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Damals - Zeiten der Unruhe

Erinnerung ist Kultur und Verpflichtung. Der öffentliche Raum fordert über die Vergangenheitsbewältigung die Gegenwartsbewältigung. Von visionärer Zukunftserfassung ganz zu schweigen. Als Kinder im Volksschulalter saßen wir vor den frühen 70er  Jahre schwarz-weiß TV- Gerät der Marke Phillips und beobachteten wie Brandsätze, bricks, bottles and stones gegen britische Polizei -und Armeefahrzeuge flogen - in Belfast und Londonderry. Wir wohnten damals gegenüber der Belgierkaserne, eine vormalige SS - Kaserne, in der zu Kriegsende 150 Menschen ermordet und in Massengräbern verscharrt wurden. Historisch gibt es bedingt durch mehrere Historikerkommissionsberichte daran keinerlei Zweifel. Der unlängst im Stadtmuseum gezeigte Dokumentarfilm “Ort der Unruhe” ,von Ernst Logar liefert darüber ausreichend Zeugnis und klug montiertes Interviewmaterial. Im zarten Alter von 7 Jahren,  eben in diesen frühen 70ern, startete unsere Kid-Gang dann die ersten Überfälle auf die sich der Belgierkaserne nähernden Panzerkolonne, welche die Strassgangerstrasse entlang krochen und den Straßenbelag beschädigte. Für uns Kinder war es der Alltagskrieg, der sich in unseren medieninfizierten Gehirnen eingeschlichen hatte, so wie Nordirland oder Vietnam. Es regnete damals weit mehr als heute und über den Asphalt krochen hunderte von Regenwürmern. Wir griffen beidhändig nach der Erde und formten mud-bombs, der Marke Eigenbau, an denen noch Grasbüschel hingen. Dann griffen wir geduckt laufend an und schleuderten mit Kampfschreien unsere mud-bombs gegen die gepanzerten Fahrzeuge. Die Soldaten lachten über uns Rotznasen, denen die Haare zu Berge standen, und winkten uns zu. Sie waren sich jedoch der ernsten Absicht nicht im Klaren gewesen – wir wollten keine Soldaten in unserer unmittelbarer Nachbarschaft der Grazer Vorstadt – in Wetzelsdorf. Abends im Fernsehen brannte dann ein Polizeiwagen. Dass ungarische Juden auf ihren Todesmärschen zu Kriegsende gerade hierher getrieben wurden, war uns Kindern und genau so wie den Eltern unbekannt. Das Erinnern war hinter den gepanzerten Fahrzeugen und Kasernenmauern, unter Stacheldraht, verborgen – ihre Ermordung ebenso. Die Kunst hätte genügend Gelegenheit gehabt, wie z.B. die Doku “Ort der Unruhe” und eine öffentliche Diskussion von CLIO und pArtisan veranstaltet, eindringlich zeigte, sich dem Erinnern in einer angewandten künstlerischen Formensprache und durchaus kritisch zu widmen. So konnte ich nach Jahren das Kasernengelände über den Dokumentarfilm nach meiner Stellung wieder betreten, diesmal mit dem Auge, und nicht mit jener Angriffslust, die ich als Kind so sehr verspürte. Ich war, das muss ich schon zugeben, vom Ungeist der Verhinderer und Verdränger geblendet, während einige Schüsse demonstrativ aus dem Film herüber hallten,  ich mich an die eigenen seelischen Narben erinnerte, die mit der Gewissenskommission genauso zu tun hatte, wie mit dem wahnwitzigen Gebrüll des Stellungspersonals – Männer, Frauen, Ärzte die in ihrem Disziplineifer jede Spur Menschlichkeit verlassen hatte. Einen von uns hatten sie in den Raum geholt. Draußen Totenstille. Nach einer halben Ewigkeit kam er leichenblass heraus. Man habe ihn auf einen Stuhl gestellt. Dort musste er sich entkleiden. Nackt. Den Blick zur Decke gerichtet. Den Blick an der Decke halten! Während die Kommission des Gewissens vor dem Stuhl sich über seine Genitalien unterhielt, über die Größe des Geschlechts witzelte und medizinische Fachausdrücke einer Fehlstellung nannte, die mit einer Stellung wenig zu tun hatte. Das Demütigungsritual bestand