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Auf der Welt
NEUGEBOREN. Wenn die einen Feste feiern und die anderen ihre Ruhe haben wollen, bleiben Konflikte nicht aus. Ein Besuch auf der Grazer Geburtenklinik, wo gut Gemeintes nicht immer gut ankommt.
Emina Burzic ist blass, elf Stunden im Kreißsaal haben ihre Spuren hinterlassen. Doch was zählt, ist das Ergebnis der Qual, und das hält sie liebevoll im Arm: Sohn Lazar, zweieinhalb Tage alt. Die 23-Jährige – Vater Bosnier, Mutter Serbin – lebt seit ihrem ersten Lebensjahr in Österreich und hat längst die Staatsbürgerschaft. Ihren „Migrationshintergrund“ aber, so der korrekte Terminus, wird sie so schnell nicht los. Hier, im zweiten Stock der Gebärklinik am LKH Graz, teilt sie ihr Zimmer mit drei Jungmüttern, die alle ihre Wurzeln in anderen Ländern haben.
„Wir legen Frauen aus gleichen Kulturen zusammen“, erklärt Schwester Elisabeth Zierler-Matzer. Seit 1981 im Dienst, habe sie von Anfang an Migrantinnen erlebt, nur die Länder haben sich verschoben. Kamen anfangs viele Frauen aus Rumänien und afrikanischen Ländern in die Klinik, so seien es jetzt vor allem Tschetscheninnen und Türkinnen. Und es werden immer mehr. Manchmal gäbe es Spannungen, auch unter den Migrantinnen. Etwa wenn die einen Ruhe brauchen und die anderen haufenweise Besuch bekommen.
Besuch als Pflicht. „Vor allem Frauen aus islamischen Ländern wollen alle Angehörigen dabei haben“, hat die Krankenschwester beobachtet. Es gäbe Nächte, da stehen acht, neun Familienmitglieder samt Nachwuchs vor dem Kreißsaal. „Wir schicken sie heim, weil die Kinder ja ihren Schlaf brauchen. Aber meistens gehen sie vorne raus und hinten wieder rein“, sagt Elisabeth Zierler-Matzer.
Salah Algader kennt die Reibungspunkte. Der gebürtige Iraker leitet das ISOP-Projekt „Interkulturelle Gesundheitsassistenz für Migranten“, bei dem DolmetscherInnen ans Spital vermittelt werden. „Für Muslime ist der Krankenbesuch Aufgabe der Religion“, erklärt er. „Der Patient ist eine schwache Person, die man unterstützen muss.“ Außerdem sei eine Geburt ein Fest, so Algader: „Ein Kind ist geboren. Großmutter, Großvater, Tante, Onkel, alle kommen gemeinsam, um das zu feiern.“
Seit einiger Zeit gibt es Besuchszeitenschilder in mehreren Sprachen und einen eigenen Besucherraum. Doch nicht alle halten sich daran. Außerdem ist der Raum klein und die Familien sind groß. „Jeden Tag kommt sehr viel Besuch, ich mag das. Gestern war zwei Mal alles voll im Besucherraum“, sagt Emina Bursic. Da stoßen auch schon ihr Mann und ihre Mutter zur Runde. Der Jungvater strahlt über das ganze Gesicht, wenig zeugt von der Anstrengung der letzten beiden Tage. „Mein Mann hat nach der Geburt mit Freunden alles rausgefeiert“, hatte Emina Burzic kurz zuvor erzählt. „Im Dorf unten in Bosnien“ begehen sie eine Geburt noch ausgiebiger: Da werden Schafe und ein Schwein geschlachtet und viele Gäste eingeladen.
Angehörige im Kreißsaal. Toita Terlueva hingegen hat den Tag noch vor sich, an dem ihre engsten Verwandten den neugeborenen Ali kennen lernen werden. „Später“, sagt die 20-jährige Tschetschenin mit einer abwehrenden Handbewegung, ihre Eltern seien in Oberösterreich. Die Entbindung wäre nicht kompliziert verlaufen, sie habe alles verstanden. „Es ist furchtbar, wenn man keine Sprache spricht, wenn man nichts sagen kann“, ergänzt die junge Frau mit den roten Locken wohl in Erinnerung an eigene leidvolle Erfahrungen. Mittlerweile lebt sie seit sechs Jahren in Österreich, ist als Flüchtling anerkannt und spricht gut Deutsch.
