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24 Stunden

PFLEGE In Österreich gibt es rund 40.000 ausländische Frauen, die alte Menschen ganztags betreuen. Während eine Hälfte legal hier gemeldet ist, pflegt die andere Hälfte ohne rechtlichen Schutz. Die Folgen sind: miese Arbeitsbedingungen, wenig Privatsphäre und Burnout.

Die Tage verlaufen immer gleich. Um sieben Uhr steht Jana Klimekova auf. Sie weckt die 92-jährige Frau, die sie seit einem Jahr betreut, und hilft ihr aus dem Bett. Sie geht mit ihr duschen und richtet das Frühstück. Sie unterhält sich mit ihr, macht den Haushalt, geht einkaufen, macht das Mittagessen. Wenn die 92-jährige Frau kurz nach eins ihren Mittagsschlaf hält, hat die slowakische Pflegerin das erste Mal Zeit für sich. Für Jana Klimekova sind diese zwei Stunden die wichtigsten des Tages. Sie sind ihre einzige Freizeit.

Es ist kurz nach eins und Frau Klimekova sitzt unter einem Haselnussbaum im Garten. Für das Gespräch mit dem MEGAPHON hat sie einen Zettel mit deutschen Redewendungen vorbereitet. „In Geldnot sein“, steht auf diesem: Denn Frau Klimekova war nach ihrer Scheidung mittellos und musste erst lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Auch „Erfahrung“ hat sie sich notiert: Weil sie damals erfuhr, wie schwierig es für eine Slowakin ist, sich mit einer kleinen Modefirma über Wasser zu halten. Schließlich noch „Mut“: Weil sie sich traute, mit 46 Jahren noch etwas Neues zu probieren, weil sie den Job als 24-Stunden-Pflegerin annahm.

Es gibt in Österreich knapp 40.000 Frauen, die ähnliche Geschichten erzählen können. Eine Hälfte arbeitet legal hier, die andere Hälfte pflegt illegal, ohne rechtlichen Schutz. Vier von fünf Frauen kommen aus der Slowakei, häufig, weil es in ihrer Heimat keine anderen freien Stellen gibt. Manche Pflegerinnen planen aber auch hier zu bleiben und warten, bis sich der heimische Arbeitsmarkt dem Osten öffnet. Dann wollen sie sich eine neue Arbeit suchen. Eine Arbeit mit geregelten Arbeitszeiten und einer Arbeitslosenversicherung.

Kein eigenes Zimmer, nicht einmal Warmwasser. Wie geht es den Frauen, die so einen Fulltimejob machen? Der FH-Student Alfred Suppan ging dieser Frage in seiner Diplomarbeit nach und befragte vier selbstständige Pflegerinnen in Graz. Was er erfahren hat, stimmt nachdenklich: So schildert eine Betreuerin etwa, dass sie in einem Zimmer ohne Tür wohnen musste und dass fremder Zigarettenrauch in ihr Zimmer zog. Andere Frauen schliefen im Keller oder auf der Couch, einmal gab es kein Warmwasser. Manche Familien unterlagen auch dem Irrglauben, statt einer 24-Stunden-Pflegerin ein Hausmädchen angeschafft zu haben: In einem Fall sollte eine Slowakin nicht nur pflegen, sondern auch in der hauseigenen Pension die Zimmer sauber halten.

Was die Frauen am meisten belastet, ist aber etwas anderes. Es wird zu wenig gesprochen zwischen slowakischen Frauen und österreichischen Angehörigen. Das führt in harmlosen Fällen dazu, dass eine Pflegerin in der ersten Nacht ratlos aufsteht, weil der alte Mann, den sie betreut, scheinbar etwas verlangt. Und sie erst am nächsten Tag erfährt, dass der alte Mann im Schlaf immer spricht.

Ausbleibende Gespräche können aber noch gravierendere Probleme nach sich ziehen. Falsche Pflege etwa oder rechtliche Nachteile, wenn die Frauen über notwendige Versicherungen nicht informiert werden. Rasch Deutsch zu lernen ist für die Betreuerinnen allein deswegen unerlässlich.

Die einzige Ansprechperson. Jana Klimekova hat sich in dem Jahr, in dem sie in Österreich lebt, ein respektables Deutsch angeeignet. Geholfen hat ihr dabei, dass ihre 92-jährige Klientin früher Deutschlehrerin war und mit ihr übte. So musste Frau Klimekova in den ersten Monaten der alten Frau täglich aus der Zeitung vorlesen. Machte sie beim Plaudern grammatikalische Fehler, wurde sie korrigiert.

