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Bittere Jahre

Die harte Flüchtlingspolitik hat Tradition: Schon Anfang der 1940er-Jahre machten europäische Länder und die USA ihre Grenzen dicht. Ein Gespräch mit dem jüdischen Zeitzeugen und Historiker Jonny Moser anlässlich 70 Jahre Beginn des Zweiten Weltkriegs.

Interview: Eva Reithofer-Haidacher

Sie waren 13 Jahre alt, als Sie mit ihrer Familie nach Ungarn vertrieben wurden. Was war das für ein Gefühl, fliehen zu müssen?
Wir wurden aus dem burgenländischen Parndorf bereits 1938 nach Ungarn ausgewiesen. Die Ungarn schoben uns zurück, dann lebten wir bis 1940 in Wien im Untergrund. Später mussten wir wieder nach Ungarn flüchten. Das Leben als Illegaler ist sehr bitter. Man ist ein Außenseiter, allein schon durch die Sprache. Und man ist scheu, weil man Angst hat.
1941 gab es für Sie einen Hoffnungsschimmer, in die USA zu entkommen. Warum ist das nicht gelungen?
In Ungarn, wo wir illegal gelebt haben, haben wir im Frühjahr 1941 ein Affidavit (Bürgschaft von US-Staatsbürgern, Anm.) bekommen. Da mussten wir uns offiziell melden und kamen deshalb in ein Lager. Die Ausreise war zu jener Zeit aber gar nicht mehr durchführbar, das haben wir nicht gewusst. Die Amerikaner haben im Juni 1941 in Westeuropa sämtliche Konsulate gesperrt. Zudem gab es bereits 1940 die Anordnung, Affidavid-Inhaber alle Prozeduren durchführen zu lassen, ihnen aber kein Visum auszustellen.
Eine Sauerei, oder?
Diese Sauerei ging vom Außenministerium in Amerika aus. Und die zweite Sauerei war: Man konnte bis Mai 1941 auf japanischen oder portugiesischen Schiffen nach Amerika fahren. Aber wie viele Schiffsplätze standen zur Verfügung? 20.000 jährlich – für mehr war nicht Platz. Und das nicht nur für Juden, die weg wollten, sondern für Flüchtlinge aus ganz Europa und andere auch, normale Reisende.
Und als die Konsulate gesperrt wurden, gab es überhaupt keine Möglichkeit mehr, ein Visum zu bekommen?
Überhaupt nicht. Es gab nur 1940/41 einmal die Möglichkeit, ein so genanntes Not-Visum zu beantragen. 2500 Not-Visa wurden für die gesamte Welt ausgegeben. Das ist nicht viel. Aber unter anderem sind so Franz Werfel oder Heinrich Mann nach Amerika gekommen. Die Visa sind hauptsächlich an Prominente ausgegeben worden. Außerdem durften sie keine Kommunisten sein, das war wichtig.
Hat nicht auch Großbritannien neben Kindern vor allem Berühmtheiten aufgenommen?
Im Sommer 1938 wurde die Konferenz von Evian einberufen, eine Flüchtlingskonferenz, um den österreichischen Juden zu helfen. Aber passiert ist nichts, weil sich Amerika geweigert hat, mehr Leute aufzunehmen. Dann kam es zum November-Pogrom, und das wurde von amerikanischer Seite zur Attacke auf Chamberlain genützt: Ihr Engländer macht überhaupt nichts, ihr seid an allem schuld. Und da haben sich die Engländer aufgerafft und Anfang Dezember 1938 über Radio an die Menschen appelliert, zu helfen. Viele haben sich gefunden und Kinder aufgenommen. Frauen konnten nach England ausreisen, wenn sie sich als Hausgehilfinnen verdingt haben und Männer wurden dann später auch in ein Zwischenlager aufgenommen. Von dort mussten sie irgendwann weiter. Auf diese Weise gelang es, zwischen dem November-Pogrom 1938 und dem 1. September 1939, dem Kriegsbeginn, rund 50.000 Menschen aus dem Deutschen Reich nach England zu bringen. Aber nachher war es schon schwierig. Na sicher, ein Sigmund Freud, der hat andere Beziehungen gehabt. Mit Beziehungen ist es leichter gegangen, aber die Leute können sie an den Fingern einer Hand abzählen.
Wie war das mit den übrigen europäischen Ländern?
Sämtliche Länder Europas, aber auch die Länder in Südamerika und die Kolonialmächte haben keine Einreisegenehmigung gegeben. Und zwar eigenartigerweise insbesondere den österreichischen Juden nicht. Ein Land hat total zugesperrt, das war Holland. Und Kanada. Kanada hat überhaupt keine österreichischen Juden aufgenommen. Erst während des Krieges, als die österreichischen Flüchtlinge als „aliens“, als Feinde, angesehen und nach Kanada gebracht wurden, da mussten sie sie in Internierungslager aufnehmen.