Optimal für das Personal, denn „die Sprachbarriere ist ein großes Problem“, sagt Elisabetth Zierler-Matzer. „Ich persönlich finde es schade, wenn Leute schon mehrere Jahre in Österreich sind und nicht wenigstens ein paar Worte Deutsch sprechen“, formuliert es Susanne Gramm vorsichtig. Die junge Assistenzärztin ist ein positiver Mensch. Sie findet es „ganz toll“ wenn Angehörige mitkommen und für die werdenden Mütter übersetzen.
Ein Wahnsinn, meint Marion Habersack, Soziologin, Philosophin und Public-Health-Expertin: „Es bemühen sich immer alle, aber sie bemühen sich falsch.“ Kinder, aber auch erwachsene Söhne und Väter hätten keinesfalls die Verantwortung für medizinische Entscheidungen zu tragen. An der Frauenklinik sollten ausschließlich Frauen mit dem nötigen fachlichen Hintergrund dolmetschen.
Lernen von Mama. Die engagierte Wissenschaftlerin hat kürzlich gemeinsam mit 38 Studierenden des Masterstudiengangs Gesundheits- und Pflegewissenschaft eine Studie zum Thema „Optimierte Versorgung von Patientinnen mit Migrationshintergrund“ erstellt. Fazit: Es gibt zu wenige auf die Bedürfnisse von Migrantinnen abgestimmte Angebote und diese kommen von NGOs wie ISOP, Caritas und Omega. „Die PatientInnenversorgung hat den Auftrag und die NGOs derrennen sich“, so Habersack. „Die nötige Kommunikation fehlt.“
Rund 40 Prozent der Patientinnen auf der Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe haben einen Migrationshintergrund. „Die meisten können sich keine Privatklinik leisten. Sie sind auf das LKH angewiesen“, sagt Marion Habersack. Darauf müsse innovativer reagiert werden. Transkulturelle Kompetenz müsste als „satter Punkt in die medizinische Ausbildung“ eingehen und durch andauernde Übung, etwa monatliche Kurzvorträge, gefestigt werden. Solange das nicht geschieht, werden gut gemeinte Angebote immer wieder scheitern.
Zum Geburtsvorbereitungskurs für türkische Frauen etwa war zur Enttäuschung des Klinikpersonals kaum wer gekommen. Salah Algader kennt den Grund: „Das Sozialnetz bei den Türkinnen ist engmaschig, es funktioniert. Sie gehen nicht zu Kursen.“ Das Notwendige werde von weiblichen Verwandten abgeschaut. „Ich brauche keinen Kurs. Alles, was ich weiß, weiß ich von meiner Mama“, sagt auch Emina Burzic.
„Die Leute werden nicht erreicht, man müsste hinausgehen und einfühlsamer sein“, konstatiert Marion Habersack. Sie schlägt vor, DVDs und leicht verständliche Folder zur Geburtsvorbereitung in der Wohnumgebung von Migrantinnen aufzulegen. Fliegende Hebammen sollten in die Kommunen gehen, die Ambulanzen an einigen Nachmittagen für MigrantInnen geöffnet werden. „Ich habe es satt, ewig zu diskutieren. Probieren wir es aus und schauen wir: Wie kommt’s an?“, plädiert Habersack für mehr Mut zur Umsetzung.
Unerwünschter Blumengruß. Am Empfang in der Gebärambulanz steht derweil eine 33-jährige Türkin, die ihren Namen nicht sagen will. In zwei Wochen soll hier ihr zweites Kind zur Welt kommen, „wenn Gott will“. Begleitet wird sie von ihrem Mann und dem zweieinhalbjährigen Sohn. Damals, im Oktober 2007, als sie zum ersten Mal zur Entbindung hier war, habe sie sich schon „fremd gefühlt“. Zwar gibt es ein eigenes Essensangebot für Musliminnen, aber ihre Mutter hat ihr jeden Tag die gewohnte Mahlzeit gebracht. Und eines versteht sie gar nicht: Sie hat damals am meisten Besuch in ihrem Fünf-Bett-Zimmer bekommen und auch am meisten Blumen. Der ganze Tisch war voll davon. Aber sowohl Personal als auch Mitpatientinnen haben sich über das Blütenmeer beschwert und sie musste es wegräumen. Warum, weiß sie bis heute nicht.
