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Erntezeit mit Hindernissen

Erntehelfer. Ausländische Arbeitskräfte sind für die Ernte von österreichischem Obst und Gemüse unverzichtbar. Rufe der Landwirte nach mehr Arbeitsbewilligungen werden ignoriert, obwohl Inländer für die schwere Arbeit kaum zu bekommen sind.

„Ich bin eigentlich im Urlaub“, erklärt Damian Javorski in gebrochenem Deutsch. In Gummistiefeln geht er neben dem Traktor her, der mit einem Spezialanhänger langsam durch die langen Reihen einer Apfelplantage in Nitscha bei Gleisdorf tuckert, und zupft mit flinken Fingern reife, große Früchte von den Ästen. Der kalte Wind bringt die Blätter zum Rascheln, und Damian Javorski muss aufpassen, dass er auf dem rutschigen Boden nicht mit dem Fuß unter ein Traktorrad gerät. Zu Hause in Polen arbeitet der 27-Jährige in einer großen Autofirma; die 500 bis 600 Euro, die er dort im Monat verdient, reichen aber kaum zum Leben. Als Erntehelfer bekommt er knapp das Doppelte.
Tausende ausländische Arbeitskräfte sorgen Jahr für Jahr in Österreich dafür, dass das reife Obst und Gemüse von heimischen Bauern rechtzeitig bei den KonsumentInnen landen. Damit die empfindliche Ware möglichst lang gelagert werden kann, muss sie zum optimalen Zeitpunkt – binnen weniger Tage oder Wochen – geerntet werden. Kleinere Betriebe bewältigen diesen enormen zusätzlichen Arbeitsaufwand seit jeher mit Unterstützung von Familie und Bekannten; größere sind auf Hilfe von außen angewiesen. Diese Hilfe kommt momentan meist aus Slowenien, Ungarn, Rumänien und Polen – in Form von Erntehelferinnen und Erntehelfern, die privat oder über AMS von den Landwirten organisiert werden und bis zu sechs Wochen lang in Österreich legal und versichert arbeiten dürfen.

Keine InländerInnen.
„Österreicher sind für diese Arbeit kaum zu bekommen“, erklärt Winfried Eberl, Direktor der Steirischen Landwirtschaftskammer. Einerseits, weil Inländer langfristige Arbeitsplätze wollen, andererseits „weil sie sich die anstrengende Arbeit für knapp 1000 Euro netto pro Monat nicht antun“. Die Möglichkeiten, an die deshalb dringend benötigten ausländischen Kräfte zu kommen, sind aber beschränkt: Für das Jahr 2008 gibt es in der Steiermark ein Kontingent von 2630 ErntehelferInnen und 2455 SaisonarbeiterInnen, die sechs Monate angestellt werden können. Ist dieses Kontingent ausgeschöpft – und zu den Spitzenzeiten im Herbst ist es das Jahr für Jahr tatsächlich sehr schnell –, haben die Landwirte keine legale Möglichkeit mehr, Erntearbeiter zu beschäftigen. „Wir probieren seit Jahren, darauf aufmerksam zu machen, dass es viel zu wenige Stellen gibt. Mindestens tausend mehr pro Jahr müssten es schon sein“, kritisiert Kammerdirektor Eberl.
Zusätzlich verschärft wird die Situation dadurch, dass ErntehelferInnen nur aus den neuen EU-Ländern kommen dürfen, nicht aber aus Drittstaaten. „Gerade aber Slowenen, Ungarn und Polen, die bisher stark vertreten waren, arbeiten immer öfter zu Hause und bleiben als Helfer hier aus.“ Ein Arbeitskräftemangel stehe bald ins Haus, wenn nicht Erntehelfer etwa aus Weißrussland oder der Ukraine zugelassen werden, so Eberl.