Auch die Schweiz hat eine unrühmliche Rolle gespielt.
Die Schweiz hat insofern eine unrühmliche Rolle gespielt, als sie anfangs eine bestimmte Anzahl von Menschen aufgenommen hat und dann angefangen hat, jene Politik zu machen, die wir zum Teil heute in Österreich machen. Wir wollen nicht „überfremdet“ werden. Und wenn wir heute die Schweiz anschauen, dann müssen wir sagen: Die Leute sollen froh sein, dass sie damals die paar tausend Flüchtlinge aufgenommen haben, denn die haben ihnen ja nach dem Krieg geholfen, das Land zu dem zu machen, das es geworden ist: zu einem der reichsten Länder der Welt.
Für Palästina war es auch nicht leicht, ein Visum zu bekommen.
Überhaupt nicht. Die Engländer haben im Jahr 1937, also ein Jahr vor dem Anschluss, in Palästina beschlossen, dass für die nächsten zehn Jahre die jüdische Einwanderung nach Palästina höchstens 100.000 Personen betragen darf. Das hieß: pro Jahr 10.000 Leute.
Gab es eine Erleichterung für Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich?
Ab 33/34 gab es die so genannten „Kapitalisten-Permits“. Es gab, eigenartigerweise, ein Abkommen der palästinensischen Juden mit den Nazis, wonach deutsche Juden mit Besitz nach Palästina reisen durften, wenn sie einen Teil ihres Vermögens mitnahmen und auf den Rest zugunsten des Reiches verzichteten. Aber das galt nur bis 1937. Die Leute konnten bis zu 1000 Pfund mit sich nehmen und zwar nicht in Form von Geld, sondern in Form von Maschinen. Wenn Sie Tel Aviv anschauen: Das ist in jenen Jahren gebaut worden.
Sie sind ja zu einem schwedischen Pass gekommen. Können Sie kurz die Geschichte erzählen?
Vom Jahr 38 bis zum Jahr 45 wird es immer schwieriger für Juden, zumal ja ab 1941 die Vernichtung der Juden im gesamten Europa beginnt. Im Jahr 1944 wird Ungarn von den Deutschen besetzt und von ungarischer Seite will man die Juden auch loswerden. In jener Zeit ist es mir gelungen, aus dem Konzentrationslager außerhalb von Budapest mit der Familie frei zu kommen, und ich habe die Bekanntschaft mit dem schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg gemacht. Der hat uns sofort den Schutzpass gegeben und ab da waren wir schwedische Staatsbürger. Das war unser Glück, denn die Vernichtung der Juden war ja ein großes Geschäft: Die Deutschen haben von den Ungarn die Bezahlung der so genannten Deportation verlangt. Pro Juden, den ihnen die Deutschen zur Vernichtung abgenommen haben, mussten sie 1200 Pengö bezahlen. Der offizielle Kurs war damals fünf Pengö für einen Dollar. Die Deutschen hatten im März 1944 rund 800 Millionen Pengö im Clearing-Verfahren Schulden, die mit der Übernahme der 440.000 ungarischen Juden getilgt waren.
Was sagen Sie zur heutigen europäischen Flüchtlingspolitik?
Es ist traurig, dass wir kein Verständnis für Flüchtlinge aufbringen. Und die Art und Weise wie wir das in Österreich tun, ist furchtbar. In Österreich geht die Innenministerin Hand in Hand mit den Rechten. Das geht nicht. Wir haben eine bestimmte Anzahl von Menschen aufzunehmen und ihnen behilflich zu sein. Ist es uns gelungen, die Ungarn aufzunehmen, ist es uns gelungen, Tausende von Tschechen aufzunehmen, Polen aufzunehmen, dann muss es uns doch heute auch gelingen, Flüchtlinge aus dem asiatischen Raum, aus dem russischen Raum aufzunehmen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person:
Jonny Moser kam im Dezember 1925 als Sohn einer Jüdin und eines Nichtjuden zur Welt, die in Parndorf im Burgenland eine Gemischtwarenhandlung betrieben. Nach Jahren der Flucht wurden sie 1941 in Budapest in einem Konzentrationslager inhaftiert und entkamen nur mit Glück dem letzen Transport nach Auschwitz. 1944 lernte Jonny Moser den schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg kennen, der in Ungarn viereinhalb tausend Juden durch Ausstellung von Schutzpässen vor dem sicheren Tod rettete. Jonny Moser arbeitete als Assistent Wallenbergs bei seinen Hilfsaktionen mit.
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[Artikel/megaphon/01.09.2009]





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