Denn für die alte Frau ist Jana Klimekova nicht nur eine Hilfe beim Aufstehen und Duschen. Häufig ist sie über Tage hinweg ihre einzige Gesprächspartnerin. Umgekehrt ist das genau so. Frau Klimekova ist für ihre Klientin rund zehn Monate im Jahr da, zweiundzwanzig Stunden am Tag. Selbst Weihnachten feierte sie in Graz und fuhr erst Tage später zu ihren drei erwachsenen Kindern nach Kosice. Möglich ist das, weil die meisten 24-Stunden Pflegerinnen selbstständig sind und keinem Arbeitszeitgesetz unterliegen.

Der Staat will die legale Pflege so leistbar machen. Doch das ist problematisch. Gibt er den Frauen doch so die Möglichkeit, sich selbst auszubeuten. Walter Marschitz, Geschäftsführer des Hilfswerks Österreich, hält das Hausbetreuungsgesetz von 2007 dennoch für vernünftig. Im Vergleich zu früher schützt es Familien vor rechtlicher Verfolgung und kommt Pendlerinnen entgegen. Dass kein gesetzlicher Mindestlohn für Selbstständige eingeführt wurde, verteidigt er. „Mit einem Mindestlohn könnte man den Markt ganz schnell ruinieren.“

Angst, arbeitslos zu werden.
Trotz der großzügigen Förderung von bis zu 550 Euro melden viele Familien ihre Pflegerin aber nicht in Österreich an. So schildert eine slowakische Agentur-Pflegerin, die anonym bleiben möchte, dass sie sowohl legal als auch illegal arbeitet. Manchmal hätte sie Glück und die Familie informiere sie über ihre Rechte, manchmal ließe man sie im Unklaren. Doch egal ob legal oder illegal: Immer hat sie Angst, arbeitslos zu werden und wochenlang ohne Einkommen auf den nächsten Klienten zu warten.

„Dieses Gesetz lässt die Betreuerinnen im Regen stehen, es war ein reiner Legalisierungsakt“, meint Rosa Kouba, Pflegedienstleiterin der Caritas Steiermark. Verbesserungen fallen ihr viele ein: So wünscht sie sich mehr Freizeit für die Frauen. Häufig wäre es etwa nicht notwendig, dass Betreuerinnen die ganze Nacht bei den Klienten bleiben. Mit einer Art Nachtwache, in der eine Pflegerin zu später Stunde mehrere alte Menschen besucht, könnten die Frauen ausspannen.

Frau Kouba kritisiert auch, dass es keinen Mindestlohn gibt, sie fürchtet Lohndumping. Schon jetzt verdienen Pflegerinnen, die über die Caritas vermittelt werden, bis zu 18 Euro mehr am Tag als Agentur-Pflegerinnen. Möglich ist das, weil die Betreuerinnen häufig keine Ahnung von den Gegebenheiten in Österreich haben. Die Caritas verteilt ihre Informations-Mappen deshalb in slowakischer Sprache. Rosa Kouba: „Der Staat macht es sich zu einfach, wenn er den Frauen sagt: Ihr seid legal, selbstständig. Macht wie ihr wollt.“

Frauen aus der Ukraine?
Dabei müsste der Staat eigentlich dankbar sein. 24-Stunden-Betreuerinnen decken fünf Prozent der österreichweiten Pflege. Ihre Bedeutung wird in den nächsten zehn Jahren noch wachsen. Steigt gleichzeitig das Lohnniveau in der Slowakei, wird es neuer Gesetze bedürfen, um die Frauen hier zu halten. Schon möglich, dass dann eine attraktivere Entlohnung für die Frauen kommt. Vielleicht werden die slowakischen Pflegerinnen aber auch nur durch billigere, ukrainische Pflegerinnen ersetzt.

In zehn Jahren wird Frau Klimekova ohnehin nicht mehr im Land sein. Wie viele Pflegerinnen sieht sie die Arbeit als Brücke zwischen ihrem früheren und ihrem kommenden Leben. Glücklich werde man dabei nicht, aber man könne Geld verdienen, sie sei zufrieden. Frau Klimekova mag die Ruhe im Haus und im Garten und sie mag auch die alte Frau, mit der sie jeden Tag „Mensch ärgere dich nicht“ spielt. Um ihren Charakter zu beschreiben, hat sie auch ein Wort aus dem Wörterbuch gesucht. Es ist friedliebend.

Text: Christian Maier, Fotos: Christopher Mavric
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[Artikel/megaphon/09.06.2009]





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