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Delikt : Flucht

Von: Eva Reithofer-Haidacher

SCHUBHAFT Das Vergehen: die Einreise nach Österreich ohne Pass. Die Strafe: bis zu zehn Monate Haft. Ein Lokalaugenschein im Grazer Polizeianhaltezentrum.


Es muss ein Alptraum sein. Der russischen Gefangenschaft entkommen, endlich bei seiner Familie in Österreich angelangt, landet er gleich wieder hinter Gittern: in Schubhaft. Der junge Tschetschene, der lange Zeit als verschollen gegolten hatte, war im Gefängnis schwer misshandelt worden. Folterspuren zeugen davon. Die grauenhaften Erlebnisse vor seiner Flucht hat er noch nicht verarbeitet, im österreichischen Polizeianhaltezentrum betont er immer wieder seine Angst vor uniformierten Beamten. Seine Betreuer befürchten eine neuerliche Traumatisierung.
Der Tschetschene war Mitte Oktober einer der Fälle, die das Forum Asyl wöchentlich veröffentlicht, um auf die verheerenden Auswirkungen der Schubhaft auf AsylwerberInnen aufmerksam zu machen. Flucht ist kein Verbrechen: Diese lapidare Feststellung gibt der Initiative ihren Namen, die bereits 5000 Menschen unterzeichnet haben. Menschen, die nicht hinnehmen wollen, dass Schutzsuchende schlechter behandelt werden als inhaftierte Straftäter. Denn Schubhäftlinge verbringen 23 Stunden des Tages in winzigen Zellen, ohne Beschäftigungsmöglichkeiten, ohne Freizeitprogramm, in völliger Ungewissheit - bis zu zehn Monate lang.

Grau in Grau. In Graz sind es rund 40, mehr als ein Drittel davon AsylwerberInnen. Der stellvertretende Inspektionskommandant Walter Schwab sagt nicht gerne „Schubhäftling“, im korrekten Beamtenjargon heißt das „Angehaltener“. Denn das frühere Polizeigefängnis in der Paulustorgasse heißt jetzt auch Polizeianhaltezentrum. So viel zur Diktion, in der Praxis hat sich wohl nicht viel geändert: Eine große Gitterwand muss durchschritten werden, dann ein graues Stiegenhaus, von dem aus man auf den mindestens ebenso grauen Betonhof hinaussieht. Die Stunde des Hofspaziergangs ist angebrochen. Wortlos drehen sieben Männer ihre Runden, einer sitzt auf der Bank und raucht. Ist es die düstere Witterung oder die Stimmung, die nur so wenige nach Frischluft schnappen lässt? Jedenfalls konterkariert das Bild auf seltsame Weise die Worte von Walter Schwab und seinem Kollegen Ernst Baier, die sagen: „Es ist allgemein eine positive Stimmung“. In der offenen Station, in der sich die „Braven“ in den Gängen und im Sozialraum frei bewegen können, sei es sogar „lustig, die Leute plaudern und können fernsehen.“
Der Aufenthaltsraum ist leer, ein kahles Zimmer mit wenigen Stühlen, an der Wand lehnt ein zusammengeklappter Tischtennistisch, hoch oben ein Fernseher. Im Gang gehen Männer auf und ab, Gespräche werden kaum geführt. Wie auch? „Letztes Jahr waren 56 verschiedene Destinationen da“, hatte uns Ernst Baier kurz zuvor erklärt. Lustig haben wir uns anders vorgestellt.