Text: Eva Reithofer-Haidacher, Foto: Christopher Mavric...
Emina Burzic ist blass, elf Stunden im Kreißsaal haben ihre Spuren hinterlassen. Doch was zählt, ist das Ergebnis der Qual, und das hält sie liebevoll im Arm: Sohn Lazar, zweieinhalb Tage alt. Die 23-Jährige – Vater Bosnier, Mutter Serbin – lebt seit ihrem ersten Lebensjahr in Österreich und hat längst die Staatsbürgerschaft. Ihren „Migrationshintergrund“ aber, so der korrekte Terminus, wird sie so schnell nicht los. Hier, im zweiten Stock der Gebärklinik am LKH Graz, teilt sie ihr Zimmer mit drei Jungmüttern, die alle ihre Wurzeln in anderen Ländern haben.
„Wir legen Frauen aus gleichen Kulturen zusammen“, erklärt Schwester Elisabeth Zierler-Matzer. Seit 1981 im Dienst, habe sie von Anfang an Migrantinnen erlebt, nur die Länder haben sich verschoben. Kamen anfangs viele Frauen aus Rumänien und afrikanischen Ländern in die Klinik, so seien es jetzt vor allem Tschetscheninnen und Türkinnen. Und es werden immer mehr. Manchmal gäbe es Spannungen, auch unter den Migrantinnen. Etwa wenn die einen Ruhe brauchen und die anderen haufenweise Besuch bekommen.
Besuch als Pflicht. „Vor allem Frauen aus islamischen Ländern wollen alle Angehörigen dabei haben“, hat die Krankenschwester beobachtet. Es gäbe Nächte, da stehen acht, neun Familienmitglieder samt Nachwuchs vor dem Kreißsaal. „Wir schicken sie heim, weil die Kinder ja ihren Schlaf brauchen. Aber meistens gehen sie vorne raus und hinten wieder rein“, sagt Elisabeth Zierler-Matzer.
Salah Algader kennt die Reibungspunkte. Der gebürtige Iraker leitet das ISOP-Projekt „Interkulturelle Gesundheitsassistenz für Migranten“, bei dem DolmetscherInnen ans Spital vermittelt werden. „Für Muslime ist der Krankenbesuch Aufgabe der Religion“, erklärt er. „Der Patient ist eine schwache Person, die man unterstützen muss.“ Außerdem sei eine Geburt ein Fest, so Algader: „Ein Kind ist geboren. Großmutter, Großvater, Tante, Onkel, alle kommen gemeinsam, um das zu feiern.“
Seit einiger Zeit gibt es Besuchszeitenschilder in mehreren Sprachen und einen eigenen Besucherraum. Doch nicht alle halten sich daran. Außerdem ist der Raum klein und die Familien sind groß. „Jeden Tag kommt sehr viel Besuch, ich mag das. Gestern war zwei Mal alles voll im Besucherraum“, sagt Emina Bursic. Da stoßen auch schon ihr Mann und ihre Mutter zur Runde. Der Jungvater strahlt über das ganze Gesicht, wenig zeugt von der Anstrengung der letzten beiden Tage. „Mein Mann hat nach der Geburt mit Freunden alles rausgefeiert“, hatte Emina Burzic kurz zuvor erzählt. „Im Dorf unten in Bosnien“ begehen sie eine Geburt noch ausgiebiger: Da werden Schafe und ein Schwein geschlachtet und viele Gäste eingeladen.
Angehörige im Kreißsaal. Toita Terlueva hingegen hat den Tag noch vor sich, an dem ihre engsten Verwandten den neugeborenen Ali kennen lernen werden. „Später“, sagt die 20-jährige Tschetschenin mit einer abwehrenden Handbewegung, ihre Eltern seien in Oberösterreich. Die Entbindung wäre nicht kompliziert verlaufen, sie habe alles verstanden. „Es ist furchtbar, wenn man keine Sprache spricht, wenn man nichts sagen kann“, ergänzt die junge Frau mit den roten Locken wohl in Erinnerung an eigene leidvolle Erfahrungen. Mittlerweile lebt sie seit sechs Jahren in Österreich, ist als Flüchtling anerkannt und spricht gut Deutsch.
