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Aus der Rolle

Gemeinschaft. In einer Gesellschaft, in der das Glück des Einzelnen zählt, haben es viele Männer aus Migrantenfamilien schwer. Der Verein „Ikemba“ hilft ihnen, Fuß zu fassen.
„Uuund runter … uuund zehn Sit-ups …“ – im Staccato kommen die Anweisungen des Trainers. Mit militärischer Disziplin werden sie von den Thaibox-SchülerInnen im Fight Club Graz beim ASKÖ Murfeld befolgt. Ermes ist einer von ihnen. Gesundheit, Fitness und Muskeltraining sind für den 18-jährigen gebürtigen Angolaner wichtige Nebeneffekte seines Trainings. Hauptsache aber ist das Erlernen von Ausdauer, Regeln und Verbindlichkeit. Denn in seinem zerklüfteten Leben war bisher kaum Platz dafür: Von Angola in den Kongo geflüchtet, hat er in den ersten Lebensjahren vor allem Krieg und Gewalt erlebt. Die siebenköpfige Familie fand erst vor vier Jahren in Österreich eine Bleibe – da war es für die Traumatisierten zu spät, um wirklich zusammenzufinden. Seinen Vater, der aus der Armee geflohen ist und sich versteckt halten musste, hat Ermes erst mit zwölf Jahren kennen gelernt, eine intakte Beziehung ist nie entstanden.

Kulturdolmetsch. „Die Autorität des Vaters fehlt ihm“, analysiert Livinus Nwoha, der dem jungen Afrikaner seit zwei Jahren zur Seite steht und die Rolle der männlichen Vertrauensperson einnimmt. Der Sozialpädagoge ist seit vielen Jahren in der interkulturellen Erziehungshilfe in Graz engagiert und Gründer von „Ikemba“. Das Team des Vereins – aus verschiedenen Ländern Afrikas, aus Südamerika, der Türkei, Polen, Turkmenistan und Österreich stammend – will Integrations-Barrieren für MigrantInnen abbauen und eine Schnittstelle zu Institutionen sein. Aus ihrer Erfahrung wissen sie, dass etwa drei Viertel aller MigrantInnen bestehende soziale und psychosoziale Angebote nicht nutzen. Mangelnde sprachliche Verständigungsmöglichkeiten sind dabei ebenso eine Hemmschwelle wie fehlende Informationen und wenig Vertrauen in das Einfühlungsvermögen der Angestellten.
„Wir haben einen Zugang zu ihren Werten, Gefühlen und Erwartungen“, erklärt Nwoha, der selbst aus Nigeria zugewandert ist. Die MitarbeiterInnen von Ikemba suchen die Menschen zu Hause, in den Parks und an anderen Treffpunkten auf, um Probleme im Familiensystem und in ihrer Lebenswelt aufzugreifen. Einer der Schwerpunkte ist, neben Jugend- und Frauenberatung, die Unterstützung von Männern.

Erste Generation. Wann ist ein Mann ein Mann? Diese Frage hat sich nicht nur der deutsche Liedermacher Herbert Grönemeyer Anfang der 80er Jahre gestellt. Sie stellt sich in besonderer Härte jenen Männern, die aus einer kollektivistischen Gesellschaft stammen – also der Mehrzahl der hier lebenden Migranten. In ihrer Heimatkultur spielen Familie, Gemeinschaft und Solidarität eine übergeordnete Rolle. Der Vater hat eine starke Stellung als Familienoberhaupt. „Männer haben Lebenskraft und Freude, sie wollen arbeiten“, meint Livinus Nwoha. Viele kommen mit guten Qualifikationen her, finden jedoch höchstens einen Job als Hilfsarbeiter. „Sie können nach ein paar Jahren nicht mehr, verlieren ihren Job und ihr Status als Familienernährer wird in Frage gestellt“, so Nwoha. Die Kinder rebellieren gegen den Vater, die Mutter schließt sich ihnen an. Stress und Belastungen nehmen zu, aber dem Mann erschließen sich keine neuen Kommunikationsmöglichkeiten. Die Situation eskaliert, der Mann zieht sich in sich zurück oder wird gewalttätig.
„Ich komme aus der ersten Generation der MigrantInnen“, sagt Nwoha, der aus eigener Kraft und mit guten Beziehungen seinen Weg gemacht hat. Doch er weiß: „Viele aus dieser Generation haben es nicht geschafft. Sie sind nie mit ihrer Migrationserfahrung, die oft mit Ausbeutung, Missbrauch und Gewalt verbunden ist, fertig geworden.“

