicht spielen.

Selbst ehemalige Studierenden der "Angewandten" in Wien klagen, dass der Kunstmarkt der einzigen österreichischen Metropole zu klein ist für sie alle, und dass Du Dich, um über die Runden zu kommen, anders orientieren musst. Da geht es nicht nur um den "transnationalen" Markt für teure teure Einzelstücke (für welchen Fall es eh wurscht wär, wo Du wohnst und flanierst und auf Bühnen rumhockst): Es kann sich nicht jede Galerie oder Zeitschrift an den Bedürfnissen der großen Sammlungen und der Individualgeldsäcke mit Mäzenats-Allüren orientieren - sooo viele von denen gibt es einfach nicht, dass sich das rechnen würd'. Das je Exklusive ist ja bloß exklusiv, solange es einen Haufen Zeug gibt, das nicht dazugehört... Wegen allem diesen also geht es bei den Sorgen der Abgänger_innen der Angewandten auch um die regionale Infrastruktur - das unmittelbare Vorhandensein eines "normalen" Publikums, welches mit Kunstundkultur nahversorgt sein will, und seiner Institutionen.

Also: Kunsthochschulabgänger_innen auch in Wien klagen, dass der Markt für Kunst (und das heisst eben nicht nur: Das photogene Hochpreis-Einzelbild-Segment) in ihrer Stadt zu klein ist für sie. Wenn wir freundlich schätzen und annehmen, dass 2 Prozent der Wiener_innen ernstlich an zeitgenössischer Kunst interessiert sind, dann würde das bedeuten, dass 20.000 Menschen, die sich, sagen wir, ein Stück Vernissage/Diskursding/Ateliersauferei pro Woche geben, noch zu wenig sind, um so eine Kulturszene zu tragen, so ein Kompetenznetzwerk, wie es sich die Macher_innen von "probebetrieb 01 / trial mode 01" anscheinend wünschen.

(Von der sich aufdrängenden Anschlussdebatte über die Sinnhaftigkeit, Erwartungen in das Erwerbsmodell Kunst-als-Beruf zu setzen; von den Horizonten, vor welchen solche Erwartungen gerechtfertigt erscheinen würden - heraufziehender Neofeudalismus hier, Mangel an besser kalkulierbaren möglichen Erwerbsbiographien dort, Inkongruenz von Sein und Bewusstsein allenthalben...; von der Verfehltheit des "freien" "Marktes" als Medium für Ästhetiken ganz allgemein schließlich - von alledem bleibt an dieser Stelle bloß, zu schweigen.)

Selbst eine Zwei-Millionen-Stadt bietet also anscheinend nicht genug "Markt" für die Abgänger_innenschar einer renommierten Kunstausbildungsinstitution. Wie soll sich selbst noch das alternativste Alternativmodell dazu dann in einer Viertel-Millionen-Stadt wie Graz rechnen? Also: Individuell, vom Standpunkt der Studierenden aus? Wäre ich, was ich (Weltgeist sei Dank!) nicht bin, künstlerisch veranlagt, und ich würde mir einen Ort suchen, an dem ich lernen kann, mich diskursiv und praktisch an anderen zu reiben, eine Ort, an dem genug los wäre, und der mir Perspektiven für eine Zukunft böte - was wollte ich ausgerechnet in Graz? Die Anzahl an Institutionen, die um die Gunst des Publikums (wie gesagt - des "normalen" Publikums) konkurrieren, müsste sich erst mindestens verdoppeln, damit es nicht zu jedem Zeitpunkt und in jedem Subsegment des Betriebes bloß one game in town gäbe. Das heisst: Es müsste sich das Publikum verdoppeln (bei unserer sicherlich falschen, aber eh arbiträren Annahe von 2 Prozent hiesse das, es müsste von knapp zweieinhalb Tausend auf knapp fünftausend wachsen).

Und wie liesse sich das Publikum vergrössern? Indem für Gegenden, die das jetzt noch nicht haben, der Anreiz und die Möglichkeit geschaffen würde, sich abends mal "was anzuschauen", nachher 2-5 Bier trinken zu gehen und wieder nach Hause zu kommen, ohne dabei in Konflikt mit der Strassenverkehrsordnung zu geraten. Solange sich das Leben in Raaba, Judendorf-Straßengel, Thondorf, selbet noch Teilen von Andritz (!) einzig so abspielt, dass Du Tags in "der Stadt" arbeitest und abends bzw. am Wochenende die Früchte Deiner Arbeit in Form Deines Häuschens im Grünen geniesst, wobei Du zur verlässlichen und (zeitlich) selbstbestimmten Überbrückung dieser Sphären ein Automobil zwingend brauchst, hocken zigtausende potentielle "Kunden" (gut ausgebildet, nicht völlig Pleite) und ihre heranwachsenden Kinder - die Zukunft unserer, wie jeder anderen, Branche - im Gebüsch fest, und wenn ihnen fad ist, dann bleibt ihnen nur, die Glotze oder Xbox anzuwerfen, Garagenrockmusik zu machen oder im Wald herumzustapfen.

Wer - und darum geht es mir hier - von einer Kunstausbildungsstruktur für Graz reden will, der_die darf von der öffentlichen Raumerschließung, von der ent-Automobilsierung und von der Zerschlagung der Speckgürtel nicht schweigen. Letzteres ist, gerade im Fall einer so kleinen Stadt wie der unseren, die notwendige Voraussetzung für ersteres.

So. Und jetzt schreibe ich mindestens drei KiG-Kolumnen ohne Öffi-Bezug. Versprochen.
...




[Kolumne/S.Schmitzer/09.04.2014]





    Kolumne/S.Schmitzer


    03.10.2017 gesamtsituation: tausend jahre fuffziger.

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    27.04.2017 Fronkreisch! Fronkreisch!

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    28.10.2016 Das Ding mit Marcellus Wallace's Soul

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    01.09.2015 Racism or not? Insufficient data.

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    09.03.2015 Was ist da los?

    19.01.2015 Lob des Grauens

    09.04.2014 Schon wieder ein Text vom Schmitzer über die Öffis

    10.03.2014 Ein Wunschkonzert für klingende Schienen

    31.10.2013 Wie man es machen soll. Ein Text zum Abfeiern des tortuga-zine.

    12.09.2013 Eine Werbedurchsage, durchaus ernstgemeint, zu Gunsten von ICORN

    30.07.2013 Vom Gesindel

    10.07.2013 Steireranzug-Blues

    13.06.2013 Der ORF und die Alchemie

    23.01.2013 Sheriff Mario reitet!

    20.12.2012 Survivor's Guilt und T(r)ollwut

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    17.05.2012 Diskussions-Kultur

    02.04.2012 Notizen über ein paar neue Formate und ihre Implikationen

    08.02.2012 Notizen über ein paar neue Formate und ihre Implikationen

    12.12.2011 Notizen über ein paar neue Formate und ihre Implikationen

    15.10.2011 Notizen über ein paar neue Formate und ihre Implikationen

    10.05.2011 Schnee von Gestern III - Der Grasserstrasser

    29.03.2011 Schnee von Gestern II

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    19.01.2011 Meine Oma und das Weihnachtsgeschäft 2012

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