Kontingent abschaffen.
Eine kurze Verschnaufpause legen die ApfelpflückerInnen in Nitscha ein. Der lange Traktoranhänger ist voll, ein leerer rollt heran. Eine schnelle Zigarette und ein paar Bissen von der Jause, dann geht es für den Polen Damian Javorski, seine Handvoll rumänische Kolleginnen und Kollegen und die Bauernleute selbst wieder zurück an die Apfelbäumchen. Sprachprobleme überwinden sie notdürftig mit einem Gemisch aus Deutsch und Englisch, gelacht wird trotzdem viel zwischen den Reihen, die mit einem weißen Hagelschutznetz überspannt sind.
Seit Anfang der Neunziger Jahre beschäftigt der Obsthof von Jungbauer Lorenz Spielhofer – auch Obmann der Steirischen Erwerbsobstbauern – polnische Erntearbeiter. Momentan ist Damian Javorski aber der einzige Pole; der Rückgang an Arbeitskräften aus Staaten, die sich momentan wirtschaftlich gut entwickeln, sei stark zu spüren. Die Angst der Landwirte steige: „Wie sollen wir denn die Ernte einbringen? Soll ich, wenn ich zu wenig Helfer bekomme, der Arbeit eines ganzen Jahres beim Verfaulen zusehen?“ Radikaler als Kammerdirektor Eberl fordert Spielhofer daher nicht das Zulassen von Erntearbeitern aus Drittstaaten und eine Erhöhung des Kontingents, sondern dessen komplette Abschaffung: „Keiner der Erntearbeiter hat ein Interesse daran, in Österreich zu bleiben! Die sind froh, wenn sie wieder daheim bei der Familie sind.“

Pflichtgemäß schnell. Teile seiner Familie hat Sabin Varan aus dem rumänischen Resita gleich mitgebracht nach Nitscha. Zusammen mit Bruder, Schwägerin und anderen Verwandten verbringt er bereits seinen dritten „Ernteurlaub“ in der Steiermark. Für ihn als Single sei es kein Problem, wochenlang im Ausland zu sein, „wenn ich Kinder hätte, wäre das aber schon anders“. Dieses Jahr ist der Zwanzigjährige aber erstmals wirklich zufrieden mit seiner Arbeitssituation. „In den letzten beiden Jahren war es nicht angenehm. Ich musste mit sehr schwierigen Leuten zusammenarbeiten“, erklärt der schüchterne Rumäne, der zwischendurch den Altbauern Spielhofer am Traktorlenkrad ablöst. Als wichtige Investition sieht die Familie Spielhofer ihre ErntehelferInnen und bietet ihnen Pausen, eine eigene Küche und Wohnräume: „Arbeitsklima und Arbeitsqualität sind sehr gut, und die Leute sind flexibel und schnell.“
Das müssten sie aber auch sein, erklärt ein Winzer aus dem Bezirk Weiz, der anonym bleiben möchte: „Ausländische Erntehelfer sind extrem gute Arbeiter. Oft sind sie mit den Tätigkeiten vertraut, und sie sind schneller als die allermeisten Inländer. Aber sie haben gar keine andere Wahl, sonst engagieren die Landwirte sie im nächsten Jahr einfach nicht mehr!“ Lange Zeit sei es weithin üblich gewesen, dass mit den legal angemeldeten HelferInnen ein paar illegale – billigere – Arbeitskräfte mitgekommen sind. Wegen verschärfter Kontrollen und hoher Strafen „zahlt sich das aber wirklich nicht mehr aus“. Außerdem sei das Risiko eines Arbeitsunfalls hoch und die Kranken- und Unfallversicherung deshalb wichtig. Nur das zu niedrige Kontingent sei ein Problem, angesichts dessen sich manche Landwirte trotzdem in die Illegalität gedrängt sehen. „Als Notwehr in Spitzenzeiten, wenn die Ernte gefährdet ist, kann ich so etwas aber verstehen“, gesteht auch Kammerdirektor Eberl ein.

Lieber richtigen Urlaub.
Die Spitzenzeit ist in Nitscha noch nicht erreicht; um die Apfelplantagen mit insgesamt 22 Hektar leer zu pflücken, bekommt das Team von Lorenz Spielhofer noch Verstärkung. Konzentriert leert Damian Javorski in der ersten herbstlichen Kälte die großen Äpfel vom kleinen blauen Stoffkorb, in dem sie erst gesammelt werden, in den großen Anhängerbauch. Druckstellen auf den roten Bilderbuch-Äpfeln sind tunlichst zu vermeiden. Nur die kleineren Exemplare, die Mostäpfel, die werden gleich mit Schwung in eine Holzkiste geworfen. Damian Javorski mag die Arbeit, und er mag auch Österreich. Aber nächstes Jahr wird der Pole wahrscheinlich kein österreichisches Obst mehr pflücken: „Ich hoffe, dass ich dann bei der Autofirma ein bisschen mehr verdiene. Und dann mache ich natürlich schon lieber richtigen, entspannenden Urlaub“, erklärt er lachend und legt die nächste Handvoll Äpfel in den blauen Korb.

Text: Birgit Schweiger, Fotos: Christopher Mavric...




[Artikel/megaphon/13.10.2008]





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