Im Einklang mit der Gruppe.
Den Unterschied zwischen der Herkunft aus einer kollektivistischen und einer individualistischen Gesellschaft sieht auch Christian Scambor von der Männerberatungsstelle als entscheidend an: „Bei uns zählt das Glück des Einzelnen, in anderen Gesellschaften ist die Gemeinschaft das oberste Gut.“ Das hat auch Auswirkungen auf die Therapieformen. So sei es etwa für einen Mann aus Westafrika unvorstellbar, an einer Gruppentherapie teilzunehmen und vor den anderen Teilnehmern seine Fehler zu besprechen. „Dass er vor der Öffentlichkeit gut dasteht, ist für ihn das Wichtigste“, so Scambor. Deshalb eigne sich für solche Männer eher die Einzelberatung. „Doch wir sind noch am Experimentieren, was für diese Gruppe passt“, gesteht der Psychologe ein. Wesentlich sei es, in der Gewaltprävention die Pastoren der einzelnen Communities, die hohes Ansehen genießen, einzubeziehen und als Partner zu gewinnen.

Vertrauen und Verständnis. Der Pastor ihrer Kirchengemeinde war es auch, der für Ermes’ Mutter ein wichtiger Ansprechpartner war, als sich die Probleme mit dem Burschen zu häufen begannen. „Ich kann nicht gut deutsch, kann nicht zurückmaulen und habe gleich zugeschlagen wenn jemand geschimpft hat“, erzählt Ermes. Nächtelang ist er mit einer Jugendbande herumgezogen, zu Schlägereien kam ein Raub, an dem er zwar nicht tätlich aber als Zuschauer beteiligt war. Vier Monate Haft wegen unterlassener Hilfeleistung waren die Folge.
„Der Sozialarbeiter und die Verteidigerin haben ihn nicht verstanden“, erinnert sich Livinus Nwoha an sein erstes Zusammentreffen mit dem Jugendlichen. „Ich sehe den jungen Mann in seiner Vielfalt, sehe sein Leiden, versuche Vertrauen herzustellen.“ Ein Mentor, ein Ratgeber im besten Sinne des Wortes, will er dem jungen Mann sein – und das ist ihm auch gelungen. Heute macht Ermes eine Lehre als Elektriker und hat gelernt, Konflikte ohne Gewalt zu lösen. „Früher hat er sich nicht gekannt. Jetzt spürt er, dass er etwas kann und dass er etwas erreichen möchte“, erklärt Nwoha.

Gemeinschaft trägt. „Männer brauchen Vorbilder“, ist der Ikemba-Gründer vom Mentoreneffekt überzeugt. Die Mitglieder des Vereins glauben an die Fähigkeit der Menschen, auch unter schwierigen Bedingungen ihr Leben selbst zu bewältigen und zu gestalten. Sie wollen MigrantInnen helfen, diese Kraft zu entdecken und einzusetzen – „Empowerment“ im Fachjargon. Ehrenamtlich und in ihrer Freizeit. Denn bisher hat der Verein, der seit Jänner 2007 besteht, weder von der Stadt Graz noch vom Land Steiermark Geldmittel erhalten. „Ich war in fast jeder Fachabteilung. Alle finden das Konzept super, aber niemand ist dafür zuständig, wenn es um die Finanzierung geht“, klagt der Umtriebige. Immer wieder höre er, er solle sich bestehenden Organisationen anschließen. „Das geht nicht. Wir müssen unabhängig bleiben, weil wir sonst unsere Klienten verlieren“, meint Nwoha.
Auch Christian Scambor sieht keine Doppelgleisigkeit zu bestehenden Betreuungseinrichtungen: „Es geht hier um schwer erreichbare Menschen und eine Schnittstellenfunktion zu den Angeboten. Eine gute Idee soll man ausprobieren.“ Die Hoffnung lebt, dass diese Erkenntnis in die Regierungsbüros vordringt. Ikemba ist übrigens ein Wort in Igbo, der Muttersprache von Livinus Nwoha, und heißt übersetzt: „Gemeinschaft ist die tragende Säule der Menschen.“

www.ikemba.at

Text: Eva Reithofer-Haidacher, Fotos: Christopher Mavric...




[Artikel/megaphon/03.06.2008]





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