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Ein Sendschreiben ins Jenseits




St. Jörg vom Phaeton; Rächer der Enterbten; Bärentaler Lindwurmtöter; Dr. Haider, altes Schreckgespenst! Wenden Sie bitte kurz Ihre astrale Aufmerksamkeit von den androgynen Walküren ab, von denen Sie in Wotans wonniger Wohnstatt Walhalla umwuselt werden, wo waltend Sie weilen und weihevoll wundersam wummernden Chören aus Kehlen verewigter Kärntner … äh … zuhören (oder so ähnlich stellen wir uns vor, dass Ihr bevorzugtes Jenseits aussehen könnte, und wir gönnen's Ihnen gerne; können Sie doch da, wo Sie jetzt sind, keinen zusätzlichen Schaden im Diesseits mehr anrichten); nochmal:

Hören Sie her, Havariehengst!

Sie haben nämlich gewonnen. Gratulation! Egal, wie die Stichwahl um die österreichische Bundespräsidentschaft 2016 ausgeht: die „dritte Republik“, von der Sie in Ihrem lesenswerten Grundsatzbuch „Die Freiheit, die ich meine“ schreiben – ein bisschen Gaullismus, ein bisschen Volksabstimmerei à la Suisse, eine Prise SA-Staat – sie ist im Kommen.

Es könnte statt dessen bis zur nächste Nationalratswahl natürlich auch ein Wunder grösseren Ausmasses geschehen. Sagen wir: Löwen erlernen den Genuss von Tofu statt Gazellen. Oder: Die abertausenden vom Mittelmeer verschlungenen Migranten sind gar nicht tot, sondern haben sich im Zuge eines grossangelegten Satireprojekts in Elon Musks James-Bond-Schurken-Habitat am Ozeanboden versteckt und kehren nun an die Oberfläche zurück, um Kronenzeitungs-Leserbriefschreiberin Erna M. persönlich und einzelweise auszulachen, was zu einem ziemlichen Gedänge in Grammat-Neusiedel führt und den Verkehr bis nach Wien-Aspern zum Erliegen bringt. Oder, für unsere Zwecke wohl viel nützlicher: Ein Engel in Gestalt von Bruno Kreisky vertreibt Faymann mit einem flammenden nassen Fetzen aus dem Kanzleramt; der Erdboden verschluckt Doskozil, Nissl und noch ein paar andere Nasen ohne Vorwarnung, um sie, zu ihrer großen Verwunderung, im australischen Outback wieder auszuspucken, bewaffnet mit Pfitschipfeil und Didgeridoo; zeitgleich verkündet Laura Rudas, tränenüberströmt und in Sack und Asche gewandet, vom Balkon der Löwelstrasse herab, dass ihr „wie von Zauberhand“ Einsicht gewährt worden sei in die Grundlagen fortschrittlichen Denkens und Handelns sowie in ausgewähltes Basiswissen Anatomie, namentlich die Frage: „Wie funktioniert eigentlich so ein Rückgrat?“

Da nun aber mit einem Wunder dieser Art kaum zu rechnen sein wird, haben Sie, alte Erz-Unschuld vom Lande, posthum gewonnen. Denn wenn wir wie gesagt ausschließen, dass die Sozialdemokratie Vernunft annimmt und folglich Erfolge erzielt, sind nur noch folgende Szenarien für den Verlauf der kommenden zwanzig Monate irgend denkbar:

Szenario 1.a: Hofer wird Buprä, entlässt bei erster Gelegenheit die Regierung, wir bekommen einen Kanzler Strache (mit oder ohne vorgezogene Neuwahlen, mit oder ohne rotschwarze Schleimscheisserei). Natürlich wird in diesem Fall der Umbau der Republik nach z.b. ungarischem Modell vorangetrieben, und ob die Amtsbezeichnung des von Ihnen wie von Ihren Erben und deren Wählern herbeigesehnten starken Mannes dann „Kanzler“ lautet oder „Präsident“, ist Jacke wie Hose bzw. Kruppstahl wie Windhund.

Szenario 1.b: Auf fast das Gleiche läufts hinaus, wenn Hofer, einmal in Amt und Würden, sich Zeit lässt und bis zur nächsten regulären Nationalratswahl wartet, die dann ebenfalls auf einen Kanzler Hatze Stratze et cetera pp.

