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Richtig echt blöd



Abgesehen davon, dass die Menschheit Werbeleute wirklich, Hand aufs Herz, nicht braucht (bzw. zumindest nicht so viele davon, wie es gibt);

abgesehen auch davon, dass das gut sichbare Gewusel in ihren fröhlichen Agenturen und Networks in den Herzen der gentrifiziert Ex-Schmuddel-Viertel eine stete Erinnerung für uns darstellt (oder darstellen sollte), dass das mit dem „Richtigen Leben im Falschen“ keine Frage gelungenen oder mißlungenen Designs ist;

abgesehen weiters davon, dass die von der Werbebranche, ihrem Jargon und ihren Ritualen ausgehenden Impulse in Sachen Lebens-, Denk- und Arbeitsweise schädlich, glücksfeindlich und doof sind;

abgesehen also von allem diesem ist andererseits schon auch irgendwie verständlich, dass die vielen jungen Menschen, die da hoffnungsfroh den Fachochschulen entströmen, allwo sie nichts als Unfug und nochmal Unfug gelernt haben, schließlich auch irgendwas arbeiten müssen. Sonst werden sie unglücklich und orientierungslos, lungern rum, überfallen alte Damen im Park, wählen Strache oder schließen sich dem IS an. Deshalb werden wir auch gut daran tun, nicht bei jeder einzelnen unnützen Werbekampagne, jeder strategic marketing collaboration und jedem Fall, da irgendein Saftladen vermittels Design in einen neuen und verbesserten juice shop verwandelt wird, die Nase zu rümpfen. Lasst sie halt machen. Sie richten im Allgemeinen auch nicht mehr Schaden an als die extensive Viehwirtschaft, und es würde ihren Omas sicherlich das Herz brechen, wenn nix G'scheits aus ihnen geworden sein würde.

Aber.

Wenn nun der Saftladen, um den es geht, durchaus die ganze Grazer Innenstadt auf einmal ist, also: die Grazer Innenstadt in ihrer Eigenschaft als Agglomeration von Einzelhandels- und Dienstleistungsbetrieben;

dann steht die Gefahr im Raume, dass sich in die Tätigkeit der besagten Werbemenschen eine Unschärfe zwischen einer privatwirtschaftlichen und einer politischen Entität einschleicht;

will sagen: die Gefahr, dass ein naturgemäß deppertes Reklamegeplapper, welches *Graz als Einkaufsparadies* zum Gegenstand hat, plötzlich in *Graz als Echokammer politischer Diskurse* und *Graz, der Ansammlung öffentlicher Räume* Schaden stiftet, in Graz als Wohnstatt von z.B. mir;

und dann erscheint das Naserümpfen durchaus wieder plausibel.

Wovon aber rede ich? – Ich rede davon, dass ich kürzlich in meinem Facebook-Feed die Nachricht vorfinden durfte, es hätte die Agentur en garde im Auftrag der ARGE Grazer Innenstadt ein „Re-Branding der Grazer Innenstadt“ vorgenommen. Man habe monatelang die innerstädischen Geschäftsleute und ihre Kunden befragt, um herauszubekommen, was diese Innenstadt so toll macht; nun wisse man es, es sei nämlich ihre "Echtheit". Juppiduh! Unter dem Slogan "so richtig echt", las ich da, werde nun allerhand Öffentlichkeitsarbeit fürs Flanieren, Verweilen, Einkaufen in der Innenstadt betrieben werden; man habe z.B. eine Zeitschrift, in der einzelne Geschäftsleute sich vorstellen könnten; man hat wohl auch irgendwelche Sonderangebote, Preisausschreiben und identitätsstiftenden Rambazambas geplant, aber das weiß ich schon nicht mehr, das extrapoliere ich bloß aus der Länge jenes PR-Textes für die Werbekampagne auf der Agenturhomepage - um den Kaas wirklich zu Ende zu lesen, hätte ich das Gemisch aus mitleidigem Kichern und Würgereflex unterbrechen müssen, das mich erfasst hielt.