daraus, etwaige 17-jährige Verweigerer auf ihre körperlichen sowie geistige Ungeeignetheit und die daraus resultierenden Folgen hinzuweisen, und eben darauf, dass diese Schrägstellungen selbstverständlich in ihren Reisedokumenten und bei der Führerscheinprüfung sowie Universitätseignung berücksichtigt werden würden. Das war 1984. Ich erinnere mich zu gut an jene Gewissenlosigkeit, die von einem vormaligen Berufsoffizier, einem liberalen Oberst, als “Folter” bezeichnet wurde und wurde aus eben dieser Angst heraus als Wehrmann aus dem Zivilleben ausgemustert – ein Flieger mit halbtauglichen Eigenschaften. Der Film “Ort der Unruhe” zeigt wenig geistige Höhenflüge, und erinnerte mich an die Asterixcomics, die ich als Kind verschlang –  gallischen Rebellen, die ganze Legionen aufmischten. Hier hatte sich ein Stein in die Erde gegraben, als wäre er von Obelix geworfen oder aus welchem Himmel auch immer gefallen. Bei der Einweihung des Denkmals hatten die Soldaten auch Helme auf. Rundherum war ein Hain angelegt, Thujen, die als Götterbäume, in welchen halb-esoterischen Baumbüchern auch immer geführt werden. Auf dem Stein befindet sich wie an vielen Grabsteinen eine Gedenktafel, die an die Ermordeten, die hier irgendwo unter dem Stein liegen, erinnert – wenigstens: eine Tafel. In der Diskussion zwischen Oberst Schweiger und Univ. Doz. Dr. Werner Fenz wurde dann einhellig festgestellt, dass Soldaten keine Künstler seien. Das wurde auch sichtbar verdeutlicht und trug den Charakter eines Mahnmals im Mahnmal in sich versteinert. Erinnern ist Bestandteil von Kultur und Menschenrechtspreise wurden um diesen Themenkomplex schon mehrfach vergeben, nur zur mahnenden Erinnerung. Der “Krieg” ist längst vorüber, die Widerstände gegenüber historischer Kulturarbeit und Kunst im öffentlichen Raum – auch wenn dieser sich in einer Kaserne befindet – schienen gebrochen; aber der Schein trog, und beschämt musste ich feststellen, dass die Erinnerungskultur im vormaligen Yugoslawien eine weitaus feinere und vergeistigter Formensprache gefunden hatte. Was blieb mir anderes als Bogadan Bogdanovic, der sich selbst als “verdammter Baumeister” bezeichnete, als ihm beim Namen zu nennen und auf die Nennung des Dokumentarfilmes “Alles Schweigen” gegenüber Oberst Schweiger gänzlich zu verzichten. Dieser Film behandelt grundsätzliches das Hintergrundwissen um die Todesmärsche ungarischer Juden. Darüber schweigen sich Grabsteine aus, wie auch jener Mahnmale – ein weiterer Totengräber in Form und Geschichte wird. Eine öffentliche Ausschreibung eines künstlerischen Wettbewerbes sollte zweifelsohne längst Folge eines kafkaesken Prozesses sein – an einer internationalen Jury kein Zweifel bestehen, da es sich um ein grenzüberschreitendes Thema handelt. Auf Zeitzeugen zu warten macht angesichts der erweiterten Gedächtnislücken wenig Sinn. In London waren, über 40 Jahre nachdem wir unsere kid-mud-bombs gegen die Panzer warfen, der irische Staatspräsident mitsamt einem IRA –Vertreter mit der Queen Elisabeth zu einem historisch einmaligen Besuch zusammengetroffen. Nach jahrzehntelangen Konflikt beladenen Schweigens und vor sich dahin köchelnder historischen Altlasten. Über Nachbarschaften darf man sich bei aller Unruhe ruhig freundschaftlich artikulieren, dass ist die gegenwärtige Aufgabe der Entwarnung; ansonsten wir uns später wieder verpflichtet fühlen, uns in einer entsprechenden Form an das Mörderische erinnern zu müssen. Aber gerade das sollten wir aus der Vergangenheit gelernt haben. Es nicht zu wiederholen....



[Kolumne/n.nagy/29.04.2014]





    Kolumne/n.nagy


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