Szenario 2: Hofer wird Buprä, schickt die Regierung in die Wüste oder lässt sie (eigentlich eh egal) noch ein Jahr weiterwursteln, aber irgendwie geht sichs so oder so mit einem blaunen Kanzler nicht aus; es stünden sich in diesem Falle längerfristig gegenüber: Einerseits ein zu allem entschlossener Präsident, gewillt, seine Befugnisse auszureizen, nicht völlig deppert und ausgestattet mit so etwas wie einer greifbaren Agenda, andererseits eine demoralisierte, vom fortgeschrittenen Realitätsverlust schwer gezeichnete und am eigenen Tun erkennbar selber nur noch mäßig interessierte rotschwarze Funktionärskaste. Na wo wird das wohl enden, Haider, Abgott der Land- und Stadtkrämerseelen? Geschäftsordnungstrick um Geschäftsordnungstrick, „plebiszitäre“ Mobilisierungskampagne um Kampagne, Häppchen für Häppchen für Häppchen wird die Realverfassung der Republik umgemodelt werden, bis sie aussieht wie von Ihnen, Haider, vormals Hypohasardeur, vorgeschlagen.

Szenario 3: Van der Bellen wird Präsi. Dies erscheint mir, verehrter Beachvolleyball-Bonze a.d., bei Weitem am Wahrscheinlichsten. Der Plafond für Ihres und Hofers Gleichen liegt leider hoch, aber nicht wesentlich über 40%. Es graust hierzulande vielen Leuten vor erstaunlich wenig, aber nicht der absoluten Mehrheit vor gar nix. Dennoch hätten Sie, Haider, gekriegt, was Sie in dem erwähnten Buche fordern. Wenn nämlich der grüne Professor in der Hofburg sitzt und Ihre Brut die Nationalratswahl gewinnt (wovon nach dem Aprildebakel für die GroKo auszugehen ist), dann führt das auch wieder, wie in Szenario 2, zu Geschäftsordnungs-Mulatschak und Befugnisse-Ausreizen und allem diesem Kaas. Und wir antiautoritär, antifaschistisch, sagen wir allgemeiner: anti-oarsch gesinnten Bürgerinnen und Bürger, ja? – wir freuen uns dann sogar noch drüber, wenn der Buprä seine Zähne zeigt (seine gelben, gelben Zähne…), um diese oder jene blaue Grauslichkeit von Land und Leuten abzuwenden. Wir werden ihn in diesem dritten Fall auch noch herbeiwünschen und lichterkettig mitbetreiben, den Umbau der Republik zu einem Gebilde, in dem ein einzlener, unter Umgehung aller Gremien und Programme als „Persönlichkeit“ direkt gewählter Funktionär im Wesentlichen sagen darf, wo's langgeht.

Insofern, Haider: Hut posthum ab! Es waren zwar nicht sie persönlich, dem es vergönnt gewesen ist, das Niveau des politischen Umgangs im Land so weit zu senken, bis der Ruf nach einem starken Mann und die Sehnsucht nach einer Musikantenstadlheimat wieder als Macht- und Einflussbasis hinreicht. Neben Kickls „Daham statt Islam“ und „Schweinsbratenpflicht in Schulen“ nehmen sich Ihre Sprüche und Wortspiele von damals inzwischen überkomplex, verhalten, beinahe zivilisiert aus. Auch ist klar, dass, wenn Sie nicht gewesen wären, sich ein anderer williger Charismator gefunden hätte, um im Interesse des Kapitals diejenigen, die wenig haben (oder zu haben glauben), gegen die aufzuhetzen, die nichts haben (oder zumindest so ausschauen). Aber trotzdem: Sie haben den Käse als erster vorformuliert. Sie haben als gezeigt, dass es auch nach dem grandiosen Scheitern der Hitlerei immer noch möglich ist, den berechtigten Zorn der Leute über den Umstand, dass die Armen ärmer und die Reichen reicher werden, in sachlich falsche Affekte gegen „linke Eliten“, „Ausländer“ und „fremde Kulturen“ umzuschmelzen. Sie haben vorgeführt, wie es in Österreich eines Tages gelingen würde, allfällige Reste an Solidarität, Abstraktionsvermögen und Zivilisation zu beseitigen, und den tagespolitischen Diskurs auf die wesentlich ästhetische Frage zu reduzieren, welche Sorte Übervater an der Spitze von Staat bzw. Volk stehen soll.

Dass Ihnen selbst zeitlebens die eigene Eitelkeit im Weg stand, dieses Ziel ganz zu erreichen, braucht sie nicht zu grämen – dafür waren Sie auch jederzeit fescher, als es Strache ist.



Bildrechte: (c) ullstein / (cc) 2.0 wikimedia commons


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[Kolumne/S.Schmitzer/02.05.2016]





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