"So richtig echt". Der Slogan verweist natürlich, soviel dürfte noch relativ unkontroversiell sein, auf den Sachverhalt, dass die Konkurrenz in den Shoppingcities in huschpfusch aus den Böden gestampften Bunkern hockt, denen allzeit anzumerken ist, dass sie keine andere Funktion haben als das möglichst effiziente Verkaufen von möglichst viel Glumpert an möglichst viele Leute; wohingegen man selbst, nobel-innerstädtisch, dem Glumpert-Handel in einer Kulisse nachgeht, der so etwas wie eine Geschichte anzusehen ist, Gebrauchsspuren, Gewachsenheit. Weshalb sich, so die unausgesprochene Insinuation, die Glücksversprechungen der Schaufenster nicht ganz so ungebrochen entfalten, sondern diffundiert werden in dem allgegenwärtigen Hauch des nach I. Kant "Erhabenen" (heisst hier: "Die Geschichte, durch die die Innenstadt geworden ist, wie sie ist, geht uns nix mehr an; die sozialen Spannungen, die zu lösen diese Architektur mal da war, bedrohen uns nicht unmittelbar; und so, aus der Distanz, ist das ja alles ganz putzig mit der Pestsäule und den mehrfachen Festungsmauern und allem."). Man habe Zeit zum Flanieren und Sinn fürs gefühlt Vorindustrielle. Wenn schon der Fetzen, den man sich kauft, aus dem selben sweat-shop stammt wie der, den es in Seiersberg draussen gibt, so stammt doch die Eiskrem, die man jausnet, aus einer Manufaktur, und man findet sich, wenn man sich umschaut, umgeben von nicht-optimierten Nischen allenthalben. Man kann es sich mit anderen Worten leisten, nicht optimiert zu sein. Der Überlebensdruck ist von einem genommen, man hat nun zeit zur Feineren, echteren Empfindung; man ist dementsprechend was Echteres, ja Besseres als der Pöbel, der die volle Werbedröhnung und das evtl. bisschen bessere Sonderangebot im Citypark braucht. Nicht umsonst beginnt der Artikel über Heimo Maieritsch, den zuständigen "City Manager" von Graz, im "Immobilien-Magazin online", mit folgendem Zitat des Portraitierten: "Ich habe aufgehört, ETWAS zu werden, und begonnen, JEMAND zu sein." (Über dem Rest des Artikels hängt dann leider eine Bezahlschranke, aber dieser erste halbe Absatz ist doch hübsch aussagekräftig...)

Nun ist es just im Zeichen des neuen Selbstbewusstseins der "Innenstadtkaufleute und Immobilenbesitzer", deren Dachverband die Kampagne in Auftrag gegeben hat, dass Graz ein deutlich ungemütlicherer Ort geworden ist. Kein Zufall, dass 2014/15 mit Tramina, Fotter, Mohrenwirt drei tatsächlich "echte" alte Gastro-Institutionen dichtmachen mussten, weil halt leider die "vom Markt" erwünschten Pachten nicht mehr leistbar waren; kein Zufall auch, dass wir inzwischen eine Ordnungswache haben, deren Funktion sinngemäß darin besteht, das echt Häßliche bzw. Störende aus dem Geltungsbereich des Echtheitsslogans zu entfernen; kein Zufall weiters, dass zwar Kulturvereine und kleine Veranstalter reihenweise umstrukturieren oder schließen mussten, seit das neue Vereinsgesetz gilt, aber auf den eigentlich öffentlichen Plätzen alle Naselang irgendeine Verkaufs-, PR- oder sonstwie geldwerte Massenbespaßung stattfindet. Fast möchte man auf den Gedanken kommen, dass sowohl die Leute, die die Echtheits-Innenstadt-PR verantworten, alsauch ihre Hauptzielgruppe gar nicht mehr hier wohnen müssten, sondern nach getaner Arbeit bzw. abgehaktem Flanieren heimfahren in ihre Einfamilienhäuser im Speckgürtel, weshalb die widerstandsarme Disneyland-Version von Urbanität ihnen eher einleuchten würde als the real thing.

Aber mein Gruseln angesichts des Echtheitskäses gilt nicht eigentlich diesen Besitzenden und ihren getrübten Blicken auf die Wirklichkeit -- natürlich richten sie es sich, so gut sie können -- es gilt viel mehr den fröhlichen jungen Werbeleute von der Agentur en garde. Zu ihnen fällt mir etwas ein, das wir ggf. als Meditationsvorlage hier am Schluss stehen lassen können:

"I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving hysterical naked, / dragging themselves through the negro streets at dawn looking for an angry fix, / angelheaded hipsters burning for the ancient heavenly connection to the starry dynamo in th machinery of night"

heisst es nämlich in den Anfangszeilen des Gedichts "Howl" von Allen Ginsberg (übrigens auch zeitweilig Werbegrafiker), das 1955 erstmals vorgetragen wurde – fertigg'fahren war sie also, die Generation, aber sie hatte immerhin mehr und besseres im Blick als den eigenen "Erfolg" und die Steigerung des Bruttosozialprodukts. In einer Parodie auf Howl, die in die genau gleiche sprachliche Form die Befindlichkeiten des amerikanischen Dotcom-Präkariats um das Jahr 2000 verpackt – "howl.com"von Thomas Scoville – kommt der Absatz vor (und wir können uns "MBA" mit "BWL-Abschluss" übersetzen):

"who tattoo'd and pierced and dyed and branded themselves in a desperate act of self-mutilating cyber-hepster cool, all the while wearing a suit and tie on the inside they could never, ever take off, and praying nobody would find out about the MBA"

... Ohmmmmmmm ...


Bildrechte: (c) Stefan Schmitzer

...




[Kolumne/S.Schmitzer/06.07.2016]





    Kolumne/S.Schmitzer


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