Legale Illegale. Doch der Vergleich zählt: Insider meinen, dass es im Grazer Polizeianhaltezentrum offener und liberaler zugeht als anderswo. Die Besuchszeiten etwa sind von den vorgesehenen wöchentlichen auf tägliche ausgeweitet worden. Norbert Engele ist seit 32 Jahren evangelischer Gefängnispfarrer und kennt die Grazer Anstalten in- und auswendig. Er attestiert den Polizisten einen „sehr freundlichen Umgang“. Das große Problem sei, dass die Häftlinge dort nichts tun dürfen: „Wenn jemand länger drin ist, ist das grauenhaft. Es fällt ihm die Decke auf den Kopf.“ Und das passiert immer öfter. 2001 betrug die durchschnittliche Aufenthaltsdauer dreieinhalb Wochen, letztes Jahr bereits zwei Monate. Der Anteil der Personen, die mehr als fünf Monate in Schubhaft saßen, hat sich in diesem Zeitraum verzehnfacht. Seit dem Inkrafttreten der Fremdengesetze im Jänner 2006 können auch traumatisierte Menschen inhaftiert werden. Und das nicht auf richterlichen Befehl, sondern allein auf Anordnung der Fremdenpolizei.
„In Italien, wo das Gericht entscheidet, wird die Schubhaft kaum verhängt“, erklärt Eldar Hysi, Teamleiter der Caritas Schubhaftbetreuung. Wenn nicht gesichert ist, dass das Heimreisezertifikat, ein Reisepassersatz, innerhalb kürzester Zeit vom Konsulat geschickt wird, werden die Menschen in unserem südlichen Nachbarland nicht inhaftiert. In Spanien ist die Schubhaft auf 40 Tage beschränkt. In Österreich hingegen werden auch Menschen aus China, Indien oder Algerien in Schubhaft genommen, obwohl bestens bekannt ist, dass von dort niemand ein Dokument erhält. Sinnlos sitzen die Betroffenen bis zu zehn Monate ihres Lebens im Gefängnis und müssen dann freigelassen werden – legale Illegale, rechtlos und ohne Arbeitserlaubnis.
Und dazu das traumatische Schubhaft-Erlebnis. „In der Schubhaft verfallen die Leute nach zwei bis drei Wochen und sind nicht mehr fähig, Entscheidungen zu treffen“, so Eldar Hysi. „Als Erfolg sehen wir es schon, wenn die Leute nicht in Lethargie versinken.“ Sein großer Wunsch: dass die Schubhäftlinge wenigstens einfache Arbeiten ausführen dürfen, damit ihr Selbstwertgefühl nicht ganz versandet.


Erste Bodenberührung. Das Team der Caritas Schubhaftbetreuung hat keinen leichten Job. Drei Beschäftigte betreuen rund 600 Schubhäftlinge jährlich in Graz und Leoben. Auf ihnen lastet die gesamte psychosoziale Betreuung der Flüchtlinge, deren Delikt in vielen Fällen nur darin besteht, über ein anderes EU-Land nach Österreich eingereist zu sein. Im „Dublin-Verfahren“ soll festgestellt werden, in welchem Staat der Betreffende erstmals EU-Boden berührt hat. Dieser ist dann für das Asylverfahren zuständig. Als „absurd und inhuman, in einer Europäischen Union ohne Binnengrenzen Asylsuchende zu inhaftieren und in ein anderes EU-Land abzuschieben“, hat der Europäische Flüchtlingsrat dieses Vorgehen bezeichnet. Menschen und Verantwortung werden abgeschoben, die Schubhaft munter weiter praktiziert. „Viel zu oft“, meint der gebürtige Albaner Hysi. „Freiheitsentzug ist schließlich die höchste Form der Bestrafung, die es bei uns gibt.“ Und das für nichts als den illegalen Aufenthalt, ein Verwaltungsdelikt wie es etwa das Schwarzfahren in der Straßenbahn auch ist. Die Alternative, dass sich die Flüchtlinge zwei bis drei Mal pro Woche bei der Fremdenpolizei melden, werde kaum angewandt, erzählt Eldar Hysi. Dabei wäre das nicht nur wesentlich humaner, sondern auch weit kostengünstiger. Der gelernte Betriebswirt hat errechnet, dass ein Schubhäftling den Staat in Einzelfällen bis zu 20.000 Euro kostet.
Viel mehr als die Kosten belasten ihn aber die menschlichen Tragödien, Selbstmordversuche und Zwangsabschiebungen. Den Humor hat er dennoch nicht verloren. „Ich habe lebenslänglich“, sagt Eldar Hysi lachend. „Es gibt zwar nur sehr kleine Erfolge. Über die freue ich mich aber umso mehr.“



Forderungen des Forum Asyl

• Keine Schubhaft für AsylwerberInnen, vor allem nicht während der Prüfung, welches Land für das Asylverfahren zuständig ist ('Dublin-Verfahren')
• Jedenfalls keine Schubhaft für Minderjährige, Traumatisierte, Schwangere, Alte, Kranke, Menschen mit Behinderung
• Unverzügliche Information über die Haftgründe und Rechte von Schubhäftlingen unter Beiziehung von qualifizierten DolmetscherInnen
• Kostenlose unabhängige Rechtsberatung innerhalb von 24 Stunden
• Umgehende und regelmäßige automatische gerichtliche Haftprüfung samt Haftverhandlung mit Möglichkeit der Verfahrenshilfe
• Alternative Anhalteformen zur Schubhaft

Mehr unter www.fluchtistkeinverbrechen.at...




[Artikel/megaphon/12.12.2007]





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