Optimal für das Personal, denn „die Sprachbarriere ist ein großes Problem“, sagt Elisabetth Zierler-Matzer. „Ich persönlich finde es schade, wenn Leute schon mehrere Jahre in Österreich sind und nicht wenigstens ein paar Worte Deutsch sprechen“, formuliert es Susanne Gramm vorsichtig. Die junge Assistenzärztin ist ein positiver Mensch. Sie findet es „ganz toll“ wenn Angehörige mitkommen und für die werdenden Mütter übersetzen.
Ein Wahnsinn, meint Marion Habersack, Soziologin, Philosophin und Public-Health-Expertin: „Es bemühen sich immer alle, aber sie bemühen sich falsch.“ Kinder, aber auch erwachsene Söhne und Väter hätten keinesfalls die Verantwortung für medizinische Entscheidungen zu tragen. An der Frauenklinik sollten ausschließlich Frauen mit dem nötigen fachlichen Hintergrund dolmetschen.
Lernen von Mama. Die engagierte Wissenschaftlerin hat kürzlich gemeinsam mit 38 Studierenden des Masterstudiengangs Gesundheits- und Pflegewissenschaft eine Studie zum Thema „Optimierte Versorgung von Patientinnen mit Migrationshintergrund“ erstellt. Fazit: Es gibt zu wenige auf die Bedürfnisse von Migrantinnen abgestimmte Angebote und diese kommen von NGOs wie ISOP, Caritas und Omega. „Die PatientInnenversorgung hat den Auftrag und die NGOs derrennen sich“, so Habersack. „Die nötige Kommunikation fehlt.“
Rund 40 Prozent der Patientinnen auf der Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe haben einen Migrationshintergrund. „Die meisten können sich keine Privatklinik leisten. Sie sind auf das LKH angewiesen“, sagt Marion Habersack. Darauf müsse innovativer reagiert werden. Transkulturelle Kompetenz müsste als „satter Punkt in die medizinische Ausbildung“ eingehen und durch andauernde Übung, etwa monatliche Kurzvorträge, gefestigt werden. Solange das nicht geschieht, werden gut gemeinte Angebote immer wieder scheitern.
Zum Geburtsvorbereitungskurs für türkische Frauen etwa war zur Enttäuschung des Klinikpersonals kaum wer gekommen. Salah Algader kennt den Grund: „Das Sozialnetz bei den Türkinnen ist engmaschig, es funktioniert. Sie gehen nicht zu Kursen.“ Das Notwendige werde von weiblichen Verwandten abgeschaut. „Ich brauche keinen Kurs. Alles, was ich weiß, weiß ich von meiner Mama“, sagt auch Emina Burzic.
„Die Leute werden nicht erreicht, man müsste hinausgehen und einfühlsamer sein“, konstatiert Marion Habersack. Sie schlägt vor, DVDs und leicht verständliche Folder zur Geburtsvorbereitung in der Wohnumgebung von Migrantinnen aufzulegen. Fliegende Hebammen sollten in die Kommunen gehen, die Ambulanzen an einigen Nachmittagen für MigrantInnen geöffnet werden. „Ich habe es satt, ewig zu diskutieren. Probieren wir es aus und schauen wir: Wie kommt’s an?“, plädiert Habersack für mehr Mut zur Umsetzung.
Unerwünschter Blumengruß. Am Empfang in der Gebärambulanz steht derweil eine 33-jährige Türkin, die ihren Namen nicht sagen will. In zwei Wochen soll hier ihr zweites Kind zur Welt kommen, „wenn Gott will“. Begleitet wird sie von ihrem Mann und dem zweieinhalbjährigen Sohn. Damals, im Oktober 2007, als sie zum ersten Mal zur Entbindung hier war, habe sie sich schon „fremd gefühlt“. Zwar gibt es ein eigenes Essensangebot für Musliminnen, aber ihre Mutter hat ihr jeden Tag die gewohnte Mahlzeit gebracht. Und eines versteht sie gar nicht: Sie hat damals am meisten Besuch in ihrem Fünf-Bett-Zimmer bekommen und auch am meisten Blumen. Der ganze Tisch war voll davon. Aber sowohl Personal als auch Mitpatientinnen haben sich über das Blütenmeer beschwert und sie musste es wegräumen. Warum, weiß sie bis heute nicht.
Text: Eva Reithofer-Haidacher, Foto: Christopher Mavric...
[Artikel/megaphon/09.04.2009]
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